In der Provinz Soria in der Region Kastilien können Besucher in Spaniens spannende Geschichte und besondere Bräuche eintauchen. Ein sicher einmaliges Erlebnis ist der jährliche Feuerlauf.
Etwas Außergewöhnliches lässt sich in San Pedro Manrique erleben, einem 1.177 Meter hoch gelegenen Bergdorf in der Provinz Soria, die zur Autonomen Region Kastilien und León gehört. Und zwar beim Johannisfest am 23. Juni, das die 600-Einwohner-Gemeinde mit einem „Paso del Fuego", dem Gang übers Feuer, feiert.
Hintergrund ist ein uralter vorchristlicher Ritus, der weiterhin auch in einigen südeuropäischen und asiatischen (nicht christlichen) Ländern gepflegt wird. Ausgangspunkt ist die Sommersonnenwende, das wichtigste Datum für die Landwirtschaft auf der nördlichen Halbkugel. Die Kirche hat, diesen Umstand nutzend, den Geburtstag von Johannes dem Täufer auf die Sonnenwende gelegt.
Zum Fest kommen viele angereist
In ganz Spanien wird das Johannisfest am 23. Juni gefeiert, doch nirgends mit einem Feuerlauf wie in San Pedro Manrique. Nur diejenigen, die dort geboren sind, dürfen daran teilnehmen. Das Ereignis wird auch im Fernsehen übertragen, doch die Spannung, die sich vor und bei dem „Paso del Fuego" in dem allein für diesen Zweck gebauten offenen Stadion entwickelt, ist nur vor Ort erfassbar. Um beim Feuerlauf live dabei zu sein, reisen auch zahlreiche Spanier aus anderen Landesteilen an.
Kaum auf einem der 2.500 Plätze angekommen, zieht gleich der Geruch der niedergebrannten Eichenstämme in die Nase. Zwei Männer mit langen Holzstangen (hoguneros) formen die glühende Masse nach und nach zu einen rechteckigen, etwa 15 Zentimeter dicken „Feuerteppich" (hoguera). Mal schlagen sie in die Glut, dass die Funken stieben, dann wird sie wieder geglättet. Derweil sorgt eine Blaskapelle, kostümiert wie in Bayern, für Unterhaltung, und manch ein Lied wird mitgesungen.
Mit Jubel begrüßt das Publikum einige Damen in weißen Blusen. Sie verkörpern die Móndidas, junge Frauen, die die Spanier einst den Arabern als Tribut überreichten, als diese auf der Iberischen Halbinsel herrschten. Außerdem sieht man in den Móndidas, die vorher ausgelost werden, die römische Göttin Ceres beziehungsweise die griechische Göttin Demeter, die beide für Ackerbau, Fruchtbarkeit und eine gute Ernte sorgen.
Der Feuerlauf beginnt um Mitternacht. Schnell wird noch nasses Stroh vor den Glutteppich gekippt, um die Füße der Feuerläufer zu kühlen. Mit Fanfarenklang wird der Beginn angekündigt. Ein Mann mit einer Frau auf dem Rücken stapft ruhig, stets ein Knie anhebend, mit kräftigen Schritten über den Feuerteppich. Er schaut nicht ins Publikum, ist ganz bei sich und lässt sich auch nicht von den Scheinwerfern ablenken. Schon geschafft, und gleich startet nach erneutem Fanfarenklang der Nächste.
Der Sohn des Bürgermeisters ist auch mit dabei, und alle setzen die ganze Fußsohle auf, weil so die Sauerstoffzufuhr blockiert und die Hitze gedämpft wird. Mutig tragen sie ihre Freunde, Frauen und Kinder über den Feuerteppich. Ein Vater trägt seinen kleinen Sohn auf den Schultern, der kürzlich eine Krebserkrankung überwunden hat. Es ist ein Dankesakt.
Sie alle haben ein Anliegen, warum sie das tun. Einige haben sicherlich vor dem Feuerlauf zur Madonna in der Kirche „Virgen de la Peña" gebetet. Nach dem letzten Schritt strahlen sie und werden von der Familie und Freunden umarmt und abgeküsst. Das Glücksgefühl nach dem Lauf soll immens und lange Zeit stärkend sein. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich einige fast jedes Jahr dieser Feuerprobe unterziehen.
Im Juni 2022 haben, genau passend, 22 Mutige, darunter zwei Frauen, das Wagnis unbeschadet gemeistert. Nur die Bewohner von San Pedro Manrique können den Feuerlauf ohne Verbrennungen schaffen, so die Volksmeinung. So ist es jedoch nicht. Wille, Selbstvertrauen und Konzentration machen es möglich.
Der Feuerlauf wird im Kopf bestanden, wissen die Experten. Ein Training zuvor gibt es nicht. Wahrscheinlich will in solch einem kleinen Dorf, wo sich alle kennen, niemand abseits stehen. Wie dem auch sei – diese außergewöhnliche Johannisnacht in San Pedro Manrique inmitten von glücklich feiernden Menschen bleibt unvergesslich.
Weniger Hitze als im Flachland
Und die gehen noch lange nicht ins Bett. Nun wird gegessen, getrunken und getanzt. Die Disco-Musik schallt durchs ganze Dorf. Eine ganze Woche lang wird gefeiert.
Also mitmachen oder das „Hotel Rural Los Villares", ein gemütliches Drei-Sterne-Landhotel im Dorf Los Villares de Soria ansteuern. Das liegt auch über 1.000 Meter hoch und bietet angenehme Zimmer, frische Luft, gutes Essen und W-Lan. Gegenüber nisten auf dem Kirchturm Störche.
Noch mehr Überraschendes lässt sich – weitab von Touristenströmen – in Hülle und Fülle in der gesamten Provinz Soria entdecken, in einer Höhe von 1.000 Metern und darüber. Das bedeutet: weniger Hitze als im Flachland und viel frische Luft. Nachts sinken die Temperaturen recht deutlich. Daher zieht es auch die Spanier aus dem heißen Süden des Landes in diese Provinz oder in die Hauptstadt Soria mit ihren rund 40.000 Einwohnern.
Diese Stadt bietet alles, was das Herz begehrt, viele Läden, nette Cafés und versierte Köche, die – wie José Antonio Antón im Restaurant „La Chistera" – ihr Handwerk verstehen.
Frisch gestärkt geht’s nun auf Entdeckungstour. Als Juwel erweist sich die Kirche Santo Domingo aus dem 12. Jahrhundert. Aufgrund ihres figurenreichen Tympanons über dem Eingangsportal gilt sie sogar als Musterbeispiel der Spanischen Romanik.
Über dem Giebelfeld mit Christus als Pantokrator (Allherrscher) wölben sich vier Archivolten (halbkreisförmige Bögen) mit zahllosen Figürchen aus dem Alten und Neuen Testament. Besser lassen sich die größeren Figuren auf den Säulen-Kapitellen neben dem Portal erkennen. Die Einheimischen sprechen von einer „Bibel aus Stein".
Ein weiterer Schatz wartet am Stadtrand: das am Duero-Fluss gelegene ehemalige Johanniskloster „San Juan de Duero" aus dem 12./13. Jahrhundert. Eine Besonderheit ist der wiederhergestellte, aber dachlose Kreuzgang mit seinen ungewöhnlichen Säulen, die in den blauen Himmel ragen.
Die dazugehörige Kirche wurde bis 1902 als Viehstall genutzt, dann begann die aufwendige Restaurierung. Seit Kurzem gehört dieses gerettete Kloster zum 2019 eröffneten „Museo Numantino" von Soria. Die dortigen Exponate reichen von der Bronzezeit über die Kelten- und Römerzeit bis zum Mittelalter. Diese Spuren lassen sich in der dünn besiedelten Provinz Soria leicht finden und oft ungestört erkunden.
Unvergesslich bleibt aber auch die alte Bischofsstadt El Burgo de Osma. Dort wurde das nicht mehr benötigte Klarissenkloster in das feine „Hotel Termal Burgo de Osma" umgewandelt. Während sich einige gleich ins Spa begeben, kann eine andere nicht dem goldenen Abendlicht und den Türmen der Kathedrale widerstehen. Ein Weg führt durch die Stadt, ein anderer entlang der Stadtmauer aus dem 15. Jahrhundert. Der Hauptturm ragt über die Zinnen. In der Ferne leuchtet die einstige Mauren-Burg Castillo de Osma bereits in rötlichen Farben.
Nach dem Rückzug der Muslime ließ Bischof San Pedro de Osma im Jahr 1101 in die damalige Ödnis eine romanische Kathedrale hineinbauen, die später gotisch umgestaltet wurde. In ihrem Umfeld entwickelte sich die mittelalterliche Stadt mit ihren Arkaden, die inzwischen zum kunsthistorischen Baudenkmal erklärt wurde.
Noch mehr erstaunt jedoch San Pedros farbenreicher Sarkophag und das Schnitzwerk, das ihn ziert. Edle Reiter sind ebenso vertreten wie das einfache Volk. Manche tragen Babys auf den Armen, eine Frau setzt gerade einen Trinkkrug an den Mund. Vermutlich waren es die Bewohner der Stadt.
Römersiedlung mit Bodenmosaiken
Zu den Denkmälern der Provinz Soria gehören auch die Ermitas, ehemalige Einsiedeleien, die gern besucht werden. Einige dienen inzwischen als Kapellen. Eine einfache Wanderung durch den beliebten Naturpark Cañón del Río Lobos führt zur Ermita des Hl. Bartholomäus zu Füßen eines rot-grauen Felsmassivs. Das sonnenfarbige Kirchlein ist jedoch geschlossen.
Geöffnet bis 18 Uhr ist jedoch die Wallfahrtskirche Ermita de San Saturio an einem Hügel oberhalb des Duero. Bequeme Treppen führen hinauf zur Höhle des Einsiedlers Saturio aus dem 6. Jahrhundert und zu einer prunkvollen Kirche, erbaut im 18. Jahrhundert.
Auch dort möchten viele gern bleiben, aber der Rückflug ab Madrid naht. Dennoch sollte man/frau zumindest noch eine Stunde für die alte Römerstadt Medinaceli am Wegesrand einplanen. Der historische Ortskern am Berg mit den Bauten aus dem 16. Jahrhundert ist gerade als schönstes Dorf Spaniens ausgezeichnet worden.
Dass Medinaceli eine Römersiedlung war, zeigen freigelegte Bodenmosaike auf dem einstigen Forum. Weitere sind im Museum zu sehen. Der stattliche römische Triumphbogen, der einzige dreitorige in Spanien, steht nun neben der Landstraße. Durch ihn fällt der Blick auf die erstaunlich große Dorfkirche aus dem 16. Jahrhundert, die ein reicher Bewohner stiftete. Komplettiert wird Medinacelis Geschichte durch eine arabische Burg gleich neben dem Römerbogen. Zwei Jahrtausende mit ihren Religionen und Geschichtsperioden nahe der A 15, die von der Stadt Soria zum Airport von Madrid führt.