Die meisten Elektroautos sind entweder schwere Kolosse oder kleine Flitzer. Kompaktfahrzeuge gab es bisher kaum. Der Renault Megane E-Tech Electric stößt in diese Marktlücke vor.
Wer ein Elektroauto in der Golf-Klasse sucht, hatte es bislang schwer. Große, schwere SUVs gibt es zuhauf, ebenso kleine Flitzer wie den Fiat 500 oder – etwas größer – den Opel Corsa-e. Beide Varianten haben Nachteile: Während SUVs viel Strom verbrauchen und wegen ihrer riesigen Akkus schon bei der Produktion viel CO2 ausstoßen, ist die Reichweite bei Kleinwagen stark begrenzt. 200 Kilometer sind oft das Höchste der Gefühle.
Ein gesundes Mittelmaß müsste es geben. VW hat das früh erkannt und bietet mit dem ID.3 ein Kompaktfahrzeug an, das sich als Golf des Elektrozeitalters empfiehlt. Viele Kunden hadern jedoch mit dem „Volksstromer", weil im Innenraum Plastik dominiert und der Bildschirm als zu klobig empfunden wird. Auch Software-Probleme sorgten anfangs für Negativ-Schlagzeilen.
Doch nun, nach langem Warten, gibt es mit dem Renault Megane E-Tech endlich einen Konkurrenten. Dank des späten Markteintritts hatten die Franzosen drei Jahre Zeit von VWs Fehlern zu lernen. Haben sie diese Chance genutzt? Von außen wirkt der Megane jedenfalls schon mal modern und frisch. Auf zu viel Experimentierfreude hat der Hersteller dabei verzichtet, von ein paar Neuigkeiten abgesehen: So sind die Türgriffe versenkt und fahren automatisch aus, wenn man sich mit dem Schlüssel nähert. Hier dienten wohl der Hyundai Ioniq 5 oder Teslas Modelle als Vorbild. Die Griffe für die hinteren Türen befinden sich oben neben dem Fenster – sehr stylish, aber auch ein Einfallstor für Fingerabdrücke.
Das Navi nutzt Google Maps
Im Gegensatz dazu wirken die Renault-Logos seltsam billig. Statt des üblichen Reliefs, das man fühlen kann, bilden sie eine glatte, einheitliche Fläche, als wären sie aufgeklebt. Auch beim Lenkrad setzt sich diese Besonderheit fort. Und wo wir gerade beim Lenkrad sind: Zählt man alle Hebel und Wippen zusammen, die sich daran befinden, kommt man auf die Zahl sechs. Das ist zu viel des Guten. Die Schaltung hätte man auch woanders platzieren können, ebenso den Lautstärke-Regler fürs Radio.
Anders als beim ID.3 erinnert der Innenraum des Megane aber nicht an ein Kunststoff-Museum. Vor allem der (aufpreispflichtige) Zwölf-Zoll-Touchscreen in der Mitte des Cockpits gefällt. Er zeigt eine Google-Maps-Landkarte, wie man sie vom Computer oder vom Handy kennt. Statt aufwendig Software selbst zu entwickeln wie es deutsche Hersteller gerne tun, kooperiert Renault mit dem US-amerikanischen IT-Giganten. Für den Datenschutz mag das bedenklich sein, im Alltag hat es jedoch den Vorteil, dass man es mit einem ausgereiften System zu tun hat.
Dann mal los: „Hey Google, navigiere nach Freiburg!" Von Bonn sind es knapp 420 Kilometer bis in die südbadische Studentenstadt, also etwas weniger als die Norm-Reichweite (450 Kilometer) des Autos. Vorausschauend empfiehlt das Navi einen Ladestopp, denn die Norm-Reichweite wird in der Realität selten erreicht. Das ist schon mal gut – längst nicht alle E-Autos verfügen über eine solche Ladeplanung. Doch auch hier zeigt sich, dass der Griff zur Handy-App die bessere Wahl ist: Die Auswahl an Ladestationen, die auf dem Bildschirm erscheint, ist doch recht beschränkt. Alle scheint Google auch gar nicht zu kennen.
26 Assistenzsysteme sind mit an Bord
Auf der Autobahn angekommen, präsentiert sich der Megane als leiser Gefährte. Wenn man den Öko-Modus aktiviert, ist bei 100 km/h allerdings Schluss, übersteuern geht, aber dafür muss man das Gaspedal durchdrücken. Dafür wird Strom gespart und ein Verbrauch von 16 Kilowattstunden rückt in greifbare Nähe. Für den Stadtverkehr und die Landstraße mag das passen. Auf der A61 stellt sich diese Variante aber als unpraktisch heraus. Nachdem mich die ersten Lkw überholt haben, schalte ich in den Normalmodus.
Beim Blick in den Rückspiegel sind vor allem Kopfstützen zu sehen – und dazwischen ein paar Autos. Das Fenster ist so klein, dass man es besser als „Seh-Schlitz" bezeichnen sollte. Zum Glück gibt es eine integrierte Heckkamera, deren Bild der Renault im Rückspiegel anzeigt. Dieser digitale Rückspiegel ist leider erst ab der Ausstattungsvariante „Techno" inbegriffen, die bei 44.700 Euro beginnt.
Auch sonst piepst und blinkt es auffällig oft im elektrischen Megane. Insgesamt 26 Assistenzsysteme sind in dem flotten Franzosen verbaut. Die meisten davon stellen sich während der Testfahrt als äußerst nützlich heraus, zum Beispiel die Spurhalte-Hilfe oder die aufpreispflichtige 360-Grad-Kamera, die das Einparken deutlich erleichtert – ein nützliches Feature, vor allem wegen der schlechten Sicht nach hinten.
Die Verkehrszeichen-Erkennung funktioniert anfangs tadellos. Auf einer Landstraße, auf der die Schilder links von der Fahrbahn stehen, muss sich das System allerdings geschlagen geben. Dort gehen dem Megane zwei Tempo-80-Markierungen durch die Lappen – ausgerechnet an einer Stelle, nach der ein Blitzer kommt. Insgesamt reagieren die Assistenten aber sehr zuverlässig. Einmal kommt ein Fahrradfahrer von rechts angeschossen, um kurz vor der Straße auf einen Radweg einzubiegen. Der Megane ist alarmiert und beginnt wild zu blinken: Alarmstufe Rot im Cockpit!
In Freiburg wird es Zeit, das automatische Parksystem zu testen. „Erkennt und misst den Parkplatz aus und parkt selbstständig ein", heißt es in der Werbebroschüre. Ganz so einfach ist es in der Realität nicht. Zwar erkennt der Megane die Parkbucht, in die er fahren soll. Dann aber folgt ein wildes Manöver: Das Lenkrad dreht sich wie von Geisterhand, der Megane setzt zurück, piepst und stößt sanft gegen den Bordstein. Nach einer kleinen Korrektur steht er in der Lücke, wenn auch leicht schief. Das hätte ein Mensch besser gekonnt.
Da Parken eine Wissenschaft für sich ist, gebe ich dem Computer eine zweite Chance. Findet er den Weg zur nächsten Stromquelle? Um die Ecke befindet sich eine Ladestation, die das Google-Navi vorbildlich anzeigt. Aber auch dort muss erst mal von Hand rangiert werden. Rückwärts einparken will der Megane an dieser Stelle nämlich nicht, warum auch immer. Diese Sonderausstattung kann man sich sparen.
Als er eingestöpselt ist, gerät die wilde Einpark-Sause schnell in Vergessenheit, denn an der Ladesäule spielt der Renault seine Stärke aus: Genau wie sein elektrisches Vorgänger-Modell, der Zoe, kann er selbst an langsamen Wechselstrom-Ladestationen, wie man sie in Wohngebieten findet, mit 22 Kilowatt laden. So ist der Akku nach drei Stunden wieder voll. Auf der Autobahn sind am Schnelllader bis zu 130 Kilowatt möglich. Mit anderen Worten: von 0 auf 80 Prozent in etwa 40 Minuten. Diesen Wert erreicht er an der Raststätte auch tatsächlich. Im Winter, wenn der Akku durchgefroren ist, dauert es erfahrungsgemäß länger.
Hat der elektrische Megane also das Zeug zum Volksstromer? Unbedingt! In vielen Punkten ist er dem ID.3 deutlich überlegen, wenngleich bei den Assistenzsystemen noch nicht alles rundläuft. Navi und Spracherkennung wissen zu überzeugen, hübsch ist er obendrein. Nur der Kaufpreis ist leider nichts fürs Volk, eher für den Adel: Selbst wenn man die staatliche Förderung abzieht, muss man für eine halbwegs passable Ausstattung um die 40.000 Euro berappen. Das ist bitter –
auch wenn es die Konkurrenz nicht anders macht.