Mittenwald in Oberbayern ist der höchstgelegene Luftkurort in Deutschland. Vor allem Wanderer finden hier traumhafte Touren inmitten einer grandiosen Natur.
Ja, keine Frage, das im oberbayerischen Landkreis Garmisch-Partenkirchen gelegene Örtchen Mittenwald ist ein schöner, sehenswerter Ort. Der höchstgelegene Luftkurort Deutschlands liegt 80 Kilometer südlich von München, umgeben vom Karwendel- und Wetterstein-Gebirge und die Grenze zu Österreich erreicht man fußläufig in einer knappen halben Stunde. Wer sich aus der Ferne von Oberbayern ein festes Bild, vielleicht sogar ein Vorurteil gebildet hat – hier könnte er bestätigt werden. Es gibt schmucke, teils noch mit Schindeln bedeckte Häuser, vielfach mit farbenprächtigen Lüftl-Malereien an den Außenwänden; die Küche ist vorwiegend deftig, das Bier würzig und zu besonderen Anlässen zeigen sich Musikkapellen, Trachtenvereine und die Gebirgsschützen. Es gibt schöne Geschäfte, Designerläden, hochwertige Textilien, Schmuck- und Kristallgeschäfte. Aber natürlich gibt es auch Gammel, Ledergürtel und Glasperlen. Die Lederhose und der bekannte Gamsbart am schnittigen Filzhut sind allerdings auf dem Rückzug.
Quirliges Leben in der Stadt
In den engen Gassen und Straßen des Ortszentrums herrscht quirliges Leben, man könnte aber auch sagen: Es ist voll zur Hochsaison im Sommer, vielleicht zu voll. Mountainbiker, ambitionierte Kletterer, Wochenendausflügler bevölkern den schmalen Raum zwischen Obermarkt und Bahnhofstraße, Gaststätten, Straßenlokale und Souvenirläden prägen das Straßenbild. Keine Frage – der Tourismus ist hier die Haupteinnahmequelle, denn verarbeitende Betriebe, Arbeitsplätze in der Produktion gibt es kaum.
Das war nicht immer so. In frühen Zeiten war Mittenwald eine blühende Handelsstadt, unmittelbar gelegen an der Römerstraße Via Raetia, die bereits im 2. Jahrhundert n. Chr. Bozen und Augsburg miteinander verband. Römische Straßenmarkierungen und Meilensteine wurden in Mittenwald als steinerne Zeugen dieser Geschichte gefunden. Zudem bot die Lage an der Isar beste Chancen: Die umliegenden Wälder boten Holz, das Wasser die Möglichkeit zur Flößerei, und so war es selbstverständlich, dass Mittenwald 1305 das Marktrecht erhielt. Noch heute zeugen mächtige Torbögen und Gewölbe als Lagerräume in manchen Häusern davon, dass der Ort einst Hauptumschlagplatz zwischen Oberitalien, Tirol und Bayern war. Wer es zu Reichtum und Wohlstand brachte, ließ die Fassaden seines Hauses prächtig ausgestalten und bemalen.
Später kam der noch heute weltberühmte Geigenbau hinzu, begründet von Matthias Klotz, dem neben der Kirche ein Denkmal gesetzt wurde. Im Geigenbaumuseum, in einem der ältesten und reizvollsten Häuser Mittenwalds untergebracht, kann der Besucher Einblicke in das Geigenbau-Handwerk und die Ortsgeschichte gewinnen. Johann Wolfgang von Goethe, der auf seiner Reise nach Italien in Mittenwald Station machte, nannte den Ort ein „lebendiges Bilderbuch". Das ist lange her. Mit der Eröffnung der Mittenwald-Bahn zwischen Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck im Jahr 1912 begann die Entwicklung des Fremdenverkehrs und der scheint bis heute kein Ende gefunden zu haben. Es gibt 600 Beherbergungsbetriebe und 70 Restaurants in und um den Ort – und es wird weiter gebaut. Denn dies ist, nach dem ersten idyllischen Eindruck, die zweite Auffälligkeit: Kaum ein Haus, das kein Fremdenzimmer oder eine Ferienwohnung anbietet, die Bebauung des Ortes ist eng, freier Platz ein rares Gut. Die Parkplatzgebühren an den Wanderwegen sind deftig, und es kommt schon mal vor, dass man alleine an einem freien Tisch für vier und mehr Personen nicht Platz nehmen darf, denn das schmälert schließlich die potenziellen Einnahmen.
Barfusswanderweg mit 24 Stationen
Wenden wir uns also lieber der Natur zu, der lieblichen Landschaft am Fuße steiler Gebirge. Sie zu erwandern hängt davon ab, in welcher körperlichen Verfassung sich der Gast befindet. Und dies ist nun ein unschlagbarer Vorteil Mittenwalds: Hier ist für jeden etwas dabei, moderate Wanderungen ebenso wie alpine Touren. Um sich einzufinden ist als Erstes eine eher gemächliche Tour rund um den Hohen Kranzberg (1.397 Meter) zu empfehlen. Für diese wie auch für viele andere Touren ist der Parkplatz neben dem Sessellift der ideale Ausgangspunkt. Von hier aus geht es in Richtung der beiden wunderschönen Bergseen am Fuße des Wettersteingebirges. Die Wege sind breit, nicht zu steil und führen zunächst zum Lautersee, wobei ein Teil der Strecke als geologischer Lehrpfad dient, der anhand von Schaukästen und Findlingen viel Wissenswertes zur Entstehung der Region darstellt. Der bis zu 19 Meter tiefe See spiegelt diesen Gebirgszug malerisch wider und zahlreiche Bänke laden zum Verweilen ein. Weiter geht es über einen bequemen Schotterweg zum Ferchensee, an dessen flachem Ufer sich der beeindruckenste Blick auf den Wetterstein bietet. Wer mag, wandert ebenen Weges weiter zum drei Kilometer entfernten Schloss Elmau, das als Kulisse der G7-Gipfel weithin bekannt ist. Richtung Krün breiten sich die Buckelwiesen aus, über die man bequem in großem Bogen zurück nach Mittenwald laufen kann. Diese grasbewachsenen Bodenwellen entstanden zur Eiszeit und stehen heute unter Naturschutz, da sich dort unter anderem seltene Pflanzenarten wie Enzian, Habichtskraut und Mehlprimeln angesiedelt haben. Es bietet sich allerdings auch die Möglichkeit, einem Abzweig folgend den Hohen Kranzberg quasi von hinten zu ersteigen. Hier geht es gemäßigt bergauf, und der Gipfel dieses Mittenwalder Hausberges belohnt den Wanderer mit einem grandiosen Blick auf das Karwendelgebirge, bei guter Sicht auch hinüber zur Zugspitze und 92 weiteren Gipfeln. Auf hölzernen Liegesesseln ruht man aus und genießt dieses einmalige Natur-Panorama.
Murmeltiere und Steinadler
Der Abstieg nach Mittenwald ist ermüdend. Stattdessen sollte man die 24 Stationen des Barfußwanderweges unterhalb der Kranzberggipfels durchlaufen, der die Füße durch unterschiedliche Materialien wie Moos, Kieselsteine, Tannenzapfen und Baumrinden reizt und dadurch den Stoffwechsel anregt und die Rückenmuskulatur stärkt. Ein besonderes Vergnügen ist die Talfahrt mit dem Sessellift. Das wackelt und schunkelt ganz wunderbar, und je tiefer man dem Tal entgegengondelt, desto mächtiger und imposanter erhebt sich das gegenüberliegende Karwendelgebirge. Ein wenig Mut und unerschütterliches Vertrauen in die Konstruktion des schmalen Steiges erfordert ein Spaziergang durch die Leutascher Geisterklamm. Dies ist keine Bergwanderung, sondern purer Nervenkitzel. Auf bereits österreichischem Gebiet führt ein schmaler, nahezu freischwebender Steig über eine 40 Meter tiefe Schlucht, zwischen steil aufragenden Felswänden sprudelt tief unten die Leutascher Ache. Der Sage nach sollen Geister und Kobolde hier ihre Späße getrieben haben, zahlreiche Textschilder erzählen ihre Geschichte und führen zu den Teufelsgumpen und der Geistergrotte. Wer ein außergewöhnliches Foto oder Selfie machen will, scheut den Abstecher auf die Panoramabrücke nicht. Die Tour wird abgerundet nach steilem Abstieg zum Wasserfallsteig, wo aus 23 Metern Höhe das Wasser in die Tiefe rauscht und der Sprühnebel bei günstigem Lichteinfall einen bunt schillernden Regenbogen spannt. Grundsolide Kondition, Schwindelfreiheit und Trittsicherheit erfordert hingegen der beschwerliche Anstieg zur Hochlandhütte, die knapp unterhalb der Baumgrenze im Karwendelgebirge liegt. Auf einer kleinen Wiese auf 1.630 Metern Höhe wurde die Hütte im Schatten des Wörner errichtet. Aber die Anstrengung des dreistündigen Aufstiegs wird belohnt durch atemberaubende Ausblicke auf die alles überragenden kargen Gipfel, die weite Sicht auf das gegenüberliegende Wettersteinmassiv und die alpine Bergwelt von Zugspitze und Estergebirge. Die Kombination von Almen und schroffen Felsen hier ist einzigartig im deutschen Alpenraum. Gut möglich, dass Steinböcke und Gämsen die schmalen Steige kreuzen. Auch Murmeltiere, Kreuzottern und Steinadler sind hier zu Hause. Der Abstieg über den Ochsenboden ist anstrengend, und ganz sicher sollte man bei allen Touren auf die auf den Ausschilderungen angegebenen Gehzeiten ein gutes Drittel zuschlagen. Wer sich für seine Mühen und Anstrengungen abschließend belohnen will, der nehme den Bus zum Walchensee und lasse sich mit der Herzogstandbahn zum Fahrenberg hinaufgondeln. Einen schöneren Blick auf den See und das Alpenvorland gibt es nicht. Nun ist man sich sicher, nicht das letzte Mal in Mittenwald gewesen zu sein.