Die promovierte Meeresbiologin Frauke Bagusche sensibilisiert junge Menschen für die Plastikvermüllung der Meere und heimischen Gewässer. Indem die Heranwachsenden selbst aktiv werden, sollen sie wieder einen Bezug zur Natur finden. Wir begleiteten die 44-Jährige auf einer Exkursion.
Auf dem Landungssteg an der Saar in Saarlouis steht Meeresbiologin Dr. Frauke Bagusche und wartet auf die Schülerschar. Es ist ein Freitagmorgen Mitte Juni, mehr als 30 Grad sind vorhergesagt. Die jungen Teenager sollen unweit ihrer Schule bei einer Exkursion erleben, dass die Vermüllung der Umwelt für Gewässer und Tierwelt ein ernsthaftes Problem darstellen kann. Trotz eines Projekttages draußen in der Natur ist offensichtlich die Motivation bei einigen der acht Mädchen und acht Jungen der Gemeinschaftsschule In den Fliesen nicht sonderlich hoch. Doch nur wenig später soll sich das ändern.
Für die Schüler ist Frauke Bagusche keine Unbekannte, war sie doch im Herbst an der gebundenen Ganztagsschule und hielt einen Vortrag über Plastikvermüllung der Meere und heimischen Gewässer. Überhaupt arbeitet die Klasse 7b in diesem Halbjahr verstärkt mit ihrer Lehrerin Constanze Schramm zum Thema Plastik. Unter anderem besuchten sie in Saarlouis den Unverpackt-Laden, bastelten aus alten T-Shirts Stofftaschen, stellten Bienenwachstücher her und führten ein Müll-Tagebuch.
Plastikpellets in Saar und Blies
Unterdessen fragt Frauke Bagusche in die Runde: „Wer kann gut Segelknoten machen?" Abdul Ezzo, der Lauteste und Selbstbewussteste von allen, meldet sich. Am Saarufer, da wo normalerweise Kanus an- und ablegen, kommt auf den Teenager die erste Aufgabe zu: Abdul soll das Mikroplastiknetz in den Fluss werfen. Das gelingt ihm letztlich beim zweiten Versuch. Der 15-Jährige aus Saarlouis wird später sagen, dass ihm in diesem Projektschuljahr am besten die Exkursion mit Frauke Bagusche gefallen hat. Und zwar weil er und die anderen aktiv etwas bewirken konnten und ihm das Spaß gemacht hat. Doch freiwillig würde er bei einer solchen Müllsammelaktion nicht mitmachen. Was ihm negativ in Saarlouis aufgefallen ist: In der Nähe des Hallenbads hätten Leute ihren Müll abgelagert. „Würde es mehr Mülltonnen für Plastik geben, wäre es sauberer", meint er. Über seinen Einfluss auf die Vermüllung der Meere macht er sich jedoch keine Illusionen: Er selbst kann den Müll entsorgen und seine Freunde darauf aufmerksam machen, dass sie das Gleiche tun sollen. „Ein Einzelner kann auch nicht die Welt vor Plastikmüll retten." Das Netz mit einer Maschenweite von 500 Mikrometer soll kleinste Plastikpartikel aus der Saar herausfiltern. An diesem Tag allerdings wird kein Mikroplastik im Netz hängen bleiben, weil wegen der Hitze die Saar langsamer als sonst fließt. Aber: Saar und Blies sind mit Plastikpellets aus der Industrie verschmutzt, in kleineren Bächen wie im Köllerbach finden sich dagegen vor allem winzige Textilfasern aus synthetischen Materialien. Während Abdul Ezzo und Frauke Bagusche das im Netz liegende Wasser prüfen, sammeln die anderen mit Grillzange den herumliegenden Abfall ein. Die drei Müllsammel-Teams sollen so viel Weggeworfenes wie möglich in Plastiksäcken sammeln. In der Nähe des Landungsstegs findet ein Siebtklässler jede Menge Zigarettenkippen, seine Mitschülerin ein Paar Badelatschen. Bei der Müllsammelaktion liegt das Augenmerk auf Verpackungsmaterial und Kippen. Glas, volle Hundekotbeutel und Kondome sollen jedoch liegen gelassen werden.
Was aber verschlägt eine Meeresbiologin ausgerechnet ins Saarland, einem Binnenland ohne Meeresküste? Eigentlich wollte sie nur ihren älteren Bruder, der in Saarbrücken wohnt, besuchen und danach wieder ins Ausland gehen. Die 44-Jährige lebte und arbeitete als Meeresbiologin in Ägypten, Österreich, Frankreich, den Malediven und England. Doch der Kurzaufenthalt im Saarland dauerte länger als geplant, denn für sie eröffneten sich neue Chancen. Frauke Bagusche rief Ende 2018 mit ihrer Freundin Angela Jensen den Verein The Blue Mind mit Sitz in Saarbrücken ins Leben. Die zwei Meeresbiologinnen sind mit dem vereinseigenen Meer-Mobil im Saarland, in Rheinland-Pfalz und Hessen unterwegs – mit einer klaren Mission: Sie wollen Kinder wie Erwachsene dafür begeistern, die Meere zu schützen und deren Artenvielfalt zu bewahren. Hierzulande fördert seit zweieinhalb Jahren das saarländische Umweltministerium die Bildungsarbeit des Vereins an Grund- und weiterführenden Schulen. Im Saarland hat Frauke Bagusche bislang gut 100 Schulen besucht. Außerdem hält die gebürtige Nordrhein-Westfälin deutschlandweit Vorträge und veranstaltet Fortbildungen für Lehrer und Erzieher.
Heute sagt Frauke Bagusche, dass The Blue Mind ein Momentum für die Umweltbildungsarbeit markierte. Doch ehe der Verein nach unzähligen Förderanträgen bei Lotterien und Umweltministerien richtig durchstarten konnte, erlebte sie einen herben Rückschlag. Die chronische Schmerzerkrankung Fibromyalgie warf sie 2016 aus der gewohnten Bahn, über Jahre war Frauke Bagusche im Unklaren, was die genaue Ursache für die starken Schmerzen war. Mittlerweile spricht sie offen darüber. Auch wenn Medikamente nicht ihre Schmerzen lindern können, tut ihr jede Bewegung gut, seien es Spaziergänge mit ihrem Hund oder auch das Meeresklima.
Ein wurmähnliches Tier wird gefangen
Unterwegs zur zweiten Station der Exkursion, wo die nächste Aufgabe auf die Teenager wartet, folgt die Gruppe weiter dem Flusslauf. Frauke Bagusche ruft den jungen Menschen zu: „Achtung, jetzt kommen wir an einen Hotspot". Auf einem Grünstreifen liegt allerhand Verpackungsmüll. Ein Junge in kurzer Hose und mit einem Basketballcap entdeckt sogar das Passbild eines kleinen Mädchens und präsentiert es stolz. Die Exkursionsleiterin erzählt, dass das UV-Licht der Sonne und die Witterung das in freier Natur entsorgte Plastik spröde macht. So ist teilweise gar nicht mehr zu erkennen, welches Produkt damit einmal verpackt war. Weiter geht’s nach links auf einen Weg, der leicht ansteigt. Oben angelangt öffnet sich linker Hand ein Feld, rechts hinter einer Baumgruppe versteckt liegt der Saaraltarm.
Dort angekommen, sucht Frauke Bagusche mit Lehrerin Constanze Schramm nach dem schmalen Zugang zur Wasserstelle. Das Gras steht hier hoch, dornenbesetzte Zweige versperren den Weg. An der sanft abfallenden Uferstelle sagt Frauke Bagusche, was zu tun ist. In zwei Eimern sollen Wasserproben gesammelt werden. „Im Wasser hier leben viele Tiere", sagt sie, welche genau wie im Meer, zum sogenannten Zooplankton zählen. „Ihr müsst euch nicht vor dem Wasser und den kleinen Tiere ekeln", versucht Frauke Bagusche den jungen Leuten die Hemmungen zu nehmen. Zwei Jungen, die nah am Ufer stehen, ziehen Kescher durchs Wasser und holen dem Anschein nach nichts weiter als Algen hervor. Frauke Bagusche fordert einen von ihnen auf, den Kescher tiefer durchs Wasser zu ziehen. Sie selbst fängt mit einem Gefäß ein wurmähnliches Tier, das sich als Fischegel-Larve entpuppt. Tatsächlich ist es so, dass man in stehenden und langsam fließenden Gewässern gut Wasserproben sammeln kann, wie die Meeresbiologin erklärt. Weiter oberhalb der Wasserstelle stellt ein Mädchen bewundernd fest, dass Frauke Bagusche aus dem Stegreif die kleinen Lebewesen bestimmen kann.
„Kinder verlieren die Distanz zur Umwelt"
Am frühen Vormittag ist es Zeit für den Rückweg, schließlich steht noch der letzte Teil der Exkursion, das Arbeiten mit den Binokularen im Klassenraum, an. Unter dem optischen Gerät, durch das man mit beiden Augen durchsehen kann, beobachten später die Jugendlichen in Petrischalen schwimmende Larven von Libellen, Fischegeln und Eintagsfliegen. Auf dem Weg zurück zur Schule kommt Frauke Bagusche noch einmal ins Erzählen. Viele Kinder haben durch ihre Lebensumstände völlig den Bezug zur Natur verloren. Daher sei es kein Wunder, dass viele von ihnen nicht wissen, dass in den heimischen Gewässern viele Tiere leben. „Aber mit der Praxis verlieren die Kinder die Distanz zur Umwelt", meint die Autorin des 2019 herausgekommenen Buchs „Das Blaue Wunder". Darin schreibt sie über die Verwundbarkeit und faszinierende Artenvielfalt der Meere. Kinder und Erwachsene können sich wieder bewusst werden, dass wir „ein Teil der Natur und von ihr abhängig sind". Je mehr Zeit sie vorm Laptop und Smartphone verbringe, umso mehr entfremde sie sich von der Natur, ist Frauke Bagusches Erfahrung.
Auf dem Schulhof legt die Gruppe einen Zwischenstopp ein. Frauke Bagusche kippt den Inhalt der Müllsäcke aus und lobt die Schüler: „Ihr habt gute Arbeit geleistet". Jetzt sollen die jungen Müllsammler das Sammelsurium nach Zigarettenstummeln, Getränkeflaschen, Joghurtbechern, Plastiktüten und Sonstigem sortieren. „Macht mal nur fünf Haufen", fordert sie die knienden und gebückt stehenden Jugendlichen auf. Das Ergebnis: Verpackungen von Lebensmitteln und Kippen wurden am meisten gesammelt. „Ihr habt damit ein paar Hundert Tiere gerettet", sagt Frauke Bagusche anerkennend. Den gesammelten Müll entsorgen die Siebtklässler kurz darauf in Containern der Schule. Und zum Schluss appelliert sie an die Schülergruppe: „Ich weiß, dass einige von euch rauchen. Seid bitte so nett, und werft die Zigaretten nicht auf den Boden." Denn eine Zigarettenkippe kann, so sagt sie, bis zu 1.000 Liter Wasser mit Nikotin verseuchen und vergiftet somit den Lebensraum kleiner Wassertiere. Zumindest möchte die Siebtklässlerin Melissa Heintzer künftig in ihrem Alltag etwas dafür tun, dass die Vermüllung der Meere mit Plastik zurückgeht. Daher würde sie mehr Getränke in Glas- als in Plastikflaschen einkaufen. „Wenn Plastikflaschen in der Umwelt landen, essen das die Tiere", sagt sie. Statt weiter Plastiktüten herzustellen, fände sie besser Stofftaschen zu verwenden. Und wenn ihr bei Spaziergängen mit ihrem Hund auf der Straße liegender Müll auffällt, entsorgt sie ihn. So will sie vermeiden, dass der Hund diesen Abfall frisst. In ihrem Wohnort im lothringischen Merten nahe Überherrn-Bisten habe sie schon manche Plastikflasche und Chipstüte aufgehoben – und somit einen kleinen Beitrag für eine sauberere Umwelt geleistet.