Viele träumen davon, einmal die Alpen per Fahrrad oder zu Fuß zu überqueren. Dabei muss es nicht bleiben. Dank neuer Routen, komfortablem Service und elektrischer Unterstützung ist eine Transalp auch für weniger Fitte und Spätberufene möglich.
Mit 37 Elefanten, 50.000 Soldaten und 9.000 Reitern machte sich Hannibal im Jahr 218 vor Christus auf den Weg von der Rhône in die Po-Ebene. Damit gelang dem karthagischen Heerführer die erste dokumentierte Alpenüberquerung – und eine logistische Meisterleistung. Die Überwindung des höchsten Gebirges Mittel- und Südeuropas sollte indessen noch über Jahrhunderte eine Herausforderung bleiben, insbesondere zu Fuß. Eine Transalp ist das in gewisser Weise heutzutage noch, aber längst nicht mehr nur Jungen und/oder Fitten vorbehalten. Stefan Winter vom DAV weiß: „Wandertouren sind in allen Altersklassen schon immer beliebt, auch Alpenüberquerungen. Was sich jedoch spürbar geändert hat: Aufgrund des demografischen Wandels gibt es einfach mehr Ältere und auch länger Fitte, zum anderen haben diese auch Lust, so eine größere Tour anzupacken."
Via Alpina-Transalp misst 2.455 Kilometer
Ambros Gasser, Geschäftsführer von ASI Reisen, dem größten Anbieter organisierter Alpenüberquerungen, bestätigt: „Der Transalp-Trend nimmt Jahr für Jahr zu. Und: Unsere Teilnehmer sind im Durchschnitt über 50 Jahre alt." Zu den rund 30 Sommer- und Winterrouten gehört auch die beliebteste Route auf dem E5 von Oberstdorf nach Meran. Gut zu wissen: Die Hauptroute ist ebenso wie manch stillere Nebenstrecke recht anspruchsvoll. So geht es zu Fuß hinauf zum Rettenbachjoch auf 2.996 Meter.
Nach oben ist die Leistungsskala ohnehin offen. Das extremste Beispiel, die 161 Etappen der Via Alpina, kommt auf 2.455 Kilometer – einmal quer durch von Ost nach West. Da erscheinen die 550 Kilometer von München nach Venedig wie ein Klacks. Mehrere Hundert Wanderer begehen jährlich die als „Traumpfad" bezeichnete Route am Stück. Ein kleiner Teil von ihnen trifft sich traditionell am 8. August um 8 Uhr vor dem Münchener Rathaus, um gemeinsam loszuziehen. Auf der Route vom Marienplatz zum Markusplatz folgen die meisten den Spuren Ludwig Graßlers, der die Tour 1974 „erfand" – und damit nicht nur als Vater des „Traumpfads", sondern gar der alpinen Weitwanderungen gilt. 1987 griff der DAV Summit Club seine Idee auf. Der Spezialreiseveranstalter für aktive Berg- und Kulturerlebnisse hob die Tour als Erster ins Programm und verbuchte in 35 Jahren mehr als 2.000 Wanderbegeisterte allein auf dieser Route. Auch 2022 stehen mehrere Gruppentermine à 28 Tagen an, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Ein Grund: Beflügelt durch den Erfolg der Pilgerpfade wie dem Jakobsweg suchen viele Wanderer zunehmend größere Herausforderungen. Diese lassen sich eben auch in relativ naher Umgebung finden.
Es kommen zudem ständig neue dazu. Etwa der 2012 eröffnete Alpe-Adria-Trail. In 43 Etappen führt die Route vom Großglockner bis nach Muggia an der Adria. Das Besondere: Es handelt sich um gemütliche Tagestouren, die nie in den hochalpinen Bereich hineinragen und nie mehr als 20 Kilometer betragen. Schließlich sollen Wanderer Zeit haben für Kulinarik und Kultur. Laut Wanderstudien liegt das größte Potenzial für Wanderurlaube ohnehin bei der Zielgruppe der „Anspruchsvollen" und „Weltoffenen mit Qualitätsbewusstsein" und weniger bei den „Bodenständigen" und „Sportiven", die die Vorzüge des Wanderns längst verinnerlicht haben. Gasser unterstreicht: „Heute geht es vielmehr um ein sicheres, komfortables Erlebnis in der Natur als den asketischen Gedanken, mit möglichst wenig Gepäck und wenig Service loszuwandern."
Verkehrsmittel erleichtern die Route
Mit Komfort ist gemeint: vorab gebuchte Drei- bis Vier-Sterne-Hotels im Tal statt Schlafsäle auf Berghütten sowie ein Guide, sei es beim Wandern oder „nur" an den Übernachtungsorten. Des Weiteren Gepäcktransport, Begleitliteratur und, wichtig, eine gut machbare Wegführung samt verlässlicher Beschilderung. All das hat Georg Pawlata beherzigt, als er feststellte, dass die meisten Alpenüberquerungen technisch (zu) anspruchsvoll sind. „Deshalb habe ich eine Route gesucht, die auch der Durchschnittswanderer schafft", erläutert der Bergführer, der 2014 die „Alpenüberquerung von Tegernsee nach Sterzing ersann. Was die einwöchige Route zur idealen, weil leichtesten Transalp-Route macht: Viele Laufhöhenmeter werden gespart, indem Verkehrsmittel genutzt werden, vom Bootsüberführer am Tegernsee über Seilbahnen bis zur Achenseebahn mit ihren Dampflokomotiven – die vielleicht schönste Art, um vom Achensee das Inntal zu erreichen.
Fachärzte raten zu regelmäßigem Trinken
Rupert Müller (61) und seine Frau (54) haben es ausprobiert. Nach einer Herz-OP vor zwei Jahren und Knieproblemen dachte er eigentlich, große Touren nicht mehr zu schaffen. „Wir waren ziemlich untrainiert, doch es ist nichts, wo man Spitzensportler sein muss." Dennoch verweisen Veranstalter wie Mediziner darauf, sich bewusst zu machen, dass man sich teilweise im Hochgebirge befindet. Bergerfahrung, Trittsicherheit und Kondition für bis zu sechsstündige Bergwanderungen sind da notwendig. Dr. Axel Klein, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in Dresden, mahnt: „Wichtig ist auch das regelmäßige Trinken und eine Energieaufnahme. Gerade wenn Flachländer in die Berge gehen, können schon Höhen über 1.500 Meter Probleme bereiten."
Das passiert bei der Transalp-Variante per Rad weniger, insbesondere auf geteerten Nebenwegen. Weder geht es so weit hinauf, noch sind die Wege so abgelegen. Dass Biken ohnehin besonders boomt, bestätigt Stefan Winter: „Zahlenmäßige Erhebungen haben wir zwar auch hier nicht, aber viele Guides berichten, dass sich durch die E-Bikes viel mehr Leute eine Transalp zutrauen, auch ältere Semester." Es hat sich ja auch viel getan. Wer sich bis vor wenigen Jahren zur Alpenüberquerung auf den Weg machen wollte, musste sich mühsam seine Route aus diversen Karten und Büchern zusammensuchen. Der allgemeine Fahrradtrend, der erstarkte Aktiv-Tourismus, das digitale Zeitalter und insbesondere der Boom der E-Bikes brachten entscheidende Verbesserungen. Neue Strecken wie die Via Claudia Augusta von der Donau nach Venedig oder die Ciclovia-Alpe-Adria wurden entlang fahrradfreundlicher Wege grenzüberschreitend beschildert und erhielten Top-Internetauftritte. Die digitale Etappenplanung mittels GPS-Tracks macht die individuelle Alpenüberquerung relativ einfach, erst recht die Packages von Veranstaltern, die ein Extra-Augenmerk auf fahrradfreundliche Hotels legen. Und mit Akkus, die standardmäßig etwa 1.200 Höhenmeter und 50 bis 80 Kilometer pro Tag schaffen, kommen auch durchschnittlich Konditionierte zu einem überdurchschnittlich schönen Transalp-Erlebnis.