Nun also ist das Humboldt Forum komplett eröffnet, seit dem vergangenen Wochenende sind dort teilweise atemberaubende Exponate der ethnologischen Sammlungen zu sehen – die Ausstellungskonzepte wurden mit Partnern aus den jeweiligen Herkunftsländern erarbeitet.
Die Einladung zum Eröffnungsprogramm „24h offen" (bei freiem Eintritt) mit Performances, einer Konferenz und DJ-Sets fand enormen Anklang, bis zu den Mittagsstunden des vergangenen Sonntags wurden rund 25.000 Gäste gezählt. Ein Erfolg, der sich in die beeindruckenden Besucherzahlen des ersten Jahres des Humboldt Forums einfügt, denn danach kamen bereits 1,5 Millionen Gäste ins Haus, viele zu besonderen Veranstaltungen, mit denen Teile des Gebäudes oder zumindest der Schlüterhof „bespielt" wurden. So fasste es Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Hauses, auf der Pressekonferenz zur offiziellen Eröffnung der ethnologischen Sammlungen zusammen. Klar sei, dass kaum eine andere Kultureinrichtung so viele Diskussionen ausgelöst habe, sagte Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Allein die letzten Jahre seien von Debatten über das Verhältnis Deutschlands zum globalen Süden, insbesondere zu seinem Umgang mit dem kolonialen Erbe geprägt gewesen, so Parzinger weiter.
1,5 Millionen Besucher
Mit Sicherheit ist das einer der Hauptgründe für das Rieseninteresse, das das ambitionierte Museum bei einem sehr heterogenen Publikum weckt. Ein Museum, das den Anspruch hat, ein Ort des Austauschs zu werden, ganz im Sinne der Namensgeber, der Brüder von Humboldt. Schließlich begegnen sich hier nicht nur Exponate aus unterschiedlichen Sammlungen, die vorher über ganz Berlin verteilt waren. Naturwissenschaft, Geschichte und Kunst treten in einen Dialog, an dem sich Besucher interaktiv beteiligen können. Das trifft auch auf die jetzt eröffneten Räume des Humboldt Forums zu Nord-, Mittel- und Südamerika zu ebenso wie für den zweiten Teil der Präsentationen zu Asien und Afrika und dabei zum Königreich Benin.
2017 hatte Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy aus Protest über den unentschlossenen Umgang mit in den Berliner Sammlungen vertretener Beute-Kunst den Beirat des Humboldt-Forums verlassen. Vor allem ging es ihr um die Benin-Bronzen, 1897 hatten britische Truppen den Königspalast von Benin-Stadt eingenommen und geplündert, eine gewaltige Menge an Kunstschätzen wurde nach England gebracht. Der damalige Direktor des Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin, Felix von Luschan, sah das als Chance, Deutschland durch Ankäufe in England die europaweit bedeutendste Sammlung von Kunstgegenständen aus dem Benin zu sichern. Diese geraubten Kunstschätze in Museen teilweise ohne weiterführenden Kommentar zu ihrer Herkunft zu präsentieren, war jahrzehntelang nicht infrage gestellt worden.
Doch Savoys deutliche Haltung setzte die Diskussion über das Verhältnis Europas zum globalen Süden, zu früheren Kolonien, mit in Gang. Ende 2017 kündigte Frankreichs Präsident Macron die Rückgabe von unrechtmäßig erworbenen Kulturgütern in französischen Museen an und gab den Bericht über die Restitution afrikanischer Kulturgüter bei dem senegalesischen Schriftsteller Felwine Sarr und bei Bénédicte Savoy in Auftrag.
Im August 2019 forderte der Botschafter von Nigeria in Deutschland im Namen seiner Regierung explizit die Rückgabe der Benin-Bronzen. Zwei Jahre später unterzeichneten Vertreter Nigerias und Deutschlands in Abuja eine Absichtserklärung zur Rückgabe sämtlicher Bronzen, und mittlerweile haben Deutschland und Nigeria einen Rahmen für Eigentumsübertragungen von über 1.100 Objekten in rund 20 deutschen Museen vereinbart. Die größte Sammlung des Ethnologischen Museums in Berlin ist bereits übertragen, im Humboldt Forum werden noch etwa 40 Stücke als Leihgaben gezeigt.
Eindrucksvoll und wie auf einem überdimensionalen weißen Altar präsentiert vermitteln die aufwendig gestalteten Gedenkköpfe, Tier- und Menschenfiguren zumindest den Ansatz eines Eindrucks von der Kultur am Hofe des Oba in der Stadt Benin des 16. Jahrhunderts. Und eine vergilbte Fotografie aus dem Jahr 1891 zeigt einen Altar im Königspalast – mit mehreren Bronzeskulpturen und flankiert von beschnitzten Elefantenstoßzähnen. Dazu gibt es Texte, die die koloniale Geschichte der Kunstobjekte zusammenfassen und ebenso auf die Rückgabevereinbarungen eingehen.
Überhaupt, in den nun neu eröffneten Räumen des Humboldt Forums haben die Kuratoren der meisten Ausstellungsteile einen Schwerpunkt darauf gelegt, bislang gängige Sichtweisen von Objekten und ihrer Herkunft infrage zu stellen. So wird auch der eigene Blick auf die Exponate durch Texte, Tondokumente und interaktive Angebote hinterfragt. Wenn man sich beispielsweise einer reflektierenden Fläche gegenübersieht, die freilich ein ziemlich unscharfes Spiegelbild zurückwirft. Ein ähnlich unscharfes und ungenaues Bild womöglich, wie die daneben gezeigten Schwarz-Weiß-Fotos aus dem 19. Jahrhundert aus deutschen Kolonien in Afrika. Diese können der Bevölkerung in Deutschland ein einseitiges Bild von den Lebensbedingungen der afrikanischen Bevölkerung unter Kolonialverwaltung vermittelten.
Auch eigene Sichtweisen hinterfragen
Viele dieser vielleicht noch ungewohnten Ansätze sind in transkultureller Zusammenarbeit, also mit Partnern aus den jeweiligen Herkunftsländern der Exponate, entwickelt worden. „Was wir jetzt hier im Humboldt Forum zeigen, das ist ein Gemeinschaftswerk", sagt Andrea Scholz, die Kuratorin der Amazonien-Ausstellung und Referentin des Museums für die transkulturelle Zusammenarbeit. In dieser Funktion ist sie in den vergangenen Jahren immer wieder in Brasilien, Kolumbien und Venezuela gewesen, hat dort Kontakte geknüpft und Workshops organisiert. Und habe dabei immer viel gelernt, sagt sie. Beispielsweise, dass ein Schild aus Lianenfasern – 1907 hatte es der Forscher Theodor Koch-Grünberg bei einer Expedition zum oberen Rio Negro erworben – gar kein „Tanzschild" sei, als das es jahrzehntelang in der Museumsdokumentation aufgeführt wurde. Kolumbianische Projektpartner des Museums hätten erklärt, dass es sich um ein rituelles Objekt handle, das bei bestimmten Zeremonien genutzt wurde und dem Schutz der Gemeinschaft diente. Beides können Besucher der Ausstellung nun nachlesen – die alte sowie die neue Beschreibung – so werde Wissen transparent, unterstreicht Kuratorin Scholz. Sie ist besonders stolz auf die Architektur der Amazonien-Ausstellung – die Vitrinen sind hier konzentrisch angeordnet, was an ein traditionelles rundes Versammlungshaus der Ye’kwana erinnern soll. Mit der indigenen Volksgruppe aus dem Grenzgebiet zwischen Brasilien und Venezuela gebe es bereits seit 2014 eine sehr intensive Partnerschaft, erzählt Andrea Scholz. Der es ebenso wie ihren für die anderen Ausstellungen zuständigen Kolleginnen und Kollegen darum geht, Geschichten zu erzählen. Nicht nur die der ausgestellten Objekte und die ihrer Aneignung, sondern auch wie die Menschen in den jeweiligen Regionen früher lebten und durch welche Faktoren ihr Alltag heute geprägt ist.
In diesem Sinne wird die Dauerausstellung des Museums von fünf Wechselausstellungen ergänzt – eine von ihnen trägt den Titel „Gegen den Strom. Die Omaha, Francis La Flesche und seine Sammlung" und ist in Zusammenarbeit mit dem Nebraska Indian Community College entwickelt worden. Gezeigt werden rund 60 Objekte, die der indigene Ethnologe Francis La Flesche zwischen 1894 und 1898 im Auftrag des damaligen Berliner Museums für Völkerkunde zusammenstellte. Die Sammlung wird heute als ein Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart und wichtige Diskussionsgrundlage für die heutigen Beziehungen zu den indigenen Nationen angesehen. Wie fasste es Wynema Morris, Dozentin am Nebraska Indian Community College und Mitkuratorin der Wechselausstellung in der vergangenen Woche zusammen? Die Sammlung La Flesches in Berlin zu sehen, sei für sie überwältigend gewesen –schließlich habe die erzwungene Assimilierung der vergangenen Jahrzehnte viele wichtige kulturelle Aspekte verschwinden lassen. Umso größer sei jetzt die Freude, mit der Ausstellung eine fast vergessene Vergangenheit wieder zum Leben erwecken zu können, sagte Morris bei der Pressekonferenz vor der offiziellen Eröffnung der ethnologischen Sammlungen vergangene Woche.
Transkulturelle Zusammenarbeit
Ähnliche Einschätzungen und teilweise sehr emotionale Beiträge gab es von anderen Teilnehmenden einer Konferenz, die der großen Eröffnung vorangegangen war. Unterschiedlichste Akteure aus den Herkunftsländern der im Humboldt Forum präsentierten Exponate hatten miteinander diskutiert, nach neuen Wegen für eine künftige transnationale Zusammenarbeit von Museen, kulturellen Einrichtungen und Vertretern indigener Gruppen gesucht. Das Wichtigste dabei sei, so der Generaldirektor der nigerianischen National Commission for Museums and Monuments, Abba Isa Tijani, dass es eine Zusammenarbeit werde, bei der die legitimen Wünsche anderer Nationen und traditioneller Institutionen respektiert und gewürdigt würden.