Galoppierende Inflation, steigende Energiekosten und dunklere Innenstädte in der Nacht schwächen die Konsumlust von Käufern im Einzelhandel enorm. Der Geschäftsführer des Handelsverbandes fordert jetzt ein „Belastungsmoratorium".
Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist gedrückt. Das geht aus dem aktuellen Geschäftsklimaindex des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung an der Universität München (Ifo-Institut) hervor. Demnach hat sich die Stimmung im August den dritten Monat in Folge eingetrübt. Damit ist die Stimmung ist so schlecht wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr. Das Ifo-Geschäftsklima fiel im Monatsvergleich um 0,2 Punkte auf 88,5 Zähler, wie das Ifo-Institut vor Kurzem mitteilte. Das ist der niedrigste Stand seit Juni 2020. „Der Ausblick auf die kommenden Monate blieb nahezu unverändert deutlich pessimistisch", so der Kommentar von Ifo-Präsident Clemens Fürst. Die Unsicherheit unter den Unternehmen bliebe hoch und die Wirtschaftsleistung dürfte im dritten Quartal schrumpfen. Lediglich in der Bauindustrie hat sich das Geschäftsklima verbessert. Dort beurteilten die Unternehmen ihre aktuelle Lage etwas besser. Der Handel hingegen ist besonders betroffen: „Immer weniger Firmen berichteten von gut laufenden Geschäften. Die Erwartungen sind äußerst pessimistisch", sagte der Ifo-Präsident. Viele Händler stünden vor einem Dilemma. „Einerseits belasten die hohen Inflationsraten ihr Geschäft. Andererseits kommen sie um Preiserhöhungen wegen gestiegener Kosten kaum herum."
Milliarden von gesparten Euro nicht ausgegeben
Dabei könnten viele Händler pandemiebedingt nicht mehr auf Eigenkapital zurückgreifen, warnte Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE). Daher könnten sie die steigenden Energiekosten nicht ohne Weiteres allein abfangen, so der Verbandschef weiter. Der Einzelhandel sei in dieser Energie-Krise nicht nur auf die Versorgungssicherheit mit Energie angewiesen, sondern auch auf Kostensicherheit. Doch die wird immer schwerer kalkulierbar, gerade wenn auch die Endverbraucher sich bei Ausgaben spürbar zurücknehmen: „Der russische Krieg in der Ukraine und die damit steigenden Energiepreise haben zu einem Allzeittief in der Konsumstimmung geführt", sagte der Sprecher des HDE, Stefan Hertel, gegenüber FORUM. In der Corona-Pandemie seien 100 Milliarden Euro gespart worden, die die Konsumenten jetzt ausgeben könnten. „Doch die Menschen halten stattdessen ihr Geld zusammen, weil sie nicht wissen, wie hoch die Nebenkosten für Strom und Gas sein werden", erläuterte er im Gespräch.
Mit der Festlegung der Gasumlage bewege sich die Bundesregierung auf einem schmalen Grat, gibt HDE-Hauptgeschäftsführer Genth zu bedenken. Die Bundesregierung müsse aufpassen, dass sie niemanden überlaste und schweren wirtschaftlichen Schaden zulasse. Deshalb dürfe die Gasumlage nicht höher sein als für den Fortbestand der Energieunternehmen unbedingt notwendig. „Da darf nicht noch mehr kommen", so der HDE-Chef weiter. „Der Einzelhandel braucht dringend ein Belastungsmoratorium." Um weitere Energiekostenexplosionen abzufedern, müsse die Stromsteuer zumindest vorübergehend auf das europäisch zulässige Minimum abgesenkt werden. „Wichtig ist auch, den EU-weit gemeinsamen Einkauf von Gas konsequent voranzutreiben. Hier besteht erhebliches Potenzial für Kostensenkungen."
Außer rasant steigenden Energiekosten würgt auch die allgemeine Inflation die Kaufkraft der Konsumenten ab. „Die Sparpolster aus der Corona-Zeit sind bei vielen Haushalten nunmehr abgeschmolzen", sagte Timo Wollmershäuser, Konjunkturchef beim Ifo-Institut. „Gleichzeitig werden die Verbraucherpreise weiter steigen." Damit werde der private Konsum im weiteren Verlauf des Jahres als Konsummotor ausfallen.
Unterdessen werden die Innenstädte immer leerer. Spätestens seit der Corona-Pandemie und den Lockdowns sind sie nicht mehr der Konsummagnet, der sie vorher waren. Das geht laut einem Bericht des „Spiegel" auch aus der aktuellen „Deutschlandstudie Innenstadt" hervor. Am stärksten ausgeprägt sei der Negativtrend bei jüngeren Menschen. Demnach finden nur noch 40 Prozent der Befragten bis 30 Jahre, dass die Innenstadt ein attraktiver Einkaufsort ist, 35 Prozentpunkte weniger als noch 2015. Auch bei älteren Kunden seien die Werte teils dramatisch abgerutscht. Für die Zukunft erwarten die Studienautoren einen „Nettoverlust" bei den Innenstadtbesuchen von bis zu 32 Prozent in der Altersgruppe ab 65 Jahren. Insgesamt gebe fast ein Drittel aller Befragten an, Innenstädte künftig „seltener als vor der Pandemie" (26,3 Prozent) oder „gar nicht mehr" (43,9 Prozent) aufsuchen zu wollen. Veränderungen gibt es der Studie zufolge auch dabei, was in Innenstädten noch gekauft werde. Statt Büchern, Schuhen und Kleidern suchten und kauften die Kunden in der City immer häufiger nur noch Drogerieartikel und Lebensmittel. Fast 85 Prozent sagten demnach, dass in einem Stadtzentrum diese Produkte zu finden sein sollten. Uhren oder Schmuck suchte dagegen der Studie zufolge nicht einmal mehr jeder vierte Kunde in der Fußgängerzone.
Unsicherheitsgefühle in dunklen Innenstädten
Mutmaßlicherweise wird die Attraktivität der Innenstädte für Konsumenten weiter schwinden. Zumindest wenn die geplante Verordnung des Bundeswirtschaftsministerium ab 1. September umgesetzt wird und die Beleuchtung der Geschäfte ab 22 Uhr ausgeschaltet wird. Der Handel befürchtet, dass in abgedunkelten Stadtzentren auch das wichtige Weihnachtsgeschäft in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. „Bei der nächtlichen Beleuchtung von Schaufenstern ist uns wichtig, dass nicht komplette Innenstädte dunkel werden", sagte der HDE-Sprecher. Er wünsche sich ein gewisses „Augenmaß" seitens der Politik. Auch verwies Stefan Hertel auf mögliche Sicherheitslücken und darauf, dass ein Unsicherheitsgefühl bei den Menschen entstünde. Trotzdem sei Energie zu sparen das Gebot der Stunde, auch um eigene Kosten zu sparen, sagte Stefan Hertel. Da ziehe der Einzelhandel „voll mit", so der Sprecher.
Unterdessen hat die Klimaschutzoffensive des Handels auf Initiative des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen eine Plakatkampagne ins Leben gerufen. Damit wollen die Akteure um Verständnis für die Maßnahmen in puncto Energiesparen werben. Dort sind Slogans zu lesen wie „Wir machen abends das Licht aus. Jetzt gemeinsam Energie sparen" oder „Tür zu, Geschäft offen. Mit geschlossenen Türen sparen wir Energie und freuen uns drinnen auf Sie". Wie die Kunden darauf reagieren, bleibt abzuwarten.