Soll Mikromobilität und öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) gefördert werden, muss es unattraktiver werden, einen eigenen Pkw zu besitzen, meint Werner Ried vom VCD Saar. Das Saarland hat noch einigen Nachholbedarf.
Herr Ried, trotz Klimawandel, trotz hoher Energiepreise, trotz des extremen öffentlichen Platzbedarfs bewegen sich die meisten Bürger, besonders im Saarland, weiterhin mit dem Auto fort. Was kann man dagegen tun?
Der wichtigste Punkt für die kommenden Jahre ist definitiv, diesen Überbedarf an Parkplätzen, Stichwort ruhender Verkehr sowie das Übermaß an Autos pro Einwohner insgesamt zu reduzieren. Besonders im Saarland leben wir zurzeit in einer enormen Schieflage, wie die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen: Auf 1.000 Einwohner kommen bei uns 658 Pkw – damit sind wir in Sachen Verkehrswende Schlusslicht in Deutschland. Andere Studien und Befragungen kommen sogar auf eine noch höhere Pkw-Anzahl. Um das mal in einen verständlicheren Kontext zu setzen: Sollte das Saarland evakuiert werden müssen, müsste niemand auf der Rückbank eines Autos sitzen, und es wären sogar noch Beifahrerplätze frei. Wir haben also schon bei der reinen Autoanzahl für den Bedarf in unserem Bundesland eine absolute Überkapazität. Das sorgt für ein Folgeproblem: Diese ganzen Pkw, manchmal drei und mehr pro Haushalt, müssen die meiste Zeit des Tages irgendwo rumstehen, da sie nur einen Bruchteil des Tages überhaupt als Fahrzeuge genutzt werden. Das nimmt anderen Formen von Mobilität, besonders im städtischen Raum, den Platz, um eine gute und sichere Alternative zu sein. Für diese Schieflage sehe ich eigentlich nur einen Ausweg: Restriktionen für den Autoverkehr. Damit meine ich nicht direkt Maßnahmen wie Verbote, sondern sanfte Maßnahmen wie Tempo-30-Zonen oder künstliche Sackgassen, die für anderen Verkehr beispielsweise Fahrräder durchlässig sind. Das sorgt erwiesenermaßen für weniger Autoverkehr, da Gegenden, die nicht möglichst schnell befahren werden können, in der Regel von Autofahrern gemieden werden. Das sind keine abstrakten Gedankenspiele, sondern Konzepte, die andernorts schon viel gebracht haben. Zum Beispiel in Frankfurt, wo ganze Wohnviertel durch solche und ähnliche Ideen beruhigt wurden.
Also Stadtplanung gegen Pkw für weniger Pkw?
Genau. Nur wenn das Autofahren weniger attraktiv wird, wird die Nutzung des umweltfreundlicheren ÖPNV oder anderer Verkehrsmittel wie dem Fahrrad attraktiver. Aber solange wir nur auf die Karte Auto setzen, was wir im Saarland meist noch tun, geht es bei der Raumgestaltung eben nur darum, den Straßenraum für Autos zu gestalten, statt andere Arten der Mobilität zu fördern.
Also brauchen wir in erster Linie ein politisches Umdenken?
Ja, solange Entscheider und Planer beim Landesbetrieb für Straßenbau und in den Kommunen weiter autofreundlich denken, wird es keinen tiefgehenden Wandel weg vom Auto geben. Straßenraum könnte, wenn gewollt, ohne langwierige Planrechtsverfahren und ohne hohe Kosten durch Markierungen und Pop-up-Radwege umverteilt werden. Auch Parkflächen könnten ganz einfach teurer gemacht werden, um so einen Beitrag gegen das Auto leisten. Andere Städte in Europa machen das ausgezeichnet vor, da kostet ein Parkplatz nicht 30 Euro, sondern einen Wert im oberen dreistelligen Bereich. Amsterdam oder Kopenhagen sind hier gute Beispiele. Außerdem darf man folgendes nicht vergessen: Höhere Parkgebühren könnten eine gute Geldquelle für ein besseres ÖPNV-Angebot sein!
„Autofahren ist nicht identisch mit Auto haben"
Aber ist das kein Henne-EiProblem? Viele Autofahrer argumentieren, dass bei ihnen, besonders in den ländlicheren Gebieten, gar keine oder nur eine schlechte Anbindung an den ÖPNV existiert.
Dazu muss man erst mal sagen, dass sich in den vergangenen Jahren einiges getan hat. Im Saarland sind viele Busangebote, auch die schnelleren, überregionalen Busse, in ihrer Taktung deutlich verbessert worden. Jetzt gibt es vielerorts, nicht nur im vorbildlichen Saarpfalz-Kreis, auch Fahrten an Sams- und Sonntagen. Selbst die Region Merzig-Wadern, die den öffentlichen Nahverkehr bisher immer am meisten vernachlässigt hat, stellt mittlerweile fest, dass ihr ÖPNV verbessert werden muss. Dazu kommt ein neues Konzept: On-Demand-Verkehr. Über entsprechende Anbieter kann ich digital, über eine App oder einen Anruf, ein Fahrzeug rufen, dass mich dahin bringt, wo ich hinwill. Oft mit gar nicht so langen Wartezeiten. An dieser Stelle möchte ich noch mal auf Folgendes hinweisen: Es geht mir und dem VCD Saar nicht darum, das Autofahren zu verbieten, sondern durch Reformen den Zwang zum Auto abzuschaffen – besonders zum eigenen Pkw. Denn das große Missverständnis, insbesondere von vielen Saarländern ist, dass Autofahren identisch ist mit Auto haben. Dieser Zusammenhang ist Käse! Heute kann man Autofahren, ohne Eigentümer eines Autos zu sein. Ich bin da selbst ein gutes Beispiel: Ich lebe weitestgehend autofrei, aber wenn ich ein Auto für etwas brauche – und es macht mir ab und an auch Spaß Auto zu fahren – dann kann ich mir einen Pkw über die Möglichkeiten des Carsharings leihen oder einen Nachbarn fragen. Das lohnt sich auch finanziell angesichts der hohen Fixkosten, die ein eigenes Auto mit sich bringt.
Im Saarland scheint mir der Funke bei dem Konzept Carsharing nicht so richtig übergesprungen zu sein.
Ja, aber das ist wieder ein spezifisch saarländisches Problem. Carsharing ist bei uns leider nur sehr rudimentär ausgebaut, große Anbieter wie Flinkster sind im Saarland wenig vertreten und andere wie Cambio weit davon entfernt, flächendeckend anbieten zu können. Das ist in anderen Gegenden eindeutig besser und damit günstiger für den Verbraucher gelöst worden. Was außerdem dazukommt: Weder in Saarbrücken noch im Saarland gibt es ein ordentliches Fahrrad-Leihsystem. In anderen Gegenden ist so was Standard und viele Anbieter konkurrieren miteinander um mögliche Kunden. In Saarbrücken gibt es nur fünf Call-a-bike Fahrräder der Deutschen Bahn, die man immer an ihren Ursprungsort zurückbringen muss, statt sie an unterschiedlichen Stationen im Regionalverband abzustellen zu können. Das macht die Räder unattraktiv. Man braucht ja flexible Systeme, am besten Floating-Systeme, ähnlich den E-Rollern, wo der Abstellort weitestgehend egal ist. Es ist für mich beschämend, dass wir erst ein E-Roller-System bekommen haben, statt eines funktionierenden Fahrrad-Leihsystems. Das ist für mich ein Armutszeugnis sondergleichen.
„Paris sollte ein Vorbild für uns sein"
Viele Bürger ärgern sich über diese E-Roller, da sie wegen dem flexiblen Abstellsystem oft an den unmöglichsten Stellen geparkt werden.
Besonders, was das Parken auf Gehwegen und ähnliche Unannehmlichkeiten angeht, haben die Kommunen in den vergangenen Jahren einiges gelernt. Zwangsläufig, denn aktuell haben wir ja fast mehr Unfälle von Leuten, die über die Roller stolpern, als wirkliche Fahrunfälle. Trotzdem wäre das eine Maßnahme, um dem ruhenden Verkehr durch stehende Autos vorzubeugen.
Also heißt es für die Kommunen, jetzt auf ein angemessenes Angebot für Leihräder aus der Wirtschaft zu warten?
Nicht so ganz. Das ist ja ein Zusammenspiel aus Kommunen, die ein solches System wollen und Platz zur Verfügung stellen, und den privaten Anbietern. Ein Beispiel ist hier Nextbike, die auf ihre Kosten Fahrrad-Stellplätze zur Verfügung stellen, aber den Raum für diese von der öffentlichen Hand bekommen. Das kann aber nur funktionieren, wenn dafür die Anzahl an Pkw-Stellflächen reduziert wird, auf denen dann eine Vielzahl von Leihrädern stehen kann. Da gibt es ein riesiges Potenzial, dass in den Köpfen einiger Entscheidungsträger noch nicht gesehen wird. Wer das als Bürgermeister oder Stadtplaner mal in der Praxis sehen möchte, denn lade ich hiermit ein, mich nach Paris zu begleiten. Dort wurde die ganze Stadt innerhalb weniger Jahre umgeplant und ganze Autostraßen sind zugunsten von öffentlicher Grünfläche, Fußgängerzonen oder Spuren für Busse und Mikromobilität verschwunden. Es war und ist ein Genuss zu sehen, wie viel und wie schnell geändert werden kann, wenn die Grundidee stimmt. Paris sollte für uns, besonders hier in der Grenzregion, ein großes Vorbild für modern gedachte Mobilität sein.
Würde das große Parkplätze im Außenbereich und guten ÖPNV im innerstädtischen Bereich zur Folge haben?
Nein! Das ist eher ein Konzept, wie es derzeit von Luxemburg verfolgt wird, was meiner Meinung nach in der Praxis nicht richtig funktioniert. Es zeigt sich ja: Wer einmal im Auto sitzt, um von A nach B zu kommen, der bleibt im Auto. Im Gebiet von Paris gibt es da einen anderen Anspruch: Jeder soll im Stadtgebiet in 15 Minuten alle normalen Ziele erreichen können. Klar, das funktioniert heute noch nicht überall, besonders von einem Außenbezirk zu einem gegenüberliegenden, aber der politische Wille zur Veränderung ist da. Und genau dieser Wille ist es, der Bürger nachhaltig dazu bewegt, vom eigenen Auto auf andere Formen der Mobilität umzusteigen. Davon sind wir im Saarland noch Jahre entfernt. Es fehlt insbesondere eine klare, verkehrspolitische Zielsetzung, die das Pariser Klimaschutzabkommen für das Saarland konkretisiert. Unsere neue Verkehrsministerin muss statt auf das Auto und Neubauprojekte wie die Nordsaarlandstraße auf eine nachhaltige und vielseitige Mobilität setzen und die Verkehrswende für alle fühlbar einleiten.