Der Thüringer Wald zählt zu Deutschlands schönsten Wald- und Wandergebieten. Im Herbst, wenn die Blätter bunt werden, läuft er zur Hochform auf.
Quittegelb, Kürbisorange, Hagebuttenrot, Maronenbraun und Auberginenviolett – das sind die Farben des Spätsommers. Wenn aus den Blättern der Bäume allmählich das Grün verschwindet, inszenieren Hain- und Rotbuchen, Bergahorn und Bergulmen, Eichen und Ebereschen unter Hochdruckeinfluss einen Farbenrausch, dass man ganz trunken wird. Doch das hier ist nicht der Indian Summer von Kanada oder Nordamerika, sondern der Goldene Oktober im Thüringer Wald.
Zur Abwechslung mischt sich das Dauergrün der Nadelbäume unter die bunte Pracht. Flächenmäßig überwiegen sie sogar in der waldreichen Gegend. Denn die schnell wachsende Fichte wurde in DDR-Zeiten in großer Zahl gepflanzt, weil das Holz in der Papier- und Möbelindustrie und gut 300 Jahre zuvor für die Stollen im Bergbau benötigt wurden. Doch längst geht die Tendenz zum Blatt. „Im Klimawandel bewähren sich Laubbäume besser", sagt Naturschützer Stephan Brauner. Stürme, Trockenheit und Borkenkäfer haben die flachwurzelnden Nadelbäume stark geschädigt. Nun kommt die Stunde der Tiefwurzler. „Wo Fichten umknicken, sähen sich Buchen und Ahorn aus", erklärt er. Im Thüringer Wald, in dem mehrere Schutzgebiete über- und nebeneinander liegen, greife der Mensch in die Natur nicht mehr ein. In nicht allzu ferner Zukunft, prognostiziert Brauner, werde der Naturpark es mit dem Indian Summer in fernen Ländern ohne Weiteres aufnehmen können.
Abwechslungsreiche Landschaft
Nicht nur das intensive Herbstbunt lockt ins 1.200 Quadratkilometer große Waldparadies. Wanderer und Radler schätzen das abwechslungsreiche Gelände aus kontinuierlich ansteigenden Höhen, tief eingeschnittenen Bachtälern, Auen und Wiesen – ein Terrain aus rund 10.000 beschilderten Wanderkilometern. Auch Themenwege wie der Lutherweg, der Bach-Goethe-Weg von Ilmenau nach Arnstadt oder heilklimatische Wanderungen bei Friedrichroda sind darunter.
Das lang gestreckte Kammgebirge zwischen Eisenach und Ilmenau ist mit einem markanten Rückgrat ausgestattet, dem „Rennsteig", dem mit 169 Kilometern ältesten und bekanntesten Fernwanderweg Deutschlands. Die Gipfel des Mittelgebirges sind als „Groß" bezeichnet, wecken aber keine alpinen Hoffnungen. Der Große Beerberg an der Südostflanke verpasst knapp die Tausendermarke, bleibt aber der Mount Everest des Thüringer Waldes. Der Große Inselsberg, mit 916 Metern der dritthöchste, kann mit den höchstgelegenen Buchenwäldern Deutschlands renommieren. Mit etwas Fantasie lässt sich im Rennsteig der Rücken eines schlafenden Dinosauriers erkennen. Das sei gar nicht so weit weg von der Realität, schmunzelt Stephan Brauner, der Geologe ist. Denn die Gegend Inselsberg/Drei Gleichen gehörte vor 300 Millionen Jahren zum Superkontinent Pangäa. „Im Gestein können wir die Entwicklung der Ursaurier bis zu den Dinosauriern perfekt nachvollziehen", erklärt er den Geopark im Thüringer Wald. Die Zahl der Fundstellen von Fossilien, Spuren und Knochen sei riesig. 1997 wurde das berühmte „Tambacher Liebespaar" am Bromacker gefunden, zwei nah beieinander liegende, scheinbar schmusende Skelette der frühen Landtiere. Eine Sensation. Wegen dieser Besonderheiten wurde er im Jahr 2021 zum Unesco-Geopark gekürt.
Die markante Gipfelspitze des Inselsbergs verfügt weder über Gipfelkreuz noch Gipfelbuch, wohl aber über einen Panorama-Turm, der eine sehenswerte Ausstellung über die Besonderheiten der Geologie, aber auch zu Flora und Fauna zeigt. Darunter steht eine originell dekorierte Würstchenbude, deren Wirt Thüringer Rostbratwürste brät und bei milden Temperaturen Sonnenliegen wie in den Alpen aufstellt.
Der „Rennsteig" ist der meistbewanderte deutsche Weitwanderweg. Doch im Herbst kommt er einem geradezu verwaist und idyllisch vor. Nicht rennen: wandern. Der Wald ringsum erscheint als Naturidyll. Bizarre Buchen wurzeln einzeln oder in Gruppen, die Stämme wickeln sich kurios umeinander, winden und biegen sich in alle möglichen Richtungen, ganz so wie der Wind pfeift. Immer wieder öffnet sich der Wald für weite Ausblicke in die Umgebung, so auch auf am Wartburgblick. Ein Wanderer in Trachtenjacke, Krachlederner und Jodlerhut hält im Blättermeer suchend Ausschau nach der berühmten Herberge Luthers, in der der Reformator vor gut 500 Jahren das Alte Testament übersetzte. „Wo ist sie denn?", fragen er und andere Besucher auch. Die Richtung stimmt, doch es ist nur das herbstliche Farbgemisch der Buchen zu sehen.
Die historischen Grenzsteine am Wegesrand erinnern daran, dass die Kammlinie seit dem Mittelalter ein Weg von Händlern, Kurieren und womöglich Kriegern war. Im 19. Jahrhundert verlief hier die Grenze der drei Herzogtümer Sachsen-Gotha, Sachsen-Meiningen und Kurhessen. Unterwegs findet der Wanderer Schutzhütten und Gasthäuser wie auch das aus der Zeit gefallene „Dreiherrnstein" von 1911, dessen Name noch an die Kleinstaaterei von früher erinnert. Franziska Heß hat die Waldschänke vom Großvater übernommen und alles gelassen, wie es war. „Die Einrichtung ist tiefste DDR", sagt sie und lacht. Modernisieren wolle sie auf keinen Fall. Die Gäste mögen die Küchenmöbel im Stil der 1960er-Jahre, vor allem aber das Wildbret, hausgemachte Soljanka und Würzfleisch mit Worcestersauße – zu echten Friedenspreisen.
Verschiedene Besucherbergwerke
Auch wenn man manchmal das Gefühl haben kann, der Berg liege noch vor einem, kann man schon dahinter sein. Denn im Bewusstsein der Bewohner kommt es auch heute noch darauf an, ob man sich diesseits oder jenseits des Rennsteigs befindet. „Vor" meint nördlich davon und bedeutet den Anschluss an Städte und Entwicklung. „Hinter" war südlich und Ende – dort lagen die Grenze nach Franken und der Eiserne Vorhang. Der „Rennsteig" mag gut ausgeschildert sein, abseits braucht man gute Orientierung, eine Karte oder GPS. Oft fehlen entweder Wegweiser, sind verblasst oder widersprüchlich. „Für manche gibt es zu viele Schilder, für andere zu wenig", sagt Thomas Kaebel, der früher Kreiswegewart von Brotterode-Trusetal war, aber weiter aktiv ist. In der Region sind gerade zehn nummerierte und mit roten Pfeilen markierte Rundwanderwege entstanden. Auf den zwischen 4,5 und 17,5 Kilometer langen Strecken können sich alle Generationen, Familien mit Kindern, Pensionäre wie auch Sportler wohlfühlen.
Die Stilllegung des Bergbaus vor gut 30 Jahren bedauert er noch heute. Nur einige Besucherbergwerke wie Hühn bei Trusetal oder die Marienglashöhle bei Friedrichroda bieten tiefe Einblicke in den eingegangenen Industriezweig. Umso mehr freut sich Kaebel über den Klangpfad am Trusebach, ein knapp ein Kilometer langer Rundweg, der Besucher auf einem ehemaligen Aufbereitungsgelände die Geschichte der Bergwerke auf spielerische Weise nahebringt. Aus dem „alten Eisen" wie Förderwagen, Abdeckpfannen oder Wasserrohren entwickelten Musikstudenten der Universität Jena fantasievolle Instrumente und Installationen an 15 Stationen. Kleine und große Gäste können an Röhrenglocken, dem verrosteten Kontrabass oder der skurrilen Klapperschlange experimentieren und exotische Klänge durch Thüringens Wald klingen lassen.