Als ein Meister Proper seines Sports agierte Roger Federer stets ebenso sauber wie elegant und eloquent. Jetzt tritt der Hyperweltstar unter Tränen, doch ohne großes Aufheben um seine Zukunft ab – bei einem Showevent aus seiner eigenen Business-Schmiede.
Der Titel der an einen Ball erinnernden VIP-Veranstaltung für Rogers letzten Tanz lautete „Laver Cup". Eine Wohlfühl-Schauveranstaltung, benannt nach dem australischen Tennis-Altmeister Rod Laver, dem Roger Federer vor ein paar Jahren mit leichter Hand ein von gelben Bällen und amtierenden Tennisstars bewegtes Denkmal setzte. Eine Show, die von Sport-Hardlinern anfangs verachtet wurde, von Ästheten jedoch geschätzt, weil Feinheiten im Interagieren der Top-100-Granden zu beobachten sind, wie sonst kaum irgendwo von den Tribünen des Tenniszirkus. Zu erwarten sind atmosphärische Attraktionen und Emotionen, wie sie die Zuschauer jüngst anlässlich des letzten passionierten Tänzelns des wohl populärsten Tennisprofis aller Zeiten vor Publikum auf einem Court miterlebten.
In London, dieser Tage eine Stadt der großen Abschiede, sagte der Schweizer Großmeister Roger Federer an einem herbstbunt nostalgisch gefärbten Septemberabend seinen Fans, seinen Verbündeten und zuvorderst seiner Ausnahme-Karriere, nach mehr als 24 Jahren erfüllt mit Rekorden, endgültig Goodbye. Vor einer Kulisse voller Jubel und stehender Ovationen, begleitet von den Legenden John McEnroe und Björn Borg sowie seinem Freund Thomas Enqvist.
Leicht war dem 41-Jährigen der Weg zum vergleichsweise leisen „Salut" in der O2-Arena nicht gefallen. Immer wieder berichtete Federer seit dem 15. September, als er seinen Abschiedsbrief veröffentlichte, vom quälenden Ringen mit seiner Entscheidung: Vom Training voller Mühsal in den zurückliegenden fünf Jahren, weil er nach zwei weiteren Knie-Operationen wieder ans Profilevel anschließen wollte. Wie er sich nach vielen Gesprächen mit seinen Vertrauten befreit fühlte, als er endlich beschloss, einen klaren Schlussstrich zu ziehen. Roger, der wünscht, dass man ihm immer die Wahrheit sagt, wie sein langjähriger Trainer Severin Lüthi auf Eurosport erzählte.
Seine goldene Tennishand entspannt in seiner Hosentasche ruhend, plauderte Federer aus London, auch dies zu sehen beim exklusiv übertragenden Sender: „Es war einfach das perfekte Timing, die perfekte Stadt für diesen Abschied. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt an einem guten Ort bin, viel mehr in Genusslaune." Seine Strategie war simpel: „Meine Rivalen sind jetzt alle in meinem Team, so sollte sich das anfühlen. Vielen Dank, ich liebe euch alle." So ließ er sich denn auch gern von den Kollegen der Teams World und Europe nach seinem letzten Match durch die Halle tragen.
Ein feuchtfröhlicher Abschied, voll gut gelaunter Wehmut, nahm seinen Lauf: „Still falling for you", sang die britische Songwriterin Ellie Goulding, während Roger Federer auf der Team-Europe-Bank weinte und weinte. Salziges Nass, im Doppel vergossen mit Rafael Nadal, der an diesem Abend ähnlich von Emotionen aufgelöst wirkte wie sein nunmehr nur noch freundschaftlicher Rivale Roger. Tränen flossen auch bei Stefanos Tsitsipas, Andy Murray, Matteo Berrettini und manch anderem in und vor der Halle.
„Das ist einfach Wahnsinn"
Es zeugt von des Maestros Art, statt bei einem letzten Wimbledon-Auftritt 2023, wie von vielen erwartet, zügig und unerwartet im Herbst 2022 auf einem Nebenschauplatz der Tennistour zurückzutreten. Ein solches Vorgehen erinnert an einen Schlag, den der Schweizer erfand: ein Return, den er als Halbvolley nahm und dabei – zur Irritation seiner Gegner – nach vorne stürmte. Rogers Gentleman-Manieren, seine freundliche und respektvolle Umgangsart, wurden vielen zum Vorbild. Neben seiner schwerelosen Beweglichkeit, die ungleich schwerer nachzuahmen ist, als Teil seiner Tenniskunst. 13 mal gewann Federer den Stefan-Edberg-Sportsmanship-Award, einen Preis für Fairness und Integrität „Er hat mich inspiriert, als ich kleiner war, ich habe alles von ihm angesehen", sagte der Kanadier Félix Auger-Aliassime, der für Team World vor Ort war. „Er hat neue Sachen erfunden, das frühe Attackieren", schmunzelte Stefanos Tsitsipas. „Er ist so freundlich zu allen", staunte Andy Murray. „Er hat diese Aura um sich", konstatierte Cameron Norrie. „Was er geleistet hat, das ist einfach Wahnsinn", bewunderte ihn John McEnroe. „An das Tennisspielen: Ich liebe Dich, ich werde Dich nie im Stich lassen", las Federer im Zuge seiner Trennungszeremonien aus seinem Abschiedsbrief vor. „Die Tour wird ohne Dich nicht mehr dieselbe sein", textete der deutsche Top-Ten-Spieler Alexander Zverev auf Instagram. Der 25-Jährige begleitete wegen seiner Verletzung das Idol seiner Jugend live mit 20.000 weiteren Zuschauern beim Abschied von der Tribüne aus.
„Ich bin definitiv fertig", sagte der Maestro in der US-TV-Show „Today". Soll heißen: Ein Comeback ist ausgeschlossen. Schon vor seinem letzten Match, das er gemeinsam mit seinem Langzeit-Rivalen und Sportfreund Rafael Nadal als Doppelpartner ausfocht, legte der 20-fache Grand-Slam-Sieger Wert auf die Endgültigkeit seines Abschieds ohne Reue: „Es war eine perfekte Reise. Ich würde alles wieder so machen." Egal war am Abschiedsabend, dass das Match im Tiebreak an das Team Welt ging. Egal war, dass Rogers letzter Wettkampf als Profi keinen ultimativen Sieg brachte. Der 41-jährige Federer wirkte einfach froh, dass er durchhielt. Dass er sich wacker schlug, trotz anhaltender Knieprobleme und fehlender Matchpraxis seit seiner Viertelfinal-Niederlage gegen Hubert Hurkacz in Wimbledon 2021. „In einem Team auf Wiedersehen zu sagen, fühlt sich immer etwas leichter an. Wir sind so viele Jahre um die Welt getingelt. Es war mir eine Ehre, mit euch die Courts zu teilen. Es fühlt sich wie eine Feier an. Ich habe es einfach geliebt, Tennis zu spielen", sagte Federer, der direkt nach dem Match den Videobeweis letzterer Behauptung mit einem Film über seine Karrierehöhepunkte geliefert hatte.
Den Abschied feiern, als der erste der großen Vier, die alle in London beim Laver Cup mit auf der Bank von Team Europe saßen und zusammen mit Vertretern der jungen Granden, wie Tsitsipas und Berrettini, das bittersüße Ende weidlich zelebrierten. Viele rangen mühsam um Fassung, während Roger von Glück, Freude, Freunden und Familie sprach, die ihn auch auf seiner letzten Reise am Rande des Tenniszirkus begleiteten.
Andy Murray, Novak Djokovic und Rafael Nadal bekamen einen Vorgeschmack darauf, wie man als ganz Großer Abschied nimmt, sich löst aus den Umarmungen des Publikums für spielende Legenden. Nadal und Federer hielten an diesem Abend sogar kurz Trost suchend Händchen, der 36-jährige Rafa glänzte zwischenzeitlich nasser im Gesicht als sonst bei einem schweißreichen Tennismatch. Vermutlich auch aus vorgezogener Trauer um seinen eigenen Abschied vom Sand und den anderen Wettkampf-Untergründen. „Wenn Roger die Tour verlässt, geht auch ein wichtiger Teil meines Lebens", sinnierte Nadal über all die Turniere und Begegnungen, die er mit seinem jahrzehntelangen Hauptrivalen als Erinnerungsschatz teilt und die er bei seinem Anblick immer wieder neu präsent hatte.
Die Frage, wer der Größte aller Zeiten, der „GOAT" ist, interessiert angeblich keinen der Big Four. Nicht Rafa, nicht Djokovic, nicht Murray und auch nicht Roger, der zwar nicht die meisten Grand-Slam-Titel, aber mengenweise andere Rekorde auf sich vereint: insgesamt 20 Titel in Wimbledon, Paris, New York und Australien bei den ganz großen Slams, 103 Turniersiege auf der ATP-Tour, 310 Wochen als Nummer eins der Welt, Gold und Silber bei den Olympischen Spielen.Was will man mehr in seinem Lebenslauf verewigt haben, mit gerade mal 41 Jahren? Wozu sollte man sich weiter quälen, wenn die Knochen bereits nach einem locker zelebrierten Abschiedsdoppel mit Nadal empfindlich zu spüren sind?
Die jungen, hartnäckig Nachrückenden können sich eine derart lange Karriere sowieso (noch) nicht vorstellen: „Ich werde mit 41 Jahren mit Sicherheit nicht mehr spielen", prustete der 24-jährige Tiafoe spontan heraus, der aktuell die Nummer 24 der Welt ist.
„Was für eine Ikone"
„Wahre Gladiatoren gehen nie in den Ruhestand", postete der gleichaltrige Tsitsipas unter ein Gruppenbild auf Instagram. „Grand Slams gewinnen, noch bevor das iPhone erfunden wurde. Was für eine Ikone", wunderte sich der fünftbeste Tennisspieler der aktuellen ATP-Wertung. Doch auch der junge Grieche, der gern über Mobiltelefon seine Videos und Gedanken verbreitet, weiß: Tennis spielt man auf dem Platz. Wer dort mit wundersamen Schlägen und vorgeblicher Leichtigkeit verzaubert, wie Roger, zieht automatisch Abertausende Follower auf seine Social-Media-Kanäle.
Vom Ballkind aus Basel über den lässigen, jungen Titel-Abräumer bis hin zum Grand-Seigneur, der nach langer Pause und Knie-OP ohne viel Federlesens 2017 noch einmal Wimbledon gewann: Rogers letzter, ganz großer Coup war der Grand-Slam-Titel Nummer 20 im Londoner Vorort, fünf Jahre vor seinem Abschied beim Laver Cup in London.
Doch nun ist Schluss mit potenziellen Königsküren bei Profi-Turnieren. Der Ruhm bleibt. Vielleicht gibt es bald einen Federer Cup, wer weiß? Wertschätzende Symbolik ist immer dann am schönsten, wenn die Geehrten sich bei guter Gesundheit an ihr erfreuen dürfen. Die kleineren und größeren Zwick- und Zwackeleien, die den 41-Jährigen davon abhalten, mit Jungstars wie dem 19-jährigen Carlos Alcaraz, der frischen Nummer eins der Welt, auf ein Neues ernsthaft mitzuhalten, zählen hier nicht. Nur als Rücktrittsgrund vom Profisport. Dem Tennis dürfte der im Gesamtpaket möglicherweise einzig perfekte Spieler aller Zeiten treu bleiben. Showevents auch an Orten, die vom Profi-Tenniszirkus üblicherweise nicht bereist werden, sind zu erwarten. Den Ex-Profi par excellence Roger Federer verabschieden wir hin zu Business-Courts, auf denen mit Power-Point-Präsentationen gefochten wird, zu Schau-Spielen mit Matches auf wenig bekannten Tennisplätzen sowie zum Privatleben in seine Heimat, und sagen hochachtungsvoll: „Isch schön gsi!".