Über die feinen Unterschiede der britischen Kandidaten – wenn es sie gibt
Noch bis zum 2. September, 17 Uhr, also quasi heute, können Mitglieder der britischen Konservativen wählen, wer Boris Johnson als Tory Leader und damit auch als Premierminister nachfolgt: Liz Truss oder Rishi Sunak.
Ein seriöser Kolumnist würde fragen: Was wäre der Unterschied zwischen Truss und Sunak – oder aber deren Unterschied zu Johnson? Doch es geht ja ums englische Parlament, und dort ist Seriosität in den vergangenen Jahren aus der Mode geraten.
Auf die Frage, worin sich die beiden potenziellen Neuen vom Vorgänger unterscheiden, gebe es durchaus die eine oder andere Antwort. Beispielsweise: Beide haben weniger Charme, aber mehr Frisur als Johnson. Ich habe mir jedoch, einen Augenblick zu lange vielleicht, die entgegengesetzte Frage gestellt: Was hätte, unabhängig vom Wahlausgang, der/die neue Tory-Leader mit dem Vorgänger gemeinsam? Und stoße dabei auf: Oxford.
Beide Kandidaten haben dort studiert, Liz Truss am Merton College, Rishi Sunak am Lincoln College. Das kann man sich in etwa so vorstellen wie Gryffindor und Slytherin. Mit einer Oxford-Erziehung kommen beide immerhin aus so etwas Ähnlichem wie Hogwarts, und wer Harry Potter gelesen hat, weiß, egal auf welches der vier Hogwarts-Colleges/-Häuser man geht – nach dem Abschluss treffen sich alle im Magischen Ministerium wieder.
Truss studierte PPE (Philosophy, Politics, Economics; das studiert man in Oxford im Gesamtpaket). Und Sunak, Sie ahnen es, ebenfalls PPE. Auch Johnson ist Oxford-Absolvent (Balliol College), und sein halbes Kabinett bestand aus ehemaligen „Oxbridge" (Oxford+Cambridge)-Studenten, einige davon alte Studienkollegen Johnsons. Seine Vorgängerin übrigens, Theresa May, studierte ebenfalls dort, sowie deren Vorgänger David Cameron. Letzterer war sogar in denselben Clubs wie Boris, beispielsweise im Bullingdon Club, einem Dinnerclub, sowie im Debattierclub der Oxford Union Society.
Auch das große Vorbild von Liz Truss, Maggie Thatcher, ist durch die Oxforder Schule gegangen und war dort im Debattierclub.
Nun sind die bisher Genannten alle Tories. Aber keine Bange, es handelt sich nicht um ein rein „conservatives" Phänomen. Der letzte große Labour-Premierminister, Tony Blair, studierte ebenfalls in Oxford. Genau wie ein anderer langjähriger Labour-Premier, Harold Wilson.
Um es kurz zu machen: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 13-mal Oxford-Absolventinnen und -Absolventen an die Spitze des britischen Parlamentes gewählt. Lediglich Churchill, Major und Brown hielten sich aus Oxford fern. Churchill besuchte eine Militärakademie, Brown ist Schotte, die haben selbst gute Unis und müssen also nicht nach Oxford. Und bei John Major hätte auch eine Oxford-Erziehung nichts geholfen, der war und ist bis auf den heutigen Tag bekennender EU-Anhänger.
Nicht dass Sie meinen, britische Premierminister kämen ausschließlich aus Oxford. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab’s immerhin mehr als ein Dutzend aus Cambridge. Seit Robert Walpole 1721 führt Oxford bei den Premiers – anders als beim Bootsrennen – mit 29:14!
Was lernen die eigentlich in Oxford? Nun, unter anderem: Debattieren. Es gibt da den bereits erwähnten Debattierclub der Oxford Union. Dort lernt man, erfolgreich eine Meinung zu vertreten, wobei es sich nicht zwingend um die eigene handeln muss. Der Club verfügt, mitten in der Oxforder Innenstadt, über einen Nachbau des Parlamentssaals des britischen Unterhauses.
Jede Woche gibt es ein Debatten-Thema, das mit der Frage Ja oder Nein (Aye/No) beantwortet werden kann. Die Debattierclub-Mitglieder werden dann zu der Dafür- oder Dagegen-Gruppe eingeteilt, es wird drauflosdebattiert und am Ende verlassen die Zuhörer das Spielzeugparlament durch die „Ayes"- oder „Nos"-Tür, je nachdem, welche Argumentationsweise besser gefallen hat.
An beiden Türen wird durchgezählt, und es gewinnt die Meinung, durch deren Tür die meisten Zuhörer den Saal verlassen. Zum Sieg bedarf es keiner dezidierten Meinung oder gar eines Rückgrats, sondern lediglich geschickter Rhetorik.
Worin also Rishi und Sunak für den künftigen Top-Posten beide gleichermaßen geübt sind, ist das Debattieren und Argumentieren – nicht zu verwechseln mit „für eine innere Überzeugung eintreten".