In der „Kitchen Library" haben sich Küchenchef Udo und Gastgeberin Daniela Knörlein der feinteiligen Küche und Weinen mit Haltung verschrieben. Kann es eine schönere Überraschung geben, die beispielhaft für das „Stadtmenü" und das Programm der nahen „Berlin Food Week" steht?
In der „Kitchen Library" steht Chef Udo Knörlein allein in der Küche und füllt diesen Teil des Restaurantnamens mit Leben, Kreativität und Gerichten. Seine Frau Daniela Knörlein ist für den zweiten Teil zuständig. Sie ist Gastgeberin, Weinexpertin und Hüterin der 700 Bände aller Genres und Epochen in der Kochbuch-Bibliothek im Gastraum. Sie serviert und erklärt die gar nicht mal so „Kleinen Dinger" von der Karte, die ihr Mann und sie vier Mal in der Woche anbieten.
Das Restaurant an der Bleibtreu-, Ecke Pestalozzistraße ist eine wilde, aber in sich stimmige Mischung: Puppenstuben-Style und Gemütlichkeit treffen auf elegante, weiße Rosenthal-Teller und deutsch-französische Finessenküche mit internationalen Einsprengseln. Akustikbetonte und leicht roughe Musik umrahmt das Geschmackserlebnis, Gläser mit Pickles und Pulvern von Gemüsen und Kräutern sowie selbst gemachte Jus, die Bücher in dunklen Holzregalen. Der funkelnagelneu auf einer Dschungeltapete oberhalb der Eingangstür aufgebrachte Spruch in Neonschrift passt: „Mach dein Ding, Irgendwer findet’s eh kacke." Klare Worte für ein Konzept, das das Zweipersonen-Team seit 15 Jahren gemeinsam im Leben und seit sieben Jahren im eigenen Restaurant in Charlottenburg verfolgt.
Ein schwerer Holztisch am Fenster ist Schauplatz unseres Geschehens. Gemixtes Silberbesteck trifft auf feines Porzellan sowie Dackel- und Katzen-Messerbänkchen. Und auf eine gut gelaunte Daniela Knörlein, die uns herzlichst mit einem Aperitif, einem Riesling mit hausgemachtem Fichtennadelsirup, empfängt. Die ersten „Dinger" betreten den Tisch als Amuse-Bouche – ein Lángos mit Zwetschgenbahmes, Tomatenpesto und Rucola-Pulver. Der geräucherte fränkische Rinderschinken auf frittiertem, fluffigem ungarischen Teighappen macht mit feinem, kompaktem Umami neugierig auf das Menü.
Das wird im Folgenden allerdings vegetarisch sein. Wir freuen uns darauf, uns vorab durch das Fünf-Gänge-Menü der „Kitchen Library" zur „Berlin Food Week" 2022 zu probieren, das die beiden beim „Stadtmenü" vom 12. bis 15. Oktober anbieten. Die „Kitchen Library" ist im Normalbetrieb kein vegetarisches Restaurant: „Wir haben immer auch etwas Fleisch oder Fisch auf der Karte", sagt Daniela Knörlein. Rein Veganes wird nicht angeboten: „Udo kommt aus der französischen Küche und liebt Butter sehr."
Das „Stadtmenü" steht in diesem Jahr unter dem Motto „Vom Rinde verweht – Neues Fleisch". Das Team Knörlein entschied sich für Gemüse pur. „Dann machen wir es doch gleich ohne", sagt Daniela Knörlein. „Kitchen"-Tüftler und Allein-Ausführender Udo Knörlein präsentiert mit leichter Hand, was frische und gepickelte Gemüse und Früchte hergeben. Im ersten Gang lässt Japan grüßen und wird lässig ins deutsche Gemüsebeet eingemeindet. Ein klein gewürfeltes Lauch-Kimchi mit schöner Säure wurde in ein süß angehauchtes japanisches Miniatur-Omelette eingeklappt – ein perfekter Kontrast. Ein kurz abgeflämmtes Lauchstückchen scheint einen Hauch von Zimt zu verbreiten. Lauchcreme-Tupfen und Miso-Aioli liegen auf einem Spiegel von Lauchöl.
700 Kochbücher laden zum Schmökern ein
Es gibt viel einzeln zu probieren und zu mixen. Auch ein Bonsai-Gugelhupf von Rucola-Mousse mit Vadouvan-Aioli auf seinem Extrateller möchte parallel mitspielen. Schöne Sache! Auch der Wein beweist Haltung: Die Weißburgunder-Chardonnay-Cuvée „Kein Wein den Faschisten" von Alexander Flick aus dem rheinhessischen Bechtolsheim zeigt sich kraftvoll im Untergrund, während Birne, Pfirsich und Blüten vorneweg liebreizen.
Die Weinauswahl ist das Metier von Daniela Knörlein, die noch vor dem Abschluss ihrer Sommelière-Ausbildung steht. „Wenn ich die Zeit finde, das achtwöchige Praktikum auf einem Weingut zu machen", sagt sie. Während der Lockdowns und Pandemie-Hochphasen stand anderes im Vordergrund; nun müsste sie eine adäquate Vertretung finden. Nicht einfach bei so einem eingespielten Duo, das bewusst und lange so eng miteinander tickt. Der Praktikumsort steht jedenfalls fest. Das Weingut Lauermann & Weyer in Bockenheim soll es sein. „Wir sind befreundet und haben 2022 auch unseren Restaurant-Geburtstag am 15. März mit einem Special miteinander gefeiert."
Den roten Saint Laurent trocken von ihnen bekommen wir zum herbstlichen dritten Gang ins Glas. Ein Kohlrabi-Quadrat wurde in Butter confiert und lässt sich von einem sautierten Steinpilz, Pilz-Krapfen, Holunder-Kapern, Steinpilzcreme und schwarzem Reis-Chip umrahmen. Angegossen wird mit einer intensiven, „über Tage einreduzierten Jus nur aus Pilzen und Tomaten".
Die Jus gibt’s auch zum Mitnehmen. Die kulinarische Freundin kauft fürs Wochenende und ein eigenes Pilzgericht ein. Bräuchte sie Rezept-Inspirationen, könnte sie eines der 700 Kochbücher aus dem Regal ziehen – Schmökern ist erwünscht. Liebstes Buch von „Archivarin" Daniela Knörlein ist „The Fat Duck Cookbook" von Heston Blumenthal: „Es ist weniger eine Kochanleitung als ein Märchenbuch mit vielen Geschichten." Zur Eröffnung 2016 standen gerade einmal 200 Bücher in den Regalen. Mit dem Anwachsen der Sammlung veränderte sich die Gestaltung des großen Gastraumes. Es wurde geräumt und die Gläser mit Pulvern und Pickles neu arrangiert. Normalerweise finden 15 Personen bei den vier- bis siebengängigen „Kleine Dinger"-Menüs für 64 bis 103 Euro Platz. Passende Weine werden für acht Euro je 0,1 Liter ausgeschenkt. Beim „Stadtmenü" zur „Food Week" können wegen des einheitlichen Menüs 25 Gäste Platz nehmen. Es wird zum Hereinschmecker-Preis von 77 Euro sowie mit einer Weinbegleitung für 40 Euro angeboten.
Auf Pilz und Kohlrabi folgt „Käse, Käse, Käse". So ein Käse, pardon: solche drei Käse! Stücke und Scheiben könne ja jeder, findet Udo Knörlein. Deshalb veredelt er die drei Sorten unterschiedlich. Ein gebackenes Tête-de-Moine-Bällchen mit Panforte, „dem italienischen Nuss-Früchte-Brot", und schwarzer Walnuss-Scheibe stellt sich neben einem Schälchen Appenzeller-Espuma und einer Tasse Roquefort-Crème-brulée zur großen Geschmacksparade auf. Letztere ist unser Favorit: Was für eine beeindruckende Umami-Bombe mit ihrem cremigen Spiel von leichter Süße und Würze. Merken: Das zu Hause als Angeber-Gang für Gäste unbedingt selbst ausprobieren. Von den Besten, sprich: Udo Knörlein, lernen!
Weil die „Berlin Food Week" bei unserem Besuch noch ein paar Tage hin ist, vernaschen wir eine Abwandlung des Desserts: ein supercremiges Karotteneis, das sich unter fluffigen, dünnen Scherben von getrocknetem Nougat versteckt. Ein Ragout von getrockneten und eingelegten Aprikosen spendet leicht angesäuerte Süße. Da kippt nichts ins Pappige. Die Sellerie-Espuma hätte entschieden etwas dagegen; der junge Riesling-Gewürztraminer von Edelberg von der Nahe nicht minder. In der „Stadtmenü"-Edition gibt’s eine weiße Luftschokolade mit Basilikum.
Auch auf der Food Week Mitte Oktober präsent
Udo Knörlein beweist, dass sehr gute Köche verspielte Menschen sind, die sich selbst ganz bestimmt nicht langweilen wollen. Weil den beiden Knörleins die Ideen nie ausgehen und der Name verpflichtet, haben sie für ihr zehnjähriges Restaurant-Jubiläum 2026 ein ganz großes Ding avisiert. „Wir wollen ein eigenes Kochbuch mit Udos Rezepten herausbringen. Das passt zu uns", sagt Daniela Knörlein.
Wir haben uns für die „Kitchen Library" zum Vorschmecken entschieden, die uns sehr überrascht und glücklich gemacht hat. Für genau solche kulinarischen Entdeckungen öffnet die „Berlin Food Week" vom 10. bis 16. Oktober einmal mehr das Bewusstsein. Vom „Pots" im Ritz-Carlton bis zum „Mutter Lustig", vom „eins44" bis zum veganen „Kopps" und vom „Spindler" bis zum „Diekmann" reicht das Spektrum der zahlreichen Restaurants.
Die „Food Week" richtet immer wieder ihren Blick auf zukunftsweisende Aspekte und Trends, die von der Ernährung für jeden Tag bis zum Fine Dining künftig wichtige Rollen spielen könnten –
in diesem Jahr auf hochwertiges „Ersatzfleisch" sowie andere klimafreundliche pflanzliche Proteinquellen. Alltagstaugliche Entdeckungen, unter anderem aus dem Partnerland Österreich, an mehr als 40 Manufaktur-Ständen zum Probieren und Informieren gibt’s im „Bikini Berlin" zu machen.
Am Freitag und Samstag, 14. und 15. Oktober, verwandelt es sich gegenüber vom Breitscheidplatz jeweils von 10 bis 20 Uhr in eine Genießer-Meile zum Hindurchschlendern und appetitanregenden Erkunden.