Die Bewegung Fridays for Future ist mittlerweile vier Jahre alt. Ina Albrecht, Rune Becker und Yannick Lehmen über den Erfolg und die Baustellen des Klimaaktivismus und warum es sich lohnt, ein „Fest for Future" zu feiern.

Am 24. September veranstaltet Ihr das „Fest for Future". Wie kam es denn zu der Idee?
Rune Becker: Wir haben uns überlegt, dass wir nach den drei Jahren Fridays for Future im Saarland, beziehungsweise den vier Jahren insgesamt, wenn man bei Greta Thunberg anfängt, gerne einmal die Bewegung feiern würden. Mit dem Fest wollen wir jetzt alle, die sich für unser Klima interessieren, dazu einladen, sich zu informieren, Lösungen kennenzulernen und sich mit uns und anderen Aktiven zu vernetzen.
Aber warum eigentlich samstags und nicht am traditionellen Termin, dem Freitag?
Ina Albrecht: Ich finde, der Samstag hat den großen Vorteil, dass er auch denen eine Chance gibt vorbeizukommen, die sich freitags nicht beteiligen können. Also zum Beispiel Berufstätige, Familien mit kleinen Kindern oder Schüler, die sich nicht trauen, die Schule zu schwänzen. Wir hoffen darauf, so ein Event auf die Beine zu stellen, dass Klimainteressierte aus allen Bereichen der Gesellschaft zusammenbringt, vom alten Aktivisten bis zu den Kindern, die möglicherweise die nächste Generation von Fridays for Future werden.
Wie Herr Becker schon angemerkt hat, gibt es Fridays for Future schon seit ungefähr vier Jahren. Welchen Effekt hatte Eure Klimabewegung bisher?
Yannick Lehmen: Der größte Effekt ist auf jeden Fall, dass Klimaschutz zu einem deutlich wichtigeren Thema in der Politik geworden ist und nicht mehr als Randthema von ein paar Klimaschützern abgetan werden kann. Im Grunde ist unser Anliegen jetzt überall präsent, auch wenn eine Krise gerade das Hauptthema ist. Das hat man zum Beispiel während der Corona-Pandemie gesehen: Da ist die Klimakrise zwar etwas in den Hintergrund gerückt, aber sie ist nicht aus den Nachrichten verschwunden. Das heißt, das Thema Klima hat noch nicht die Bedeutung, die wir gerne erreichen wollen, aber es sind erste kleine Schritte passiert. Das war vor vier Jahren noch nicht so.
Also eine Erfolgsgeschichte?
Albrecht: Ja, würde ich schon sagen. Es geht bei der Klimakrise ja auch viel um das Bewusstsein für die Notlage und darum Mut aufzubauen, um etwas dagegen zu unternehmen. Und dieser Mut, der ist inzwischen da: Ich habe noch nie so viele mutige junge Menschen gesehen, die sich wirklich überzeugt für etwas einsetzen. Da geht mir richtig das Herz auf, auch weil ich mich dabei daran erinnere, wie sehr ich mich früher vor der Klimakrise gefürchtet habe und nicht wusste, wohin mit dieser Angst. Jetzt sehe ich, wie viele sich gegen die Klimawandel einsetzen und was für Möglichkeiten es heute gibt, um sich zu engagieren. Das ist schon eine große Sache und gibt mir das Gefühl, wirklich etwas ändern zu können und nicht nur hilflos im Angesicht des Klimawandels zu sein.
Dazu passt ganz gut, dass Ihr ja längst nicht mehr nur die Schüler seid. Mittlerweile gibt es zig an euch angelegte Zusammenschlüsse, wie Parents for Future oder Scientist for Future. Wie funktioniert da der Austausch im Saarland?
Lehmen: Zum Beispiel mit Students for Future waren wir eigentlich immer relativ gut vernetzt und haben schon häufig gemeinsam Aktionen geplant und umgesetzt. Bei den Parents for Future sieht es ähnlich aus. Rune Becker ist beispielsweise schon mindestens, seitdem ich dabei bin, immer auf unseren Treffen dabei und unterstützt uns. Mit vielen der anderen Gruppen haben wir weniger bis keinen direkten Kontakt. Scientists for Future waren ein paar Mal mit eigenen Redebeiträgen auf unseren Veranstaltungen, aber zum Beispiel nie an unserer Demo- und Veranstaltungsplanung beteiligt.
Becker: Dazu muss man auch sagen, dass die Bewegung natürlich eine größere Fluktuation hat und es eigentlich jedes Jahr ein anderes „for Future" gibt, je nachdem, wer aktiv ist. Ich würde gerne noch etwas zu den zwei Fragen davor sagen: Für uns als Bewegung ist es ein großer Erfolg, dass die Klimakrise, trotz Corona, Krieg in der Ukraine, Energiekrise und zum Jahresende vermutlich Wärmekrise, als längste und vermutlich gravierendste immer auf Platz zwei in der öffentlichen Wahrnehmung liegt. Die Menschen, selbst wenn sie uns ablehnen – was wir auf den Demos durchaus zu spüren bekommen –, beschäftigen sich mittlerweile einfach mit unserem Problem. Dabei sind wir natürlich auch nicht perfekt oder die besten Vorbilder. Uns wird häufig vorgeworfen, dass wir nicht alles richtig machen und zum Beispiel Plastikflaschen kaufen oder nicht alle perfekte Veganer sind. Das stimmt, denn in unserer derzeitigen Gesellschaft gibt es oft nicht für alles die richtigen Angebote. Deswegen wollen wir auch nicht, dass man uns auf einen hohen Sockel stellt oder zur Maßgabe für richtiges Verhalten nimmt, sondern wir möchten zeigen, dass man auch abseits der jeweiligen Wahlperioden als normaler Bürger etwas für seine politischen Interessen unternehmen kann. Wir wollen die Politik für das Klima dauerhaft unter Druck setzen. Denn Lobbyisten verdienen viel Geld damit, tagtäglich Druck auf Politiker auszuüben, und da müssen wir beim Thema Klimawandel halt dringend Waffengleichheit herstellen.
Mittlerweile gibt es im Bereich Klima-Aktivismus auch Gruppen wie „Letzte Generation" oder „Extinction Rebellion", die mit deutlich krasseren Aktionen diese Waffengleichheit herzustellen versuchen. Aktuell sei hier zum Beispiel das Festkleben auf Straßen genannt. Wie steht Ihr dazu?

Albrecht: Ich finde, solche Aktionen sind zwar radikal, aber natürlich auch sehr mutig und als Idee des Aktionismus ist das sehr interessant, besonders in der letzten Zeit, wo ich mir der Auswirkungen des Klimawandels noch bewusster geworden bin. Wir leben schließlich auch in einer radikal klimafeindlichen Gesellschaft, die solche Aktionsformen womöglich braucht. Vielleicht werden Leute dadurch aufgerüttelt, dass sie es mal nicht zu ihrem Acht-Uhr-Termin schaffen, weil sich vor ihnen jemand auf die Straße geklebt hat. Vielleicht stellen sie dadurch infrage, wie wichtig diese Termine für sie selbst und für die Gesellschaft sind. Vielleicht stellen sie durch diesen erzwungenen Stillstand fest, dass es für sie und all die anderen Menschen eigentlich Wichtigeres gibt. Dafür könnte so ein bisschen Chaos schon sinnvoll sein, die Leute quasi produktiv schocken und sie dann zum Reflektieren anregen. Das ist nicht verkehrt, denke ich, aber natürlich muss das jeder für sich selbst beurteilen.
Becker: Man sollte das vielleicht ein bisschen einordnen: Als Fridays for Future begonnen hat, war es natürlich erst mal ein unglaublicher Skandal, dass junge Leute durch das Schule-Schwänzen zivilen Ungehorsam ausgeübt haben. Das war bis dahin undenkbar und hat dadurch natürlich ein enormes Presse-Echo hervorgerufen. Und das macht „Letzte Generation" jetzt halt durch das Ankleben auf die Straße. Also ziviler Ungehorsam genau da, wo es viele Leute mitbekommen und spüren. Das erzeugt eben Diskurs, besonders wenn es auch einige gibt, die deshalb wütend werden, weil sie natürlich dringend weiterwollen. Auch wir als Fridays im Saarland haben ein Selbstverständnis formuliert, an dem auch Yannick Lehmen mitgewirkt hat, in dem es heißt, dass ziviler Ungehorsam für uns grundsätzlich möglich ist. Aktionen wie eine Autobahn zu blockieren sind also auch bei uns grundsätzlich möglich, auch wenn wir das bisher nie in die Tat umgesetzt haben.
Also die mögliche positive Wirkung später wiegt die negative Resonanz während der Aktion auf?
Lehmen: Ich denke schon, dass die positiven Effekte für uns überwiegen, auch wenn es Menschen gibt, die wir durch sowas verärgern und nicht überzeugen. Man sieht meiner Meinung nach auch in der Geschichte immer wieder, dass eine Bewegung gemäßigtere und radikalere Anteile braucht, um das größtmögliche Gehör in der Bevölkerung zu erzielen.
Albrecht: Wir müssen auch verstehen, dass Konflikt auch etwas Positives sein kann. Konflikt in der Gesellschaft kann unglaublich produktiv sein und uns alle weiterbringen, wenn wir ihn richtig nutzen. Konflikte können schließlich ganz verschiedene Gruppen an einen Tisch bringen und eine Diskussion starten, um das zugrunde liegende Problem zu lösen. Aber wir sind halt gewohnt, dass Konflikt immer etwas Schlechtes ist, Streit bedeutet, Gruppen spaltet, schlicht etwas Böses ist.
Eigentlich ist ja in den Parlamenten der Ort für Diskussionen um die besten Regeln für die Zukunft. Wie fühlt Ihr Euch da wahrgenommen?
Lehmen: Also was unsere Anliegen, den Klimaschutz, angeht, werden wir meiner Meinung nach nicht ausreichend wahrgenommen, was doch sehr frustrierend und demotivierend ist. Natürlich gibt es Parteien, die ein paar richtige Ansätze haben, aber insgesamt spielen das Klima und unsere Forderungen an die Politik bei den meisten noch keine ausreichend große Rolle. Dazu kommt noch, dass es Parteien wie die CDU gibt, die zwar lange Zeit an der Regierung waren, aber eigentlich alles blockiert haben, was zum Klimaschutz beigetragen hätte. Beispiel Windräder: Da wird dann zwar überall gesagt, man sei für Windkraft, aber in der Praxis tut man alles dafür, dass so gut wie keine Flächen für Windräder infrage kommen. Auch in der aktuellen Regierung ist bisher noch viel zu wenig gegen den Klimawandel passiert. Da würden wir uns wünschen, dass das Thema mehr Priorität bekommt und deutlich aktiver daran gearbeitet wird. Die Zeit für Lippenbekenntnisse ist mittlerweile einfach vorbei, und es kann auch nicht mehr sein, dass selbst die selbstgesetzten Klimaziele, die ja schon nicht ausreichend sind, nicht eingehalten werden. In der letzten Zeit hatte ich den Eindruck, dass die anderen Krisen, die es gibt, gerne als angenehmer Vorwand genutzt werden, um beim Klimaschutz etwas zu bremsen und mögliche Lösungen immer weiter in die Zukunft zu schieben. Klar, Corona und der jetzige Krieg verlangen uns viel ab, aber dabei sollte es unbedingt auch noch Zeit für mehr Klimaschutz geben. Das lässt sich manchmal auch verbinden: Um nicht mehr abhängig von Russland zu sein, könnten wir jetzt auch voll auf erneuerbare Energien setzen und hätten damit langfristig etwas Sinnvolles getan.
Sollte die Klimakrise also Eurer Meinung nach immer auf Platz eins der Agenda stehen, oder versteht Ihr auch die unterschiedlichen Notlagen, die politisch miteinander abgewogen werden müssen?
Albrecht: Meiner Meinung nach haben alle Krisen die Gemeinsamkeit, dass sie uns Stärke abverlangen und dass wir aktiv gegen sie vorgehen müssen. Wenn wir dann sagen, wir als Gesellschaft haben nicht die Kraft, etwas gegen mehrere Krisen gleichzeitig zu tun, dann nehmen wir uns natürlich viele Handlungsoptionen. Es ist ganz wichtig, dass wir verstehen, dass wir gemeinsam stark sind und viel erreichen können. Natürlich kann nicht jeder alles lösen: Ich habe zum Beispiel das Wissen und die Energie, mich gegen die Klimakrise einzusetzen, aber mir fehlt die Expertise, um effektiv den Krieg in der Ukraine anzugehen, und verstehe auch, wenn dann die Klage aus der Politik kommt: Ach, wir können doch nicht alles gleichzeitig machen. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass uns jede Krise, die wir tatsächlich angehen, schlauer und stärker machen wird für die nächste Krise. Hätten wir schon vor vier Jahren angefangen, etwas gegen den Klimawandel zu tun, dann hätten wir jetzt mehr Ressourcen für eine der anderen Krisen und die Energiekrise hätte gar nicht erst den Umfang, den sie jetzt hat. Aber dafür müssen wir natürlich aktiv werden und weg von dieser Entweder-oder-Diskussion kommen.

Becker: Natürlich sind die anderen Krisen wie der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise auch relevant. Sie unterscheiden sich aber in einer Eigenschaft ganz deutlich von der Klimakrise: Sie sind Krisen zwischen Menschen und nicht zwischen Menschen und der Natur. Mit der Natur kann man nicht verhandeln, ob das CO2 in der Atmosphäre vielleicht schneller abgebaut wird oder ob die globale Erwärmung sich vielleicht noch etwas Zeit lassen könnte, weil uns das aktuell besser in den Kram passt. Die Natur beruht auf wissenschaftlichen Regeln und die stehen fest. Ob wir wollen oder nicht müssen wir uns diesen Regeln beugen und haben zwei Optionen: Entweder stoppen und rückgängig machen, was möglich ist, oder sehenden Auges die Krise weiter verstärken. Dabei spielt leider auch die gegenüber der langsamen Erderwärmung auf sehr kurze Zeiträume angelegt Politik eine Rolle: Politiker wollen innerhalb weniger Jahre wiedergewählt werden und deshalb keine Entscheidungen für in zwei, drei Jahrzehnten treffen. Das wäre aber nötig, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. Das ist die große Krux dabei.
Zusammengefasst also eine schwierige Gemengelage zwischen dem, was sein könnte, und der schlechten Ausgangssituation, die wir derzeit erleben. Ist es dann richtig, jetzt ein „Fest for Future" zu veranstalten?
Albrecht: Ja. Es gibt keinen Grund, die aktuelle Situation nur depressiv wahrzunehmen. Ja, die Welt brennt aktuell, aber wir sind noch da, und wir sind noch in der Lage, das Ruder rumzureißen. So ein Fest, bei dem man wieder etwas Neues erleben und Teil von etwas sein kann, kann und soll schließlich auch motivieren. Das soll auch unser Motto „#Saarlandwende" ausdrücken, die wir jetzt mit vollen Einsatz beginnen wollen.