Seit den Explosionen in russischen Militäranlagen rückt die Halbinsel Krim wieder in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Dabei spielt die annektierte Region schon lange eine wichtige strategische Rolle für Russland.
In den vergangenen Tagen und Wochen gab es eine Reihe von schweren Explosionen in russischen Militäranlagen auf der Krim. Das waren dieselben Anlagen, von denen einst die ersten Angriffe Russlands auf das südliche Festland der Ukraine ausgegangen waren. Vieles deutet darauf hin, dass die Ukraine Gegenangriffe auf genau dieses Ziel richtet. Gleich nach einem der ersten Beschüsse Anfang August hatte der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj eine flammende Rede gehalten. In ihrer Ausdrucksweise erinnert sie an klassische ukrainische Literatur. Der Krieg habe mit der Krim angefangen und werde auch damit enden, sagte Selenskyj. Die Annexion sei ein Angriff auf ein freiheitliches Europa, eine Bedrohung für den Weltfrieden und für die Wurzel der ukrainischen Interkulturalität. Das ukrainische Volk werde nicht aufhören zu kämpfen, bis das ganze Territorium wieder der Ukraine gehöre.
Sollte dies wieder der Fall sein, wird das Land mit Russlands Hinterlassenschaften kämpfen müssen. So gibt es diverse Studien über das Ausmaß verseuchter Ökosysteme. In einer kürzlich veröffentlichten Ökologie-Studie des nichtstaatlichen Krimtatarischen Ressourcenzentrums (CTRC) haben Wissenschaftler die Bandbreite von Umweltschäden auf der Halbinsel analysiert. Dazu zählen die Kontamination der Flussläufe, das Abpumpen des Grundwassers, Raubbau an natürlichen Ressourcen, Waldrodungen und gesundheitsgefährdende Abgase der Titan-Industrie. Mitverursacher sind der Analyse zufolge unter anderem die Einrichtung des Militärstützpunktes sowie die Bauten einer Autobahn und der Krim-Brücke. Umweltfragen stehen offenbar für die russische Regierung nicht oben auf der Prioritätenliste.
Annexion ist Vorstufe des Krieges
Vor der Annexion der ukrainischen Halbinsel 2014 durch die Streitkräfte der Russischen Föderation war die Krim eine autonome Republik. Ihre Geschichte wird in ukrainischen und russischen Geschichtsbüchern unterschiedlich dargestellt. Die Krimtataren, einst Einheimische und jetzt eine Minderheit der Bevölkerung auf der Krim, erinnern sich mit Schrecken an die Annexion der Halbinsel durch Zarin Katharina II. von Russland, auch Katharina die Große genannt, im Jahre 1783. Als sie sich anschickte, das Schwarze Meer zu beherrschen und das verhasste Osmanische Reich zu unterwerfen, wurde die Krim Teil des Russischen Kaiserreichs.
Die Krim war vor der Besatzung ein florierendes Reich auf dem Höhepunkt des kulturellen Lebens. Danach begangene Rechtsverstöße und Menschenrechtsverletzungen werden von Russland bis heute nicht anerkannt. Da die ukrainische Regierung die Autonomie der Halbinsel anerkannt hatte und sich eine Zusammenarbeit auf der politischen und Verwaltungsebene eingespielt hatte, hielten die Krimtataren in schwierigen Zeiten zur Ukraine. 1954 wurde die Krim unter Chruschtschow an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik angegliedert und verblieb nach Auflösung der UdSSR innerhalb des ukrainischen Staates.
Nach russischen Angaben haben sich 95,5 Prozent der Bevölkerung beim Referendum am 15. März 2014 zu „Mutter Russland" bekannt. Wie viele es wirklich waren, ist nicht unabhängig belegt. Die Annexion war bereits damals eine wichtige Vorstufe des Krieges. Zum einen, weil die Lage der Halbinsel für einen Militärstützpunkt ideal geeignet ist, aber auch unter dem Aspekt der Ressourcenausbeutung. Für die Nutzung des Militärstützpunktes verlangte die ukrainische Regierung vor 2014 mehr als 97 Milliarden US-Dollar jährlich. Außerdem gab es für Russland wirtschaftliche Gründe wie die Ausweitung des Zugangs zum Meer für den Handel. Schließlich ist Sewastopol der einzige Schwarzmeerhafen, der das ganze Jahr über eisfrei bleibt.
Krim als Propagandaobjekt
Immer wieder zeigt sich, dass in diesem Krieg Propaganda und Desinformation als wichtige Waffen eingesetzt werden. So hat etwa Russland kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges am 18. Februar die Bevölkerung der Regionen Donezk und Luhansk zur Massenevakuierung nach Russland aufgerufen. Dieser hat die ukrainische Regierung nicht zugestimmt. Nachdem ganze Städte und Regionen in Schutt und Asche gelegt wurden, behaupten nun russische Medien, die Infrastruktur und die Industrie werde erfolgreich von den Russen aufgebaut. Nach außen hin präsentieren russische Medien die Krim als ein Vorzeigeprojekt mit neuen Autobahnen und moderner Infrastruktur, alles für das Wohl der Bevölkerung, die kriegsgebeutelten Regionen Donezk und Luhansk sollen folgen.
Es fragt sich, mit welchen Mitteln das geschieht. Weiter östlich gelegene Provinzen Russlands leiden unter Armut und wirtschaftlichem Verfall – schon vor Beginn des Krieges. Darüber, was stattdessen mit den Steuergeldern gemacht wird, veröffentlicht das Team des inhaftierten russischen Dissidenten Alexei Nawalny regelmäßig erscheinende Berichte auf Youtube. Allein die 19 Kilometer lange Krim-Brücke, die das russische Festland mit der Halbinsel verbindet, habe nach offiziellen russischen Angaben knapp 228 Milliarden Rubel (3,7 Milliarden Euro) gekostet. Dabei seien die durch Korruption verschwundenen Milliarden noch nicht mitberechnet. Auf Social-Media-Kanälen und unter Geflüchteten ist die Rede davon, dass in immer mehr besetzten Gebieten in der Südukraine mittlerweile der Rubel als zusätzliche Währung eingesetzt wird und dass statt humanitäre Hilfe zu leisten Busse mit russischen Nachrichten auf großen Bildschirmen durch die Gegend fahren. Das ukrainische Nachrichtenportal „Krim.Realii" berichtet von Zwangsrekrutierungen der russischen Armee. Der staatliche russische Sender „RIA" hat vor Kurzem eine Straßenumfrage präsentiert, nach der sich die Bevölkerung auf der Krim „sicher und beschützt durch die mächtige Armee" fühlt, was von ukrainischen Quellen dementiert wird. Da die ukrainische Regierung die Verstärkung der eigenen Truppen im Süden und eine Großoffensive zur Zurückdrängung der Besatzer angekündigt hat, ist ein Szenario der Verlagerung des Krieges auf die Halbinsel gar nicht so abwegig.