Deutschlands erfolgreichster Filmstar Til Schweiger spricht mit uns über seinen aktuellen Film „Lieber Kurt", über Urängste und Trauerarbeit – und welche Wünsche er sich noch erfüllen will.
Herr Schweiger, zum ersten Mal in Ihrer erfolgreichen Karriere als Schauspieler und Filmemacher haben Sie sich mit dem Drama „Lieber Kurt" an eine Roman-Verfilmung gewagt. Was hat Sie an Sarah Kuttners Roman „Kurt" am meisten berührt?
Natürlich das Thema: Eine kleiner Junge stirbt mit sechs Jahren durch einen Unfall. Das spricht bei mir eine Urangst an. Bei der Geburt meiner Kinder kam immer eine neue Liebe in mein Leben und gleichzeitig auch eine große Angst um sie. Sarahs Roman „Kurt" habe ich durch Zufall gelesen. Eine Freundin hat mir am Flughafen den Roman in die Hand gedrückt. Ich wollte Freunde aus London abholen, die mich eigentlich besuchen wollten, dann aber doch nicht gekommen sind. Also saß ich später alleine am Pool und habe „Kurt" gelesen. Es war das erste Buch seit zehn Jahren, das ich gelesen habe. Früher habe ich unheimlich viel gelesen, aber in den letzten Jahren hatte ich einfach keine Zeit dazu. „Kurt" hat mich total berührt, und ich finde, es ist wirklich ein tolles Buch.
Sie haben sich dann ziemlich schnell die Rechte für eine Verfilmung besorgt.
Ja, allerdings dachte ich, die wären schon längst vergeben. Tatsächlich waren auch schon mehrere Filmproduzenten dran, aber dann hat Sarah gesagt: Wenn Til das machen will, dann soll er das machen. Das hat mich natürlich sehr gefreut.
Sie haben sich gegenüber dem Buch einige Freiheiten herausgenommen. Im Buch stirbt Kurt nach dem ersten Drittel und kommt dann so gut wie nicht mehr vor. Im Film ist der kleine Kurt durch viele Rückblenden stets präsent. Das macht den Film viel lebendiger, und auch die Beziehung zu seinem Vater, dem älteren Kurt, und dessen Freundin Lena stimmiger.
Die erste – übrigens sehr gute – Drehbuchadaption hat Vanessa Walder ganz alleine geschrieben. Sie hielt sich ziemlich eng an die Buchvorlage. Mir war aber schnell klar, dass wir den Jungen leben lassen mussten. Im Buch kommt er ja eigentlich nur in den Gedanken von Lena vor. Aber Gedanken kann man nun mal nicht verfilmen! Also habe ich mir Rückblenden ausgedacht, die den kleinen Kurt in einzelnen Phasen seines kurzen Lebens zeigen. Die meisten dieser Episoden sind übrigens aus meinem eigenen Leben genommen. Ich war ziemlich nervös, was Sarah zu dem neu überarbeiteten Drehbuch sagen würde. Aber sie fand die neue Version super und sagte, dass wir das so machen könnten.
Welche Episoden aus Ihrem Leben waren das denn?
Zum Beispiel die Szene mit dem kleinen Kurt im Auto. Wo wir zusammen Auto fahren, er dabei auf meinem Schoß sitzt und ich ihn lenken lasse. Und die Szene, in der Kurt die Kondome seines Vaters zählt und ihn fragt, ob er die sammelt. Und dass er letzte Woche doch noch acht Kondome hatte und jetzt nur noch fünf. Und was er mit denen gemacht hat? Ob er sie aufgeblasen und zum Platzen gebracht hat, oder ob er Sex hatte. Das ist mir genauso mit einer meiner Töchter passiert.
Sie haben wieder eine sehr gute Besetzung zusammenbekommen. Vor allem Franziska Machens als Lena ist ein großer Gewinn. Sie ist eigentlich Theaterschauspielerin. Gehen Sie seit Neustem ins Theater? Oder wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden?
Nein, ich war schon lange nicht mehr im Theater. Franziska hat dieselbe Agentin wie Jasmin Gerat, die Kurts Mutter spielt. Sie hat mir Franziska ans Herz gelegt. Für die Rolle der Lena habe ich das Who’s who der deutschen Filmschauspielerinnen zum Vorsprechen eingeladen. Natürlich können sie alle sehr gut schauspielern, das ist also nicht der Punkt. Es geht mir beim Casting nur darum, wer wie gut mit dem jeweiligen Filmpartner zusammenpasst. Und als ich Franziska spielen sah, war mir nach zehn Minuten klar, dass ich Lena gefunden hatte. Sie ist wirklich großartig.
Sie sprachen vorher von der Urangst, durch den Tod ein Kind zu verlieren. Wenn Sie nun Kurt spielen, der dieses Trauma erlebt und durchleidet, hat das auch eine kathartische Wirkung auf Sie ganz persönlich als Vater von vier Kindern?
Wenn die Kamera läuft, bin ich ganz und gar Kurt. Da denke ich an nichts anderes. Da spiele ich seine große Trauer, seinen unendlichen Schmerz. Gott sei Dank habe ich ja kein Kind verloren, aber ich kann mich in diese Ängste, die man als Vater um seine Kinder hat, leicht in Kurt hineinversetzen. Natürlich kann ich mir das Leid nur vorstellen. Aber als Schauspieler zehrst du ja von dem, was du erlebt hast und von deinen Emotionen, und natürlich hilft mir dabei auch meine Vorstellungskraft. Dieses Einfühlen fällt mir relativ leicht, da ich ein sehr empathischer Mensch bin. Aber das ist keine Katharsis. Wenn mir bei einer hochemotionalen Szene die Tränen herunterkullern, wische ich nach dem Take die Tränen mit einem Kleenex ab und kümmere mich um die nächste Kameraeinstellung.
Der Kurt im Film kapselt sich in seiner Trauer ab und will niemanden sehen. Wie gehen Sie persönlich mit Trauer um?
Ich mache das nicht mit mir alleine aus, sondern suche das Gespräch mit meiner Familie und hauptsächlich mit Freunden. Im Gegensatz zu meinen Brüdern, die das mit sich alleine ausmachen.
Der zentrale Satz im Film lautet: „Trauer ist nicht etwas, das wir im Griff haben, sie hat uns im Griff!" Das ist sicher richtig, aber ist das nicht auch bei anderen existenziellen Gefühlen so? Wie zum Beispiel bei Liebe, Hass, Zorn, Lust, Gier?
Ich glaube, dass man auf Liebe oder Hass durchaus Einfluss hat. Wenn ich jemanden hasse, dann kann ich mich entscheiden, ob ich ihn weiter hasse und damit sehr viel negative Energie verschwende – oder ihn einfach aus meinem Leben kicke. Und gut ist. Bei Trauer ist das nicht möglich, die kann man nicht kontrollieren. Trauer kann man auch nicht einfach beenden. Die muss man durchleben. Wenn ich zum Beispiel unglücklich verliebt bin und eine Beziehung zu Ende geht, kann ich mir immer noch sagen, vielleicht fängt ja bald etwas Neues an. Wenn jemand stirbt, ist es das Ende.
Peter Simonischek, der im Film Ihren Vater spielt, meint, dass wir ohne Verdrängung alle schon längst tot wären. Stimmen Sie dem zu?
Das müssten Sie eigentlich ihn fragen.
Dann frage ich Sie: Sind Sie jemand, der viel verdrängt?
Ich bin der Verdränger der Nation! (lacht) Ich erinnere mich gerade an den Film „Knockin’ On Heaven’s Door", wo ich jemanden spiele, der einen Gehirntumor hat. Und damals dachte ich: Nicht, dass das ein schlechtes Omen ist und ich bekomme bald selbst einen! Dann hatte jemand in meiner Familie tatsächlich kurze Zeit später einen Gehirntumor … Aber so abergläubisch bin ich dann doch nicht. Mir ist natürlich bewusst, dass ich so jemanden nur spiele und es für ganz viele andere Mensch bittere Realität ist. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Gedanken an den Tod verdränge ich. Das habe ich auch schon mit 30 Jahren so gehalten, und da war der Tod ja noch weiter weg als heute.
Nächstes Jahr werden sie 60. Wird dieser Geburtstag eine ganz besondere Zäsur sein?
Jetzt mal langsam. Ich werde dieses Jahr erst einmal 59!
Hollywoodstar Ben Affleck wurde vor Kurzem 50 und meinte, dass er jetzt viel entspannter leben würde als früher. Und ihm mittlerweile egal sei, was die Leute von ihm denken. Können Sie das nachvollziehen?
Was die Leute von mir denken, ist mir schon deutlich länger egal als Ben Affleck. (lacht) Aber es stimmt schon, 60 ist eine komische Zahl. Andererseits sage ich mir, dass das 60 von heute das ist, was 40 vor 20 Jahren war.
Können Sie sich vorstellen, noch zehn Jahre oder sogar länger Filme zu machen? Oder schreiben Sie bald Ihre Memoiren und werden Hotelier?
Ich kann mir gut vorstellen, bis an mein Lebensende Filme zu machen. So wie zum Beispiel Clint Eastwood. Der ja im hohen Alter eigentlich die besseren Filme gemacht hat. Offensichtlich liebt er das, was er macht, und bei mir ist es genauso. Das ist ja das Schöne an diesem Beruf, dass man ihn – wenn man körperlich und geistig fit bleibt – sehr lange machen kann. Abgesehen davon könnte man ja auch noch im Rollstuhl Regie führen. Ich fühle mich sehr privilegiert, dass ich einen Beruf habe, der mir so viel Freude macht und Spaß bringt. Ich glaube auch, dass mich das jung hält. Und solange mir immer noch gute Geschichten einfallen, warum sollte ich da aufhören?
Wo nehmen Sie eigentlich diese Energie her? Sich am Set um alles und jeden zu kümmern, bis Mitternacht zu drehen, dann noch bis 3 Uhr
morgens in den Schneideraum?
Ich bin schon so auf die Welt gekommen. Ich hatte immer schon sehr viel Energie. Und ich glaube auch, dass mich die Freude an der Arbeit beflügelt. Es macht mir eben sehr viel Spaß, etwas Neues zu erschaffen. Ob das jetzt ein Film ist, ein Drehbuch, Pläne für ein Hotel zu entwerfen oder einen neuen Pulli zu kreieren. Das macht mir auf jeden Fall viel mehr Freude, als irgendwo herumzugammeln oder ein Buch zu lesen.
Sie haben gerade „Manta, Manta 2" abgedreht. Sie spielen wieder die Hauptrolle, führen diesmal aber auch noch Regie. Warum haben Sie das Projekt nach 30 Jahren wieder in Angriff genommen?
Die Idee, einen zweiten Teil zu machen, hatte ich schon lange. Ich wollte „Manta, Manta 2" auch schon mit Bernd Eichinger machen, der ja leider viel zu früh gestorben ist. Bernd meinte aber immer: „Nee – die Manta-Welle ist vorbei!" Ich sagte zu ihm, dass die Manta-Welle schon vorbei war, als „Manta, Manta" ins Kino kam. Und er wurde trotzdem zum Kultfilm. „Manta, Manta" ist von 1993 bis heute 126-mal im Fernsehen ausgestrahlt worden. Den kennt nun wirklich jeder.
Ich hatte bei „Manta, Manta 2" Komparsen, die voll auf den ersten Teil abgefahren sind. Und als der ins Kino kam, waren die noch gar nicht geboren! Der Grund für die Verzögerung war, dass ich jahrelang bei Warner Bros. unter Vertag war, die leider kein Drehbuch zu einem „Manta, Manta"-Sequel entwickeln wollten. Dann war der Warner-Deal zu Ende, und der Weg war endlich frei. Ich habe im Laufe der Jahre auch immer wieder am Drehbuch zu „Manta, Manta 2" gearbeitet.
Dem deutschen Kino geht es schlecht. Das ist zum Teil der Pandemie geschuldet, aber auch jetzt sind die Besucherzahlen, verglichen mit früher, eher moderat. Vor allem dem deutschen Film geht es nicht gut. Früher hatten Sie bei einigen Ihrer Filme über drei Millionen Besucher – und bei „Keinohrhasen" fast sieben Millionen. Heute jubelt man schon, wenn ein Film 250.000 Zuschauer ins Kino zieht. Wie kommt man denn aus dieser Krise wieder heraus?
Das Kino wurde ja schon öfter für tot erklärt. Zuerst als das Fernsehen aufkam, dann als es die Videos gab, dann die DVDs und das Streaming … Aber Kino wird es immer geben. Kino ist ein magischer Ort. Nichts kann man damit vergleichen, wenn man mit fremden Menschen in einem dunklen Saal sitzt, auf die Leinwand schaut, und gemeinsam einen Film erlebt. Ob und wann es einen Aufschwung geben wird, ist schwer vorherzusagen. Denn die Corona-Pandemie – mit all diesen Einschränkungen – ist ja noch lange nicht ausgestanden. Ich hoffe wirklich sehr, dass dieser Wahnsinn bald aufhört.
Sind Sie eigentlich gut durch die Corona-Pandemie gekommen?
Zu Weihnachten war mein Haus in Hamburg ein Quarantäne-Lager. Da hatte ich neun Jugendliche, die alle positiv waren. Was eigentlich nicht viel heißt, weil diese Tests oft extrem fehlerhaft sind. Nur einer hatte Grippe-Symptome. Wir haben jeden Tag getestet – und der Einzige, der noch nie einen positiven Test hatte, war ich. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen überall auf der Welt bin ich da bis jetzt gut durchgekommen.
Haben Sie einen Herzenswunsch, den Sie sich noch unbedingt erfüllen wollen?
Eigentlich habe ich mir alle Herzenswünsche erfüllt. Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass ich weiterhin noch genügend Fantasie und Kreativität habe und dass ich mir weiterhin gute Geschichten ausdenken und gute Drehbücher schreiben kann. Um die dann zusammen mit Menschen, die ich liebe, zu verwirklichen.