Wegen ihrer hohen Sensibilität werden Pferde seit einiger Zeit als Helfer auch bei Coachings eingesetzt. FORUM-Autorin Anke Sademann hat es bei Katharina Haupt, Expertin für pferdegestütztes Coaching in der Nähe von Berlin, ausprobiert.
Das Blattwerk der Robinien, die den weiten, von hellem Sand überzogenen Auslaufplatz wie einen Rahmen umfassen, geben mir den ersten Blick auf die Herde frei. In stiller Wildheit stehen die 25 Camargue-Pferde im Halbkreis. Eines steht skulptural auf einer kleinen Anhöhe. Als ich das Gelände betrete, kommen assoziative Bilder hoch: White Beautys, die mit Pferdestärke über eine entgrenzte Steppe galoppieren, Amazonen, Staubwolken, weites Land: unbändige Freiheit – ein Auf und Davon. Tatsächlich kommen viele der Schönheiten aus der Region in Südfrankreich – meinem Seelenland. Die „Rinderhirten-Pferde" sind keine hochgezüchtete Rasse, sie sind zugewandt und neugierig. Ein in einer Box aufgewachsenes Camargue-Pferd wäre vom Wesen anders. Das A und O ist die artgerechte Haltung. Pferde sind nur schräg, wenn sie schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben. Die Gruppe wirkt ruhig und in sich geschlossen. Hier ein zarter Anstupser, da ein auffordernder Blick.
„Alle Archetypen sind vertreten"
„Pferde sind Meister der nonverbalen Kommunikation. Jedes hat seinen Charakter und feste Position in der Herde. So setze ich sie beim Coaching auch ein. Der freche Macho-Wallach für das Thema „Abgrenzung", die feinfühlige, charismatischen Alt-Stute für „Selbstvertrauen. Alle Archetypen sind vertreten", erklärt mir Katharina Haupt mit ihrer angenehm sanften Stimme. Sie öffnet das Gatter. Die 47-Jährige hat mehr als 30 Jahre Erfahrung mit Pferden und einen ganzen Fächer an Diplomen in der Satteltasche: Persönlichkeitstrainerin für Mensch und Pferd, Coach für Business, Entspannungstherapeutin und Naturcoach, NLP Master und gewaltfreie Kommunikatorin. Katharina ist in der Nähe von Hoppegarten aufgewachsen, lernte seit ihrem zehnten Lebensjahr schon den verantwortungsvollen Umgang mit Pferden, hatte Reitunterricht in einer strengen Schule und arbeitete als Jugendliche in einem Rennstall für Galopprennpferde mit. Die Mutter war früher im Spring-, Dressur- und Rennsport aktiv. Beruflich wurde Katharina Bauingenieurin für Spezial-Tiefbau. Bei den Pferden hat sie gelernt vom Verkopftsein in die Emotionen zu gehen. 2006 habe sie mit der Ausbildung angefangen und ist von Berlin vor acht Jahren wieder ins Umland gezogen. Jetzt begleitet sie mich in meine erste 25 kopf- und schweifgroße Camargue-Herde mitten im brandenburgischen Wesendahl östlich von Berlin.
Vorab steht eine Entscheidung an
Ich hatte mit Pferden bis dato nicht viel „am Huf"; bin eher so die Frau mit dem Katersuchtpotenzial, die gleich vier davon zu Hause „im kuscheligen Stall mit Garten" hat. Als Kind hatte ich großen Respekt vor Pferden, diesen schönen, aber riesigen Tieren. Mit Handy, Zweitkamera und Sicherheitsblock in zwei Taschen folge ich nun Katharina zum archaischen Pferdehügel für „meine Pferdemomente". So nennt sie ihr „Pferdebasiertes Coaching". Es soll die nächsten zwei Stunden nur um mich gehen und gar nicht unbedingt um das Pferd, das ich weder reiten, füttern noch striegeln werde. Vorab sollte ich mir mein Thema überlegen. Oha, erwischt: Mich für ein Thema zu entscheiden, wäre schon mal gut. Meine mir vertraute Schmetterlings-Qual-der-Wahl in einem Zu-viel-der-Möglichkeiten. Wäre das ein Thema? Ich lasse es auf mich zukommen. Nach dem Vorgespräch soll es darum gehen „bei mir zu bleiben". Im Flyer stand: „Die Pferde helfen dir, dich zu spüren und deine Ängste aufzulösen. Du lernst, blockierende Muster zu verändern und deiner inneren Stimme zu vertrauen. So fühlst du dich kraftvoller, freier und lebendiger." Warum kombiniert Katharina das Tiefgang-Training mit Pferden? „Pferde spüren unbewusste Emotionen und machen deine innere Haltung sichtbar. Sie sind meine hochsensiblen Co-Trainer und direkten Feedback-Geber. Sie sind immer im Augenblick, zeigen wertfrei, wie wir nach außen wirken und wann wir authentisch sind. Als Herdentiere mit differenziertem Sozialverhalten spiegeln sie alle Facetten der menschlichen Interaktion, Kommunikation und Führung." Dafür passt das Herden-Coaching. Zu welchem Pferd ich mich hingezogen fühle, fragt mich die Trainerin. Kaum nachgedacht stehen die Wallachherren Ebu und Esso vor mir, stoßen mich mit ihren Nüstern an und checken meine Taschen. Ich mache schnell Fotos. Sie wenden sich wieder der Herde zu – ändern den Fokus, ganz ohne Verpflichtung. „Mochten sie mich?", so meine vermenschlichende Frage. Katharina bittet mich nun, in mich zu spüren, wo gerade mein Fokus hingeht. Kehle und Herzraum. Dorthin lenke ich den Atem. Dann gebe ich Katharina meine Taschen. Eine Beklemmung löst sich. Ich wollte mich nur auf die Pferde konzentrieren. Hatte den Wunsch übergangen. Hätte die Fotos auch später machen können und dann den nächsten Schritt. Ich war nicht in meinem Raum und sondern wieder im Schmetterlingsmodus. Auch wenn ich gerade meinen Job als Journalistin mache, den ich sehr liebe, will ich jetzt still werden, mich konzentrieren. Jetzt bin ich reif fürs Einzelcoaching. Auf der Koppel gegenüber stehen noch mal 25 Pferde – schwarz, weiß, braun. Sie fressen an den Heustationen. Ein weißer wie mit zartgrauer Asche besprenkelter Wallach scheint sich nicht für seine Raufe entscheiden zu können. Er ist mir sympathisch. Und ich lerne, Pferde dürfen nicht länger als vier Stunden ohne Futter sein, denn sie produzieren viel Magensäure.
Katharina hatte ihren Jaleo vor sieben Jahren in einem Internetportal entdeckt und ihn aus dem wirtschaftlich gebeutelten Spanien vor dem Schlachthof gerettet. Das berührt mich tief. Jetzt lebt der Glückliche immerhin am Compostela-Jakobsweg, der am Hof vorbeiführt „Ich wusste sofort, er ist es", schwärmt seine Halterin. Auch ich versuche nun eine magische Verbindung zu „meinem Pferd für zwei Stunden aufzubauen". Ich bekomme das Halfter und einen kleinen Strick, spüre noch mal nach, wo der Atem hinwill. Diesmal sind es Beine und Füße. Es geht um Zentrierung, Erdung, Aufbau von Vertrauen, Loslassen und Spüren, wo ich mit dem Pferd hinmöchte. Innenschau: Es solle sich für mich gut anfühlen, das übertrage sich dann auf Jaleo. Er reagiert nicht. Ich übe zarten Druck auf das Halfter aus – ziehe und lasse gleichzeitig los. Als ich den Fokus weg von mir und dem Pferd auf den Weg setze, folgt mir Jaleo – wie ein gutmütiger Sensor. Offen, nahbar, unbedarft. „Er spürt, wie Fühlen und Handeln zusammenpassen. Es geht darum, gesunde Grenzen zu setzen, Mut für den eigenen Weg zu haben, Nähe und Distanz", kommentiert Katharina. Ich fühle mich bestärkt. Es tut gut, mich nur auf eine Sache zu konzentrieren. Jetzt bin ich bei mir.
Katharina erörtert mir den Ablauf des gesamten Coachings, in das ich ja nur hineinschnuppern durfte. Direkt nach dem Training wird die Erfahrung besprochen. Katharina gibt kleine meditative Übungen mit auf den Weg nach Hause. Es sind die vielen kleinen Schritte, die zählen. Es sei wichtig, sich danach im Alltag an die inneren Bilder und die Erfahrung mit dem Pferd als Metapher zu erinnern.
Manchmal coacht das Pferd den Menschen
Die Teilnehmer überlegen sich selbst situativ gebettete Aufgaben, beispielsweise wenn ein Gespräch mit dem Chef ansteht. Katharina unterstützt, gern auch telefonisch. Als Erfahrungsbeispiele erzählt sie dann noch von einer Frau, die nach dem Coaching ihren Lebensplan änderte und an die Ostsee zog, eine andere hat einen Partner gefunden. Sie gab sich weniger bedürftig. Eine dritte Dame überwand ihre Angst vor Pferden. Sie erkannte, dass sie ein Problem mit Nähe hatte. Nach dem Coaching konnte sie viel leichter mit ihren Kollegen in Kontakt kommen. Auch Pferden sollte man auf Augenhöhe begegnen, sie in ihrer Individualität respektieren, nur so werden sie zum ehrlichen Spiegel für uns Menschen. Pferde spüren das Subtile. „Alles passiert im Jetzt – einfach, schnell, berührend. Da ist eine Sehnsucht nach etwas, nach Nähe und Verbindung. Ein Pferd ist ein Medium, es öffnet die Türen zum Herzen. Am meisten fasziniert mich, dass Menschen sich berühren lassen – lebendig, unberechenbar und nah. Es ist wie ein Raum, der entsteht, auf den sich beide einlassen. Dann kann sich was Neues entwickeln", resümiert Katharina. Auch Jörg, ihr Freund, hat das erlebt. Als sie auf Reisen war hatte er Jaleo gehütet und erkannt, dass er statt seinen IT-Job weiterzumachen, die Gastronomie des Hofes übernehmen wollte, als hätte das Pferd ihn gecoacht. Sein ganzes Herz fließt nun in die neue Aufgabe und seinen Himbeer-Schmandkuchen, den die Hof-Ausflügler lieben. Übrigens auch mein Lieblingskuchen. Zufälle gibt es nicht. Dazu passt auch Katharinas Leitspruch: „Nur wenn das, was du tust, zu dem passt, was du fühlst, bist du wirklich authentisch."
Ich stehe mit Jaleo neben der Koppel auf einer kleinen Grasinsel mit einer Schatten spendenden Rubine. Hier hatte ich ihn hingeführt. Ich streichle ihn. Sein Blick hinter den langen Wimpern und den riesigen Augen ist gelassen. Wie akkurat die Mähne seinen Rücken überspannt. Auch ich lasse Nähe zu und spreche leise mit ihm. Meine Worte seien nicht entscheidend, sondern die Energie, die dabei entstehe zwischen mir, dem Pferd und am Ende zu mir selbst. Ein bisschen Angst hatte ich, von Jaleos „Röntgenblick" durchleuchtet zu werden. Aber statt sich vor dieser Form der Nacktheit zu schützen, entstand, vielleicht nur in der Länge eines Wimpernschlags ein offener, unverstellter Seelenmoment. Pferde sind Energiebarometer, aber greif-, sichtbar und holla: ganz schön fühlbar.