Das „klassische Schönheitsideal" scheint sich immer weiter aufzulösen. Nun setzen Designer auf Diversität. Und diese Vielfalt findet sich nicht nur in der Mode wieder.
Diversität scheint das neue Schlüsselwort bei den Designern zu sein, und das aus gutem Grund. Zwar waren die Models der 80er- und 90er-Jahre wahre Topmodels und schafften es, alles perfekt in Szene zu setzen, doch es gab einen entscheidenden Haken: Die Endkunden waren normale Menschen. Und die haben nicht immer XXS-Kurven und ellenlange Beine. Manche sind dünn, manche sind dick, sie haben unterschiedliche Haut- und Haarfarben, sitzen im Rollstuhl, haben eine Prothese, eine Hauterkrankung oder sonstige Merkmale, die sie einzigartig machen. Und sie wollen sich nicht verstecken, sie wollen sich zeigen und wahrgenommen werden als Kunden, die Mode mögen. Auch auf den Laufstegen gilt dieser Grundsatz – besonders da. Neue Topmodels streben an die Spitze des Erfolges und verdienen nicht nur gut, sie schenken auch Hoffnung und zeigen, wie vielfältig Menschen sind. Eines davon ist Winnie Harlow. Die Kanadierin mit jamaikanischen Wurzeln modelt seit 2014 erfolgreich und spielte sogar in einem Musikvideo von Eminem mit. Ihre Besonderheit sind die weißen Pigmente auf der dunklen Haut, Auswirkungen einer Erkrankung namens Vitiligo. Als Kind wurde Harlow wegen ihrer Flecken gehänselt, inzwischen ist sie damit gut im Geschäft und fühlt sich wohl mit ihrem Äußeren. Sie will anderen Mut machen, stolz zu zeigen, wer sie sind und wie sie sind. Große Aufmerksamkeit erlangte mit diesem Thema auch das brasilianische Model Sofía Jirau. Sie hat das Downsyndrom und freute sich kürzlich riesig, via Instagram verkünden zu können: „Einst habe ich davon geträumt, ich habe dafür gearbeitet und heute wird der Traum wahr. Ich kann euch endlich von meinem großen Geheimnis erzählen." Ihr Geheimnis war ein Vertrag mit dem Unterwäsche-Gigant Victorias Secret. Gemeinsam mit 17 weiteren Diversity-Models durfte sie die „Love Cloud Collection" auf dem Catwalk präsentieren. Damit war sie nicht das erste Model mit Downsyndrom, das sich erfolgreich auf dem Markt etablieren konnte. Das schafften auch schon Madeline Stuart und Ellie Goldstein, die sich exklusiv für das Luxus-Label Gucci ablichten ließen.
Stolz darauf zu sein, wer man ist
Für den Unterwäscheanbieter war dies dennoch eine Premiere und ein großer Schritt in Richtung Image-Wechsel. Bislang geriet man hier stark in die Kritik, weil die Anforderungen an die Skinny-Models so extrem waren, dass manche von ihnen von seelischer Misshandlung sprachen. So sollen sie vor den Auftritten wochenlang gehungert haben, um den geforderten Idealmaßen zu entsprechen. Daraufhin litt das Image des Unternehmens extrem und der Umsatz ging zurück. Vielleicht hilft der Weg hin zu einer gesünderen Sicht auf den Menschen dabei, wieder neu in einem Markt Fuß zu fassen, der sich so schnell wandelt wie noch nie. Wer auf der Suche nach dem perfekten Model für die nächste Kampagne ist, der hat es inzwischen leicht. Modelagenturen für die unterschiedlichsten Gesichter und Persönlichkeiten schießen wie Pilze aus dem Boden. Sie bieten „eine Plattform für jeden, der sein Talent entwickeln und eine Karriere als Model anstreben möchte" und sie wollen „der Welt zeigen, dass Schönheit nicht in einem Standard festgelegt ist, sondern in allen möglichen Facetten erstrahlt", so die niederländische DMA Model Agency. Hier finden Agenturen und Designer für jeden Anlass das passende Gesicht, egal welches Geschlecht, Alter, Maße, Behinderung oder sonstigen einzigartigen Merkmale die Models mitbringen. Das Geschäft läuft, denn immer mehr berühmte Models entsprechen eben nicht dem 90er-Jahre-Standard. Ganz im Gegenteil.
Ein Extrem in die andere Richtung bildet die bekannte Londoner Agentur „Ugly Models". Der Name bedeutet übersetzt „Hässliche Models" und das scheint Programm zu sein, denn hier verkündet man schon direkt nach der ersten Suche: „Wir mögen unsere Frauen fett und unsere Männer geeky, wir mögen das extrem Große und schockierend Kleine." Eine Errungenschaft dieser Bewegung war bereits Anfang der 90er-Jahre sehr erfolgreich im Geschäft: Del, der mit bürgerlichem Namen Derrick Keens heißt. Er schaffte es trotz fahlem Teint, dunklen Tränensäcken, wilder Haarpracht und extrem schiefen Zähnen bis in die „Vogue". Diese widmete dem Neuling sogar gleich eine ganze Fotostrecke. Aufträge mit großen Marken wie Diesel, Levis und Calvin Klein folgten für das „hässlichste Model der Welt", wie ihn seine Agentur aussagekräftig bewarb. Dann siedelte der Engländer nach Deutschland um und sah sich mit einem Karriereeinbruch konfrontiert, denn nicht überall waren die Designer zu dieser Zeit auf der Suche nach so offensichtlichen Kontrasten zum idealen Modelbild. Deshalb wechselte das ehemalige Male-Model kurzerhand die Seiten und gründete in Berlin eine eigene Agentur. Mittlerweile umfasst seine Kartei mehr als 400 unterschiedliche Typen. Und mit Misfits ist Keens sehr erfolgreich am Markt etabliert.
Inklusion spielt eine wichtige Rolle
Dass Diversität ein großer Wirtschaftszweig innerhalb der Modewelt geworden ist, das beweisen die bekannten Gesichter hinter den Marken ebenso eindeutig wie das Wachstum der Agenturen. Die Nachfrage ist riesig. Auch Stars wie Rihanna beteiligen sich an diesem Trend. „Wir glauben nicht an Aufteilung. Wir glauben auch nicht daran, jemanden auszuschließen", begründet die Musikerin und Designerin ihre Beweggründe. Deshalb nutzt sie für ihr Label Fenty, zu dem neben der Bekleidungsabteilung (Savage X Fenty), eine Pflegeserie (Fenty Skin) und eine Beautyserie (Fenty Beauty) gehören, bewusst Produkte für alle. Das umfasst Kleidung in sämtlichen Größen und attraktiv für jedes Alter designt, damit auch Menschen mit mehr Rundungen hier zugreifen können. Die Laufstege ihrer Shows und sämtliche Kampagnen werden von Models präsentiert, die eben keinem speziellen Schönheitsideal entsprechen. Sie hat sogar eine Gesichtspflegereihe ins Leben gerufen, die absolut genderneutral gestaltet ist, frei nach dem Motto: Wieso sollen spezielle Inhaltsstoffe nur für Frauen oder Männer gut sein? Sie nutzen doch jeder Haut! Da wundert es nicht, dass ihre Kundschaft dem Angebot mehr als zugetan ist. Bereits in den ersten 15 Monaten von Fenty Beauty erwirtschaftete sie einen Umsatz von 570 Millionen Dollar. Den Blick auf Diversität und Inklusion richten inzwischen eine ganze Reihe Modemacher und Beautylabels wie zum Beispiel Sephora. Das US-Unternehmen hat eine eigene Studie zum Thema „Rassistische Vorurteile" durchführen lassen. Heraus kam, dass 40 Prozent der befragten Kundinnen und Kunden glauben, wegen ihrer Abstammung oder Hautfarbe anders behandelt zu werden. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Gesichter jeder Art, jeden Alters und mit kleinen Makeln Teil der Werbekampagnen sein sollten, damit Kunden sich wohl und verstanden fühlen. Das Problem der empfundenen Ausgrenzung ist mittlerweile so groß geworden, dass es viele neue Ansätze hin zu einer bunteren Vielfalt gibt. Einer davon wurde im Jahr 2019 vom National Museum of Scotland zelebriert. Gleich eine ganze Ausstellung widmete man dort dem Thema „Body Beautiful: Diversity on the Catwalk". Zu den Highlights gehörte ein BH des Labels Chromat aus der SS15-Kollektion, welcher von Denise Bidot präsentiert wurde. Sie ist das erste Plus-Size-Model, das eine Normalgrößen-Show auf der New York Fashion Week eröffnen durfte. Ein erstes Mal durfte auch Halima Aden erleben, ein Model aus Somalia. Sie präsentierte für Max Mara einen Mantel aus der AW17-Kollektion. Dabei trug sie einen Hijab, also ein Kopftuch. Beispiele wie dieses zeigen, dass es Mut braucht, um neue Wege zu gehen. Aber auch, dass sich diese lohnen können, weil es dem Auge Abwechslung bietet vom Einerlei und deutlich macht, wie facettenreich Mode sein kann, inklusive natürlich der Models, die sie tragen.