Die erste Sommerwelle ebbt langsam ab. Für die erwartete Herbstwelle soll die Republik diesmal besser vorbereitet sein. So zumindest die Hoffnung beim neuen Infektionsschutzgesetz.
Maske ja, genereller Lockdown nein. Der Entwurf für das geplante neue Infektionsschutzgesetz liest sich wie das, was er ist: eine politisch ausgehandelte Vorlage mit Maßnahmen, die helfen sollen, eine erwartete Pandemie-Herbstwelle im Griff zu behalten. Was gegen die Verbreitung von Viren hilft, ist eigentlich hinlänglich bekannt. Die Herausforderung als Lehre insbesondere aus dem letzten Pandemiejahr ist, das in der Vergangenheit oft kritisierte Regelchaos zu ordnen und Zuständigkeiten verbindlich zu klären.
Herausgekommen ist ein Entwurf, der einerseits eine Reihe von Klärungen bringt, andererseits eine mindestens ebenso lange Reihe von ungeklärten Fragen aufwirft.
Eine Botschaft: Masken erleben eine Renaissance und finden wieder Einzug in den Maßnahmenkatalog. Bundesweit soll Maskenpflicht im öffentlichen Personenfern- und im Luftverkehr gelten. Ebenso im Gesundheitsbereich wie in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen. Das ist nach Stand aller Erkenntnisse sinnvoll. Aber da beginnen dann auch bereits die Probleme in Form von Ausnahmen. Die sollen für frisch Geimpfte oder Genesene gelten sowie für Patienten oder Bewohnerinnen von Pflegeeinrichtungen. Wie und wer soll das kontrollieren? Der Chef des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigelt, wird mit der Warnung zitiert, dass eine solche Regelung „nicht zur Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen" werde. Erst recht nicht, wenn dann noch Ländern zusätzliche Instrumente an die Hand gegeben werden, um lokal und regional spezifisch auf das jeweils örtliche Infektionsgeschehen reagieren zu können.
Der bekannte Virologe Hendrik Streeck fürchtet einmal mehr den berühmten „Flickenteppich" unterschiedlicher Regelungen. Sein Vorschlag, um das zu vermeiden: Klare Vorgaben, wann welche Maßnahmen greifen dürfen oder müssen.
Umstrittener Gesetzesentwurf
Damit lebt die bekannte Diskussion wieder auf, die seit dem Auftreten von Corona immer wieder geführt wird. Einheitliche Regelungen oder regional spezifische Reaktionen auf Entwicklungen? Diese Diskussion dürfte die Pandemie dauerhaft weiter begleiten. Für beide Ansätze lassen sich gute und nachvollziehbare Gründe ins Feld führen. Und die sind bereits reichlich ausgetauscht.
Einigermaßen Klarheit herrscht dagegen in der Frage, was auf keinen Fall wieder vorkommen soll: flächendeckende Lockdowns, pauschale Schulschließungen oder gar Ausgangssperren. Länder können aber eine Maskenpflicht an Schulen ab dem fünften Schuljahr verordnen, ebenso gehört eine Testpflicht für Schulen und Kitas sowie andere Gemeinschaftseinrichtungen wie beispielsweise Heime zum vorgesehenen Instrumentenkasten für die Länder. Maskenpflicht im ÖPNV ist bereits gewohnte Übung, es könnte aber auch wieder Maskenpflicht für öffentlich zugängliche Räume geben. Auch die bekannte Abstandsregelung könnte in kritischen Entwicklungen wieder greifen. Für Veranstaltungen stünden ebenfalls wieder die bekannten Maßnahmen zur Verfügung, von Hygienekonzepten bis zu Personenobergrenzen, wenn Abstandsregelungen sonst nicht eingehalten werden können.
Der Katalog kommt bekannt vor. Erfahrungen mit den verschiedenen Umsetzungen gibt es inzwischen reichlich – also auch damit, woran es in der Praxis immer wieder haperte. Ein Hauptkritikpunkt waren die jeweils kurzfristig beschlossenen Anpassungen von Maßnahmen, die zudem mit vielen Einzelfallregelungen zunehmend unübersichtlich wurden, bis am Schluss gelegentlich selbst die damit betrauten Verwaltungen Mühe hatten, den jeweils aktuellen Stand in allen Facetten parat zu haben. Zudem führten zahlreiche Gerichtsverfahren zu der Erkenntnis, wie anfechtbar jeweils neue Regelungen sein konnten. Und je mehr geregelt wurde, umso anfälliger wurde es.
Das neue Infektionsschutzgesetz muss insofern vor allem Transparenz und Rechtssicherheit schaffen, damit notwendige Maßnahmen nicht nur klar kommuniziert, sondern auch akzeptiert werden können.
Dass Reizwörter wie Maskenpflicht oder eine durchaus auch mögliche 3G-Regelung entsprechende Proteste hervorrufen, war bereits vor und während der Veröffentlichung der Pläne im Netz nachzuvollziehen. Ein harmloser Beitrag fragt, was wäre, wenn es ein neues Infektionsschutzgesetz gebe, aber keiner mitmacht?
Intensive Impfkampagne für Herbst geplant
Zur Transparenz würde beispielsweise ein klarer Kriterienkatalog gehören, ab wann welche Maßnahme zu erwarten sind. Dass die Inzidenzzahlen dafür kein tauglicher Maßstab sind, haben die letzten Wochen der Sommerwelle eindrucksvoll belegt. Allerdings hatten die Inzidenzzahlen schon vorher ausgedient. Parameter waren zuletzt Kennziffern aus dem Krankenhausbereich, wie die Hospitalisierung, die angibt, wie viele Patienten mit Corona stationär beziehungsweise intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Dahinter stand die politische Priorität, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Dass die Hospitalisierungsrate dafür nur bedingt als Kennziffer taugt, hat ebenfalls die Sommerwelle gezeigt. Das Problem der Krankenhäuser war nicht die Zahl der Patienten, sondern der coronabedingte Ausfall des Personals. Die Omikron-Variante hatte zwar nicht so viele schwere Verläufe verursacht, zum großen Teil haben auch Impfungen dazu beigetragen, dass die Verläufe überwiegend nicht dramatisch ausfielen. Aber es hat eben zur ersten – und gleich massiven – Sommerwelle geführt, die vor Krankenhaus- und Pflegepersonal nicht haltgemacht hat. Wenn es also um die Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitswesens gegangen wäre, hätten in der massiven Sommerwelle zumindest einfache Schutzmaßahmen ergriffen werden müssen, die das Ansteckungsrisiko signifikant vermindern.
Für den Herbst geht Gesundheitsminister Karl Lauterbach schon länger davon aus, dass aggressivere Varianten (oder Subvarianten von Omikron) für die nächste Welle sorgen könnten. Es liegt in der Natur der evolutionären Entwicklung, das nicht vorausberechnen zu können. Unabhängig davon braucht es Kennziffern, an denen sich Maßnahmen orientieren, auch, damit erwartbare politische Diskussionen darüber ein Stück weit versachlicht werden. Politisch muss das diskutiert werden. Alleine schon, weil das Infektionsschutzgesetz bei Länderentscheidungen Beschlüsse der Landtage vorsieht. Die Vorlage, gemeinsam von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) vorgestellt, hat eher indirekt zu einer neuen Impfdebatte geführt. Wenn Ausnahmen von bestimmten Regeln beispielsweise für „frisch" Geimpfte (Impfung drei beziehungsweise vier Monate alt) gelten sollen, was ist dann mit denen, die zwar sogar eine zweite Booster-Impfung – und somit die vierte – haben, aber der letzte Impftermin schon etwas länger zurückliegt? Kritiker mutmaßen zudem, dass die geplanten Regelungen zwar keinen Zwang, aber doch einen massiven Druck zum Boostern darstellen.
Unabhängig davon hat Minister Lauterbach – wie auch viele Länderkollegen – zum Herbst neue und intensive Impfkampagnen in Aussicht gestellt. Im September sollen vier neue und angepasste Impfstoffe zugelassen sein und zur Verfügung stehen. Die Ständige Impfkommission tut sich noch schwer mit einer Empfehlung für eine vierte Impfung für unter 70-Jährige. Der renommierte Kölner Impfarzt Jürgen Zastrow hat bereits vor Wochen betont: „Würden sich alle ein viertes Mal impfen lassen, würde das Leben retten." Angesichts der im internationalen Vergleich eher bescheidenen Impfquote Deutschlands ist sein Plädoyer klar: „Wir müssen viel mehr impfen, als wir es aktuell tun." Aktuell heißt, dass trotz Sommerwelle in Sachen Impfen annähernd Stagnation herrscht. Dass vorhandener Impfstoff womöglich ungenutzt verfällt, mag folglich weniger mit einer verfehlten Einkaufspolitik zu tun haben als vielmehr an der nicht vorhandenen Nachfrage, also der Impfbereitschaft. „Wir haben keine Impfstoffknappheit, wir haben eine Impfling-Knappheit", unterstreicht Zastrow.