Man möchte es laut herausposaunen, damit es jeder hört: Dieser Roman ist eine Sensation, eine Wucht, ein Naturereignis, wie der titelgebende Stern, der eines Abends fast mondhell irgendwo in Norwegen aufgeht und der für die, die ihn mit eigenen Augen sehen, mehr Fragen als Antworten bereithält. Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård wurde weltbekannt mit seinen sechs autobiografischen Romanen, die sich allesamt durch ein sehr dichtes und mitunter sperriges Schreiben auszeichneten. Nicht jedermanns Sache, aber stilprägend und preisgekrönt.
„Der Morgenstern" dagegen ist sein erster echter Roman seit langer Zeit. Ein Buch mit einem grandiosen Cover und knapp 900 Seiten, die man wie im Rausch liest. Wenn einen andere Bücher schon nach 20 Seiten ermüden, will man dieses auch nach 50 oder 70 noch nicht weglegen.
Das liegt nicht nur am treibenden, immer präzisen und wegweisenden Schreibstil von Knausgård, sondern auch an der literarischen Form des Romans. Es werden zwei Tage im Leben von neun verschiedenen Protagonisten beleuchtet. Manche kennen sich, andere nicht. Irgendwo besteht immer ein kleiner Faden zum anderen. Was das Ganze zusammenhält, sind der eingangs erwähnte Stern, der eines Abends auftaucht und die ungewöhnliche Hitze eines Sommers in Norwegen. Auf jeder Seite wächst die Spannung. Seltsame Dinge geschehen, Tiere verhalten sich nicht so, wie sie es normalerweise tun. Etwas scheint im Gange, der Lauf der Natur gerät ins Wanken.
Da sind der Literaturprofessor Arne, der mit seinen beiden Kindern und seiner psychisch labilen Frau Ferien im Sommerhaus macht, der selbstsüchtige Journalist Jostein, der seine Degradierung zum Kulturjournalisten immer noch nicht überwunden hat oder seine Frau Turid, die als Nachtwache in einer psychiatrischen Anstalt arbeitet.
„Der Morgenstern" ist mitreißend, fantasievoll und philosophisch. Selbst am Ende des Romans möchte man, dass er immer weitergeht. Und das ist es doch, wofür wir lesen, oder?