Der Generalintendant des Saarländischen Staatstheaters, Bodo Busse, ist auch Leiter der Sparte Musiktheater. In der Spielzeit 2022/23 wird ein großes Projekt realisiert – Wagners „Ring".
Herr Busse, das Spielzeitmotto besteht aus einem Ausruf, einer Forderung und einer Frage: „Anders! In welcher Welt?" Was haben Sie sich dazu gedacht?
In den letzten Jahren haben wir mehrere globale Krisen erlebt oder erleiden müssen. Es ist viel die Rede von der großen gesellschaftlichen Transformation. Es gibt Diskussionen um Diversität und Gendergerechtigkeit. Wir sehen eine starke Segmentierung, das Auseinanderdriften in extreme Richtungen, ein „Niedergehen" der politischen Mitte. Es ist wichtig, dass wir als Kulturschaffende fragen: Wo soll es eigentlich hingehen? Diese Frage richtet sich an das Publikum, an unsere Situation und Tradition, und ist als roter Faden im Spielplan erkennbar. Was sind die Urquellen unseres gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und biologischen Zusammenlebens? Diese Frage stellt sich schon im gesamten „Ring".
„Der Ring des Nibelungen", Wagners Tetralogie, war bereits 2020 angekündigt. Die Spielzeit 2022/23 wird nun mit Teil 1, „Das Rheingold", eröffnet werden. Götter, Riesen, Rheintöchter kommen darin vor. Wer der Liebe abschwört, bekommt das Gold. Das Gold, die Macht jedoch, macht nicht glücklich, sondern führt ins Verderben. Welchen Aspekt der Parabel, die komplexer ist, als ich es in drei Sätzen versucht habe zu beschreiben, erachten Sie als bedeutsam?
Eben die Frage nach der Ursubstanz des Lebens – des Zusammenlebens vor allem. Das ist die große Frage, die Wagner stellt. Es geht nicht nur um den Zusammenhang zwischen Machtbesitz und Liebe, sondern es geht um den Zusammenhang der ganzen Gesellschaft. Am Ende des „Ring des Nibelungen" steht eine schweigende Gesellschaft vor dem Untergang Walhalls. Diese neue Gesellschaft ist das große Fragezeichen. Die Götter bilden die Ebene der Politik, aber auch der Technologie. Die Frage nach der Optimierung des Lebens – ewig schön und jung bleiben. Wellnessbewegung. Kinderwunschthematik. Künstliche Intelligenz. Wer hat die Macht über die Rohstoffe in der Welt? Diese Fragen sind geradezu in Wagners Tetralogie angelegt. Das sind alles großartige Stoffvorlagen, die durchaus auf unsere gesellschaftliche Wirklichkeit passen.
Dem ungarischen Regieteam Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka werden „unkonventionelle Bühnenkonzepte" nachgesagt. Was kommt auf uns zu? Die Rheintöchter im Bordell und Alberich als deren Freier?
Das ist eine völlig alberne Annahme. So etwas würde bei mir nie auf der Bühne sein.
Das hat es aber schon gegeben.
Aber nicht bei mir.
Was gibt es bei Ihnen?
Das werde ich natürlich nicht verraten.
Was kommt auf uns zu?
Eine durchaus technologie- und globalisierungskritische Sicht auf den „Ring des Nibelungen" aus unserer heutigen Perspektive, aus unserem Wissen, wie wir Leben optimieren, generieren, oder auch künstlich verlängern können. Die Idee der Unsterblichkeit ist ein ganz großes Thema. Wotan macht nichts anderes. Er erschafft den Superhelden Siegfried, der ihm das Rheingold zurückerobern soll.
Die Begeisterung für Wagners Musik ist weltweit ungebrochen. Was meinen Sie, weshalb?
Wagners Musik ist deutungsoffen, reich und mehrschichtig. Seine Musik ist ein Klangkosmos mit Querverweisen, die aber auch über sich hinaus weisen.
„Don Pasquale" von Donizetti ist die zweite Opern-Premiere der Saison. Auch in dieser Oper wird die Frage von Geld, Glück und Liebe verhandelt, allerdings wohl auf amüsante Art. Was gefällt Ihnen an dieser Oper?
Der Kampf der Geschlechter und das große Thema des „bösen, weißen, alten Mannes". Die Geschlechterhierarchie wird ein bisschen auf den Kopf gestellt und komisch durcheinandergewirbelt – das gefällt mir sehr gut. Der Rollenwechsel der Geschlechter wird ein bisschen infrage gestellt und schön beantwortet. Dass es nämlich völlig egal ist, ob man männlich, weiblich, groß, klein, dick oder dünn ist. Wichtig sind Ehrlichkeit und Authentizität – und vor allem die wahre Liebe.
„Die Fledermaus" von Johann Strauss, ein Evergreen, ist ein Garant für volles Haus. Die Operette, die im Dezember Premiere feiert, entsteht mit dem Theater Bonn. Sind Koproduktionen eine Möglichkeit, kostengünstiger zu produzieren?
Nein.
Zwei Theater teilen sich die Kosten.
Nein. Das ist eine Milchjungen-Rechnung.
Eine was?
Milchjungen- oder Milchmädchen-Rechnung, je nachdem.
Aha.
Der Sinn einer Koproduktion ist vor allem Werkstattkapazitäten und Materialkosten einzusparen. Das ist momentan ein großes Thema wegen des Rohstoffmangels. Wir haben aber Transport-, Lager- und Umbaukosten, das rechnet sich so hoch auf, dass man keine Kosten spart. Koproduktionen sind zudem imagefördernd.
Wenn „Die Fledermaus" bei uns gespielt wurde, wird sie in Bonn gezeigt …
Andersrum. „Die Fledermaus" war schon in Bonn, kommt zu uns, und wandert wieder nach Bonn. Die Premiere fand vor zwei Jahren noch in Bonn statt, dann kam Corona. Wir haben auch einen Austausch vereinbart. Bonn bekommt von uns „Die lustige Witwe", die bei uns drei Spielzeiten lief. Das ist kostenneutral, dennoch mussten beide Häuser die Produktionskosten tragen.