Die ersten Schritte sind gemacht, dennoch gibt es noch genügend Baustellen: Erhard Pitzius, Sprecher der Plattform Mobilität im Saarland, plädiert für ein Ende der „Kleinstaaterei" und einen einzigen Aufgabenträger, der den ÖPNV im Bundesland zentral organisiert.
Herr Pitzius, momentan beschäftigen Sie sich vor allem mit der Reaktivierung von Bahnstrecken – warum gerade damit?
Die alten Bahnstrecken wie die Rosseltalbahn, Primstalbahn, die Strecke Merzig-Niederlosheim oder die Bisttalbahn würden den Hauptstrecken der Bahn Fahrgäste zuführen. Eine Reaktivierung kostet natürlich Geld, aber man darf dieses Problem nicht betriebswirtschaftlich, sondern man muss es volkswirtschaftlich und ökologisch betrachten: Mehr Fahrgäste, auch auf den Hauptstrecken lasten diese besser aus und reduzieren den Pendler-Individualverkehr und seine Folgekosten.
Wie stellen Sie sich den optimalen ÖPNV im Land vor?
Der ÖPNV im Saarland sollte wie ein Baum aufgebaut sein: Eisenbahnhauptstrecken entlang der Saar oder Richtung Sankt Wendel, die in Saarbrücken aufeinandertreffen, Nebenstrecken durch Bahn oder Busse wie Äste, kleine Verzweigungen in die Ortschaften. Von den reaktivierten Bahnstrecken muss es Busverbindungen in die Wohn- und Gewerbegebiete geben. Laut Verkehrsentwicklungsplan würden diese Reaktivierungen bis zu 8.000 Fahrgäste mehr pro Tag bedeuten. Die Bahn wäre zudem schneller als ein Bus, der nicht immer genügend Platz für eine eigene Spur oder eine Ampelvorrangschaltung hat.
Derzeit gibt es eine starke Konzentration auf die Saarbahn als Hauptast sowie Zubringerbusse. Ist dies nicht die richtige Lösung?
Die Plus- oder Expressbusse heute waren früher mal zum Teil Bahnlinien, Bahnbus- oder Postbuslinien. Je mehr Bahnfahrten wir in der Fläche anbieten, desto weniger Busse brauchen wir dort. Klar, wir brauchen sie weiterhin, aber sie müssen anders fahren, kleinteiliger, in die Wohn- und Gewerbegebiete und eben nicht nur durch die Hauptstraße im Ort. Diese Beispiele gibt es im Saarland weiterhin: Griesborn, ein Teil von Schwalbach, ist komplett nahverkehrsfrei bis auf zwei Schülerbusse und zwei Schichtbusse zur Dillinger Hütte. Menschen müssen etwa einen Kilometer zur Haltestelle laufen. Selbiges gilt für Berus, dort gibt es in einem Neubaugebiet ebenfalls keine Bushaltestelle. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen aber empfiehlt in einem Verdichtungsraum wie unserem eine Haltestelle alle 300 bis 500 Meter. Ab einer gewissen Größe eines Wohn- oder Gewerbegebietes braucht es hier eine Busverbindung. Leider ist der ÖPNV im Saarland mit den Siedlungen nicht mitgewachsen.
Bur Busse hat angekündigt, sich vollends auf den Linienverkehr zu konzentrieren. Entstehen mit diesen Ideen nicht auch Nachteile für Busunternehmen?
Wenn wir den „Schienenersatzverkehr", den manche Buslinien heute betreiben, wieder zurück auf die Schiene führen, haben diese Unternehmen auf den ersten Blick einen Nachteil. Jetzt erhalten sie Geld für diese Dienstleistung aus Regionalisierungsmitteln, können sich also auf diese Einnahmen verlassen. Das heißt jedoch nicht, dass es keine anderen Aufgaben für diese Unternehmen gibt, eben andere Streckenführungen. Unser Anliegen ist, dass wir einen gemeinsamen saarländischen Aufgabenträger brauchen. Das Land ist nicht groß. Daher muss es möglich sein, einen ÖPNV „aus einem Guss" zu formen, der nicht an Gemeinde- oder Landkreisgrenzen endet.
Können Sie ein Beispiel hierzu nennen?
Möchte ein Fahrgast aus Reisbach die sieben Kilometer nach Heusweiler mit dem Bus fahren, muss er von Reisbach über Saarwellingen nach Bous an den Bahnhof, also in die entgegengesetzte Richtung, und von dort über Völklingen oder Saarbrücken nach Heusweiler, oder mit dem Bus über Saarwellingen nach Lebach und von dort mit der Saarbahn fahren, insgesamt eine dreiviertel Stunde mehr an Fahrzeit. So funktioniert kein attraktiver ÖPNV. Der Einfachheit halber könnte der KVS-Bus von Reisbach drei Kilometer weiterfahren bis zur Saarbahn-Haltestelle in Eiweiler, von dort aus sind es noch zwei bis drei Haltestellen bis Heusweiler. Der Bus der KVS „darf" aber nicht weiterfahren. Wenn er es denn tun dürfte, verlangen die Saarbrücker Verkehrsbetriebe von der KVS Geld, weil der Bus eine Strecke im Hoheitsgebiet der Saarbahn bedient. Genau diese „Kleinstaaterei" bremst guten ÖPNV aus.
Das Saarland hat das Tarifsystem reformiert. Was halten Sie von dem neuen System?
Das ist ein überfälliger Schritt. Insbesondere das Tagesticket ist lobenswert. Der Rest holpert ein bisschen. Das Jobticket hängt deutlich hinter dem Soll zurück, das Geschwisterticket ist unnötig kompliziert, vor allem für Patchworkfamilien. Denn es gilt nur für Geschwister, die in einem Haushalt wohnen, und ich bekomme die Vergünstigungen nur auf Antrag mit einer Frist von drei Monaten. Das Schülerticket gilt leider nicht in den Ferien. Wir plädieren dafür, dass die Waben abgeschafft werden und dass es einen Luftlinientarif gibt. Hier gilt die kürzeste Entfernung zwischen Einstieg und Ausstieg aus dem Bus oder der Bahn und nicht der gefahrene Weg, der dann womöglich noch durch Füllwaben führt. Hier muss die Digitalisierung mehr leisten.
Das Land schafft ein Kompetenzzentrum für die Digitalisierung, es entstehen Bürgerbusse, Stellen für Radverkehrsbeauftragte in den Kommunen – erkennen Sie darin Fortschritte für modernen Nahverkehr?
Fortschritte, vor allem in Sachen Bahnstrecken-Reaktivierung, gibt es seit etwa 2018. Aber das Totschlagargument war bisher immer, dass kein Geld da sei oder angeblich keiner weiß, woher es kommt, besonders bei grenzüberschreitenden Projekten. Zum Beispiel, wer bezahlt einen Fahrdienstleiter für den Bahnbetrieb der Niedtalbahn in Bouzonville? Trassen für den Güterverkehr hatte die Firma Bahnlog/Europorte bereits bei der DB Netz bestellt, aber Frankreich wollte Geld für einen Fahrdienstleiter auf französischer Seite von Deutschland. Das Saarland sieht sich nicht zuständig, denn man sei ja nur bis zur Landesgrenze verantwortlich. Deshalb zahlt die Saarbahn ihre 160.000 Euro pro Jahr für die 800 Meter bis Saargemünd auch selbst. Immerhin gibt es jetzt einen Landeszuschuss von 100.000 Euro. Das ist in Rheinland-Pfalz anders, dort zahlt das Land die Strecke bis Wissembourg komplett aus Regionalisierungsmitteln. Das Verhalten im Saarland kann ich nicht nachvollziehen, gerade im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft. Werden die Bahnstrecken reaktiviert, bezahlt das Land den Betrieb auf diesen Strecken. So steht es im Regionalisierungsgesetz. Die Kommunen müssen dafür kein Geld locker machen. Alleine dies manchen Kommunalpolitikern beizubringen ist oftmals nicht so einfach.
Nun hat das Bundesverkehrsministerium klargemacht, dass es kein zusätzliches Geld für den Saar-ÖPNV geben wird. Wo liegen dann die Perspektiven?
In einem Gesamtkonzept für die saarländische Mobilität, das vom Fuß- über Rad- bis hin zu Bus- und Bahnverkehr alle Möglichkeiten beinhaltet und natürlich auch die Verringerung des Pkw-Verkehrs mit sich bringt. Viele kurze Wege werden zu Fuß zurückgelegt, Radwegenetze müssen zusammenhängen, hier muss die Infrastruktur ausgebaut werden, der Busverkehr muss auf den Bahnverkehr abgestimmt sein und ihn komplettieren. Dazu braucht es natürlich Geld, aber auch mehr Transparenz, wohin es fließt. Das Saarland bekommt in diesem Jahr 112 Millionen Euro Regionalisierungsmittel für den SPNV vom Bund. 2015 wurden 84 Prozent der Gelder für die Bestellung von Verkehren ausgegeben, heute sind es nur noch 75 Prozent. Der Rest fließt in die Umgestaltung von Bahnhöfen, in Zuschüsse für Schülerkarten, in die SaarVV/ZPS/SNS-Verwaltung, die etwa zehn Millionen Euro im Jahr kostet. Für ein kleines Land sehr viel im Bundesvergleich. Aber ich weiß nicht genau, wieviel Geld genau wohin fließt, hier muss die Verwaltung transparenter werden. Also, einfach, bezahlbar, unbürokratisch und transparent – das wäre unser Wunsch für einen modernen ÖPNV im Saarland.