In „The Woman in the House Across the Street From the Girl in the Window" glaubt die Protagonistin, einen Mord beobachtet zu haben. Doch niemand nimmt sie ernst. Zu sehen ist die skurrile Mini-Thrillerserie auf Netflix.

Die einen kennen das Gefühl gut, andere sind vielleicht seltener damit konfrontiert. Passiert ist es aber wohl schon jedem: nicht ernst genommen zu werden. Besonders Frauen kennen sich wahrscheinlich besser damit aus, als ihnen lieb ist. Denn die gesellschaftlichen Strukturen der letzten Jahrhunderte haben genau das als Normalität vermittelt – dass Frauen einfach weniger zu sagen haben als Männer. Diese Gegebenheiten ein für alle Mal hinter sich zu lassen, ist gerade Inhalt vieler Diskussionen. Kein Wunder, dass es aktuell also Wortneuschöpfungen wie „Mansplaining" oder das deutsche Pendant „Herrklärung" gibt, die charakteristische Situationen des weiblichen Kleingemacht-Werdens konkret thematisieren. „Mansplaining" etwa ist ein Kofferwort. Es setzt sich aus den englischen Begriffen „man" („Mann") und „splaining" (englische Kurzform von „explaining", also „erklären") zusammen und beschreibt Situationen, in denen Männer ihrem weiblichen Gegenüber unaufgefordert die Welt oder gewisse komplexe Sachverhalte erklären wollen, weil sie meinen, das Gegenüber habe davon natürlich keine Ahnung. Auch der Begriff „Medical Gaslighting" taucht im öffentlichen Diskurs immer häufiger auf: Ernste medizinische Symptome werden bei Arztbesuchen kleingeredet oder letztendlich als psychosomatisch abgetan.
Künstlerin Anna ist in desolatem Zustand

Überdurchschnittlich oft trifft das Studien zufolge Frauen, die als Hypochonderinnen abgestempelt werden. Das Bild der hysterischen und überreagierenden Frau war lange prägend. Und eines ist klar: Wer wiederholt nicht ernst genommen wird, bleibt verunsichert zurück. Kaum überraschend, dass sich irgendwann der Gedanke einschleicht: „Vielleicht übertreibe ich ja wirklich. Vielleicht ist meine Wahrnehmung tatsächlich falsch." Und das, obwohl das Bauchgefühl etwas ganz anderes sagt, ja manchmal sogar schreit: „Hier stimmt etwas nicht!" Nun mag es im realen Leben in vielen Fällen tatsächlich so sein, dass Dinge, die auf Anhieb besorgniserregend erscheinen, sich als harmlos herausstellen. Dennoch bleibt ein Beigeschmack, denn es ist tatsächlich immer noch nicht selbstverständlich, als Frau überall für voll genommen zu werden. Dieses Prinzip wird in der Miniserie mit dem langen Titel „The Woman in the House Across the Street From the Girl in the Window" auf die Spitze getrieben, allerdings nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern eingewoben in eine schrille Thriller-Handlung mit satirischen Zügen. Der Titel, auf Deutsch „Die Frau im Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite des Mädchens am Fenster", bezieht sich auf die Ausgangssituation.

Künstlerin Anna (Kristen Bell) führt ein desolates Leben. Am Anfang der Serie wird klar, dass ihre Tochter, mit der sie sich scheinbar noch unterhält, tragisch ums Leben gekommen ist und Anna ihre Anwesenheit nur halluziniert. Dieser Schicksalsschlag hat sie ins Wanken gebracht. Ihr Mann hat sie verlassen. Anna trinkt und nimmt Tabletten, hört unerklärliche Geräusche und lebt in einer trügerischen Normalität, die aus klaren Momenten, aber auch aus Ohnmacht, Verzweiflung und Manie besteht. So fristet sie ihr Dasein, die Nachbarn reden über sie, ihre Therapeutin scheint sie als hoffnungslosen Fall einzustufen und ihr Ex-Mann bemitleidet sie. Anna macht durch ihr teils abstruses Verhalten alles nur noch schlimmer. Doch die Handlung kommt in Fahrt, als im Haus auf der anderen Straßenseite Witwer Neil (Tom Riley) mit seiner Tochter Emma (Samsara Yett) einzieht. Anna hat ein Auge auf den attraktiven Nachbarn geworfen und nähert sich ihm und seiner Tochter an. Da taucht plötzlich Neils perfekte Freundin Lisa (Shelley Hennig) auf, die Anna natürlich ein Dorn im Auge ist. Eines Abends sieht Anna durch das Fenster etwas, das den Spannungsbogen der Serie fortan bestimmt. Sie glaubt beobachtet zu haben, wie Lisa im Haus auf der anderen Straßenseite ermordet worden ist. Und setzt in den verbleibenden Episoden alles daran, dies zu beweisen, auch wenn niemand ihr glaubt und Neil sie als übergriffige Verrückte des Hauses verweist.
Was ist wirklich passiert?

Durch die Erzählweise ist man auch als Zuschauer bis zuletzt hin und her gerissen, ob man Annas Beobachtungen Glauben schenken kann oder nicht. So wird bis fast zum Schluss keine eindeutige Perspektive vorgegeben, die Erzählstruktur bleibt genau dort, wo auch das reale Leben manchmal landet: in der Unsicherheit, Befindlichkeiten richtig zu bewerten. Und im Unvermögen, Übertreibung und Realität zu trennen. Vor allem dann, wenn das Gegenüber schon von Anfang den Stempel „nicht ernst zu nehmend" trägt.