Die Politik ringt um ein neues Infektionsschutzgesetz. In großen Zügen ist es klar, aber der Teufel steckt im Detail der Praktikabilität. Die gute Botschaft: Ein neuer, angepasster Impfstoff steht rechtzeitig zur Verfügung.
Das Ringen um ein neues Infektionsschutzgesetz zehrt allmählich an den Nerven. Kaum liegt ein Entwurf vor, schwappt eine Welle von Reaktionen übers Land. Die einen begrüßen, die anderen kritisieren, und am Ende fällt es schwer, durchzublicken, was denn nun kommen soll. Kommentatoren meinen gar, es brauche schon eine höhere Ausbildung, um alles verstehen zu können. Die Crux bei der Diskussion sind nach wie vor mögliche Ausnahmeregelungen und klare Kriterien, ab wann was gilt.
Einigermaßen unbestritten ist, dass erstens die Pandemie nicht vorbei und zweitens im Herbst die nächste Welle erwartbar ist. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) formuliert das in der von ihm bekannten drastischen Art: „Ich persönlich gehe davon aus, dass wir im Oktober Schwierigkeiten bekommen werden."
Wie mit diesen „Schwierigkeiten" umzugehen ist, dazu gibt es bei den Ampel-Koalitionspartnern bekanntlich grundlegend unterschiedliche Auffassungen. Lauterbach steht seit jeher für einen ziemlich strengen Kurs zur Eindämmung der Pandemie, der Koalitionspartner FDP, diesmal in Gestalt von Justizminister Marco Buschmann, für einen liberalen Umgang, der wiederum vielen als zu locker oder leichtsinnig vorkommt.
Nun war es für beide schon ein mühsames Geschäft, das in einen gemeinsamen Entwurf zu packen, mit dem beide Seite leben können. Was aber nur die halbe Miete war, schließlich haben andere, nämlich die Länder, ein gewichtiges Wort mitzureden, zum einen aus formalen Gründen, zum anderen weil an ihnen letztlich die Umsetzung hängt. Diese Gemengelage hatte schon in der Vergangenheit zu einem vielstimmigen Chor geführt, der bei so ziemlich allen Betroffenen die Nerven strapaziert hat.
Einige Unterschiede zu früheren Diskussionen gibt es allerdings. Zum einen ist klar, dass flächendeckende Lockdowns und Schulschließungen nicht mehr drohen. Auch die Frage, was bundeseinheitlich geklärt und was in Länderverantwortung entschieden werden soll und muss, ist etwas klarer.
Neuer Kompromiss, alte Streitthemen
Dazu kommt ein Aspekt, der für manchen die Sache etwas verkompliziert, aber als Lehre aus der Vergangenheit ein wichtiges demokratisches Element ist: Länder können je nach regionaler Entwicklung auch regional weitreichendere Maßnahmen treffen. Das werden aber künftig nicht mehr Landesregierungen, sondern die Parlamente in den Ländern beschließen.
Ansonsten dürfte die Befürchtung mancher Kritiker, dass es in Teilen wieder zu einem etwas unübersichtlichen Flickenteppich von Regelungen kommen könnte, nicht aus der Luft gegriffen sein. Das aber wird ein unlösbares Problem bleiben. Einheitslösungen bei regional unterschiedlichen Infektionsentwicklungen sind in der Sache (und vielfach auch juristisch) kaum begründbar, gleichzeitig würden sich Menschen aber gern an einem klaren Rahmen orientieren, der nicht an Landesgrenzen (und womöglich wieder an Kreisgrenzen) wechselt.
Wichtig wäre deshalb ein Maßstab, an dem leicht abzulesen ist, was bei welchen Entwicklungen gilt. Das gab es in der Anfangsphase anhand von Inzidenzwerten. Weil die aber alleine mit fortschreitender Zeit (und Impfungen) nicht mehr aussagekräftig genug waren im Hinblick auf eine mögliche drohende Überlastung des Gesundheitssystems, wurde mit Hospitalisierungsraten gearbeitet, also der Kennziffer über die Belegung von Krankenhäusern mit Corona-Patienten. Das wiederum hat sich in der Praxis als zu ungenau und im Wesentlichen nur schwer handhabbar erwiesen. Wenn es aber keine einfachen, leicht für jeden nachvollziehbaren Kennzahlen gibt, wird das Verständnis für Maßnahmen kaum wachsen.
Ärger ist ohnehin vorprogrammiert beim Reizthema Maskenpflicht. Bekannt und belegt ist, dass ordentliche Masken ordnungsgemäß getragen einen signifikanten Schutz bieten. Es hängt also nicht am Erkenntnisgewinn. Die Maske ist in einer hochemotionalisierten Diskussion zum politischen und ideologischen Symbol geworden. Das erklärt auch die Mühsal, politisch etwas aus wissenschaftlicher Sicht Vernünftiges zu beschließen – und dann auch noch für die Durchsetzung zu sorgen. Gerichte haben in der Vergangenheit jedenfalls durch die Bank entschieden, dass eine Maskenpflicht vergleichsweise wenig belastend und freiheitseinschränkend und damit ein zumutbares Mittel sind. Chronische Maskengegner hat das nicht beeindruckt. Gleichzeitig haben in der ersten schweren Corona-Sommerwelle, in der so gut wie alle Maßnahmen außer Kraft waren, Appelle zum freiwilligen Maskentragen eine lediglich überschaubaren Effekt erzielt. Dabei ist Maskentragen beispielsweise im ÖPNV oder in Gesundheitseinrichtungen längst Routine.
Neuer Impfstoff doch früher verfügbar
Zumindest dabei wird es auch bleiben. In der Gastronomie oder bei Veranstaltungen beispielsweise wird es dann schon etwas komplizierter mit Ausnahmemöglichkeiten und Hausrecht. Und was das Testen betrifft, wird es nach dem Ende der kostenfreien Bürgertests auch nicht wieder einfacher.
In Sachen Impfen hören sich die jüngsten Ankündigungen immerhin zuversichtlich an. Biontech-Chef Ugur Sahin zeigte sich in einem „Spiegel"-Interview optimistisch: „Wir können sehr zeitnah ausliefern, hoffentlich ab Anfang September." Schon lange war ein an die Omikron-Variante angepasster Impfstoff für Herbst in Aussicht gestellt, man ging bislang davon aus, dass eine Zulassung aber noch etwas auf sich warten lassen könnte. Biontech kündigt nun aber gleich zwei neue Impfstoffe; der eine angepasst an die ursprüngliche Omikron-Variante, der andere, der als Booster noch etwas spezifischer hinsichtlich der im Sommer neu aufgetauchten BA.5-Subvariante geeignet sein soll. Die Zulassung für diesen zweiten neuen Impfstoff könnte etwas später erfolgen, Unterlagen an die europäische Arzneimittel-Agentur Ema seien jetzt aber eingereicht, betont Sahin. Die Ema prüft derzeit auch einen Antrag von Moderna, die wie Biontech eine Weiterentwicklung ihres mRNA-Impfstoff eingereicht hatten.
Die Aussicht auf die angepassten Vakzine könnte, so die Hoffnung, die Impfbereitschaft noch einmal wachsen lassen. Viele haben vor allem für Booster-Impfungen offenbar noch gewartet, nachdem ja schon länger für Herbst die angepassten Neuentwicklungen angekündigt waren. In den letzten Wochen hat es beim Impfen jedenfalls ausweichlich des RKI-Impfdashboards keine nennenswerten Fortschritte gegeben. Bei Erst- und Zweitimpfung, also der Grundimmunisierung, stagnieren die Zahlen, auch bei der ersten Auffrischung gab es keine nennenswerten Fortschritte. Lediglich bei der zweiten Booster-Impfung weist das Dashboard einen leichten, aber immerhin konstanten Anstieg aus. Impfen gilt nach wie vor als schärfste Waffe gegen die Pandemie, vor allem aber gegen schwere Verläufe. Das Argument ist eigentlich hinreichend bekannt, aber auch in diesem Fall sei es keine Frage des Erkenntnisgewinns, sondern der Bereitschaft.
Mit der Erarbeitung des Infektionsschutzgesetzes war immer auch die Ankündigung neuer Impfkampagnen für den Herbst verbunden. Davon ist derzeit, wo nach und nach in den Ländern die großen Ferien zu Ende gegangen sind oder gehen, wenig bis nichts zu sehen.
Das aber wäre dringend geboten, wenn man Lauterbachs Mahnung ernst nimmt, der, wie gesagt, davon ausgeht, „dass wir im Herbst Schwierigkeiten bekommen werden".