Die Reittherapie ist für Kinder und Jugendliche eine Möglichkeit, mehr Selbstbewusstsein aufzubauen und ihre Körperhaltung zu verbessern. Der Verein Ehrensache im saarländischen Überherrn-Altforweiler bietet diese an. Ein Besuch.
Ein lautes „Jaaa!" antwortet Emma Wagner mit einem strahlenden Lächeln. Die Frage? Ob es ihr Spaß mache, mit Sue ihre Runden zu drehen. Sue, oder auch Susanne, ist eine prächtige Ardenner-Stute, die für den Verein Ehrensache als Therapiepferd eingesetzt ist. Die 14-jährige Emma macht auf dem Gelände des Vereins in Überherrn-Altforweiler eine Reittherapie. Das Gelände hier im westlichen Saarland unweit der Grenze zu Frankreich ist prädestiniert dafür und bietet eine ruhige Weite, die einfach nur zum Entspannen und Konzentrieren einlädt.
Gemeinsam mit Sue und den Reittherapeutinnen Steffi Schöfisch und Judith Fuhrmann bilden Sue und Emma ein eingespieltes Team. Die beiden Erwachsenen helfen der Jugendlichen dabei, wenn sie mit einer liftähnlichen Einrichtung auf Sue gehoben wird, und laufen auch die ganze Zeit an Emmas und Sues Seite, wenn sie gemeinsam durch die Therapiehalle traben. Sue ist ihr Lieblingspferd. „Ich mag aber auch die Ponys. Die sind klein, die sind süß, die sind knuffig", sagt sie lächelnd. Emma leidet an Kongenitaler Muskeldystrophie Typ Ullrich, einer sehr seltenen Muskelerkrankung, wie ihre Mutter Heidi Chmiel erklärt. Im Dezember 2018 erst bekam sie die Diagnose. „Wir haben zwölf Jahre gesucht", sagt sie.
Kinderhospizteam stellte Kontakt her
Typ Ullrich ist angeboren und sorgt dafür, dass die Muskeln mit fortlaufenden Jahren immer schwächer werden. Zu weiteren Hauptmerkmalen zählen ein früher Krankheitsbeginn, Gelenkkontrakturen, vermehrte Beweglichkeit der distalen Gelenke und normale Intelligenz. „Ohne den Lift wäre es für Emma nicht möglich, das Pferd zu besteigen", so ihre Mutter. Den Kontakt zum Verein Ehrensache stellte das Kinderhospiz- und Palliativteam Saar her, das sich auch um die Teilfinanzierung kümmert. Von der Therapie, einer „ganzheitlichen", wie Heidi Chmiel betont, ist sie restlos überzeugt. Sie steigere Emmas Selbstbewusstsein, verbessere ihre Körperhaltung und stärke die Rückenmuskulatur.
Seit rund einem Jahr besuchen sie das Gelände, das sich hinter der „Pferdeklinik SaarLorLux" befindet. Dieses wurde von Dr. Andreas Rupp vermittelt, dem Medizinischen Leiter der Pferdeklinik Altforweiler GmbH, wie Petra Jenal erläutert. Die Ensdorferin gründete 2010 den Verein und erhielt vor rund einem Jahr die Bundesverdienstmedaille für ihr jahrelanges ehrenamtliches Engagement. „Ich wollte schon immer etwas für behinderte Kinder machen", sagt sie. Die Initialzündung zur Vereinsgründung hatte sie, als sie im Fernsehen einen Bericht über therapeutisches Reiten sah, der sie begeisterte – ein halbes Jahr später entstand Ehrensache, das Gelände wurde gepachtet.
Acht Pferde und sechs Reittherapeutinnen engagieren sich dort derzeit. Darunter, wie bereits erwähnt, Steffi Schöfisch und Judith Fuhrmann. Erstere ist seit rund zwei Jahren wieder dabei, Judith Fuhrmann seit stolzen elf Jahren. „Ich bin selbst ein Therapiekind", sagt sie fröhlich. Manchmal reiten sie zusammen mit Emma auch außerhalb der Halle, wie Steffi Schöfisch sagt, also auf den Feldern um das Gelände herum.
Motorische Fortschritte lassen sich feststellen
Martina Bold wiederum ist seit rund sieben Jahren als Therapeutin am Start. „Das ist mein großes Glück", sagt sie und ihre Augen strahlen. Während des FORUM-Termins begleitet sie Jakob Buchholz auf Fridolin. Der Siebenjährige hat Probleme mit dem Gleichgewicht und seiner Körperhaltung, sagt seine Mutter Johanna. An der Reittherapie nehmen sie seit rund zwei Jahren teil. Man merke die Fortschritte zum Beispiel daran, dass Jakob besser mit seinem Rad oder dem Roller fahre. „Es ist für ihn tatsächlich keine Therapie, sondern ein Hobby", erklärt Johanna Buchholz und Heidi Chmiel nickt bestätigend. Hier bekomme man logopädische Übungen und Physiotherapie in einem. „Von allem etwas", sagt sie schmunzelnd.
Jakob wiederum fühlt sich sichtlich wohl auf dem hellen Pony Fridolin. Warum er ihn so mag? „Weil er immer so schön weiß ist." Dann ruft er aus: „Eine Mirabelle!" Martina Bold weist ihn lachend darauf hin, dass es sich bei dem Flugtier eher um eine Libelle handele. Zwischenzeitlich bleiben sie kurz stehen. Dann darf Jakob, noch auf Fridolin sitzend, mit einem Ball ein paar Zielübungen auf eine Scheibe machen. Manches trifft er zielgenau, manches geht daneben. Weiter im Trab hebt er ab und an mal die linke, mal die rechte Hand – Übungen für den Gleichgewichtssinn. Auch Bälle balanciert er zeitweise während des Reitens. „Das ist schon eine riesige Aufgabe auf dem wuchtigen Teil", sagt Martina Bold scherzhaft über das hüfthohe Pony.
Ihre Therapeuten-Kollegin Jenny Jakobs ist derweil mit der 21-jährigen Kyra in der Halle unterwegs. Im Verein Herzenssache ist sie seit 2014 engagiert, zunächst als Helferin. 2017 startete sie eine Weiterbildung zur Reittherapeutin an einem Bildungsinstitut am Bodensee. Das sei nicht günstig, koste summa summarum mit Fahrtkosten um die 10.000 Euro. Ihrem Lächeln nach zu urteilen war es eine Summe, die sich gelohnt hat.
Kyra wiederum ist auf Lotti unterwegs. „Entspannend" ist das, sagt sie. Die junge Frau aus Überherrn ist seit etwa zwei Jahren in der Therapie und hat wegen eines Gen-Defekts eine Gehbehinderung. Die hübsche Stute Lotti ist eine Mischung zwischen Araber und Haflinger und kommt aus Trier, wie die Vereinsvorsitzende Petra Jenal erzählt. „Wir suchen unsere Pferde nur nach Herz aus." Bei Lotti habe die Chemie direkt gestimmt und nach zwei Besuchen zum Kennenlernen habe man sie geholt – Ehrensache eben.
Ziel ist, die Reittherapie möglichst vielen Kindern zu ermöglichen
Wenn Sommerferien sind, haben die Pferde auch mal frei. Denn derzeit sind rund 100 vor allem Kinder und Jugendliche beim Verein angemeldet, aber auch einige Erwachsene. Der etwa 200 Mitglieder starke Verein habe sich zum Ziel gesetzt, die Reittherapie möglichst vielen behinderten Kindern zu ermöglichen. Wenn es finanziell seitens der Eltern mal knapp werden sollte, springe der Verein helfend ein, um diese besondere Form der Krankengymnastik zu finanzieren. Darüber hinaus sorgt Ehrensache für die Beschaffung von Ausrüstungsmaterial für Reiter und Pferd und entlohnt natürlich auch die Therapeutinnen.
Wenn die Therapiestunde beendet ist, geht es mitunter noch kurz in die Sole-Sauerstoff-Hütte. Diese steht direkt neben der Halle und funktioniert im Grunde wie eine Salzgrotte. Sprich: Man geht mit dem Pferd hinein und atmet die mit Salz versetzte Luft ein. „Wir erzeugen Meeresklima", erklärt es Petra Jenal. Das sei zum Beispiel ideal, wenn man Schnupfen habe und man wieder freier atmen möchte. „Im Winter mischen wir manchmal noch Thymian bei", so Petra Jenal.