Der Bauboom ist ungebrochen, doch die Materialknappheit verschärft sich. Ausgerechnet an Sand mangelt es. Dabei sind die Wüsten voll davon. Leider eignet der sich aber nicht zum Bauen – noch nicht.
Landraub ist in vielen Entwicklungsländern schon seit Jahren traurige Realität. Wo das feine Korn mehr wert ist als andere Güter, da liegt einiges im Argen, wissen Umweltschützer. Neben afrikanischen Staaten zählen Indien und Indonesien zu den großen Sandlieferanten. Mit dramatischen Folgen: Neben einem Anstieg der Kriminalität rund um das kleine Korn sind auch die Schäden für die Umwelt unübersehbar. Manche Küstenbereiche Indiens und ganze Inseln Indonesiens sind inzwischen komplett von der Karte verschwunden, weil dort zu große Mengen Sand abgebaut wurden. Das Meer übernimmt das Land, dieses wird immer instabiler und die Staatsflächen schrumpfen. Dazu kommt der verheerende ökologische Fußabdruck.
Bausand muss oft weite Transportwege zurücklegen. Der größte Abnehmer mit 60 Prozent der Abnahmemenge ist China. Danach kommt Dubai. Aber hat das Emirat nicht selbst genug Sand? Schließlich ist es ein Wüstenstaat. Die Antwort darauf lautet: nein. Zwar gibt es dort Sand im Überfluss, dieser eignet sich aber strukturell nicht zum Bauen. Harald Elser, Forscher an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, erklärt im Interview mit Deutschlandfunk, woran es dem Wüstensand fehlt: „Das Problem ist, dass der Sand zu fein ist. Der Sand ist ein Gemenge aus Feinstsand, Feinsand, mittelkörnigem Sand und Grobsand, und in dem Wüstensand fehlen komplett der Grobsand und der Mittelsand. Das heißt, der Sand in der Sahara ist größtenteils ein Feinstsand und nicht geeignet, um das nötige Stützkorn zu liefern für den Betonsand. Deswegen ist der Wüstensand nicht geeignet, nicht weil er zu rund ist, sondern weil er zu fein ist."
„Wüstensand ist zu fein zum Bauen"
Aus diesem Grund sind weltweit Forscher aktiv, um Wege zu finden, den feinen Sand trotzdem nutzbar zu machen für eine Branche, die deutlich mehr fordert, als vorhanden ist. Studenten am Imperial College in London zum Beispiel forschen an neuartigen Baustoffen. Carolyn Tam, Saki Maruyamim, Hamza Oza und Matteo Maccario haben zu diesem Zweck das Start-up Finite gegründet. Sie stellen ein spezielles Kompositmaterial her. Dieses besteht aus Wüstensand, dem organische Bindemittel beigemischt sind. Die machen den Sand so hart wie Ziegel oder Beton, sodass er sich bestens zum Bauen eignet und einen effizienten Ersatz zum klassischen Baubeton bildet. Das Problem sind die Behörden.
Das Kompositmaterial muss zunächst einige Prüfungs- und Regelungsverfahren durchlaufen, ehe es zum Einsatz kommen darf. Noch ist nicht abzusehen, wie lange das dauert. Derweil ist man auch in Deutschland emsig mit der Entwicklung neuer Baustoffe beschäftigt. Das Unternehmen Polycare zum Beispiel stellt spezielle Polymerbetonteile her, um daraus Häuser zu bauen. Das Prinzip ähnelt dem eines Lego-Baukastens. Zunächst wird in einem Verfahren der Wüstensand mit Polyesterharzen versetzt. Das Material wird anschließend zu fertigen Bauteilen gepresst. Damit ist der Baustoff fertig. Das Brennen, wie dies beispielsweise bei der Herstellung von Bauziegeln der Fall ist, entfällt. Dadurch haben die Polymerbetonteile einen deutlichen Zeit- und Kostenvorteil. Gemäß dem Leitsatz von Polycare „Gemeinsam bauen wir eine bessere Zukunft" sollen die Fertigbauteile selbst Laien ermöglichen, ihr Häuschen zu bauen.
Ähnlich wie bei diesen Polymerblocks funktioniert Bauen auch mit einem weiteren neuartigen Baustoff: Carbonbeton, eine Mischung aus Beton und Kohlenstofffasern. An dessen Entwicklung arbeiteten Studenten unter Leitung von Manfred Curbach, dem Direktor des Instituts für Massivbau an der TU Dresden. Auch hier mangelt es bislang noch an Genehmigungen, trotzdem ist man einen großen Schritt weiter: Das erste Haus ist so gut wie fertig! Es steht im Herzen Dresdens, Ecke Zellescher Weg und Einsteinstraße, gleich gegenüber der TU. Beim Bau des Modellprojekts sind unterschiedliche ortsansässige Gewerke beteiligt, wie zum Beispiel die Hentschke Bau GmbH. Neben geraden Bauelementen, den sogenannten Cubes, gibt es auch geschwungene Bauteile, die eine sogenannte Twist-Schalung ummantelt. Die Verschalungen dienen als Füllfläche für den Carbonbeton. So soll es künftig möglich sein, sich architektonisch komplett auszutoben und runde Elemente mit in den Hausbau einfließen zu lassen. Dabei sind die Wände der einzigartigen Konstruktion nicht nur hitze- und korrosionsbeständig, sie sind auch deutlich dünner, leichter und trotzdem tragfähiger als bei herkömmlichem Stahlbeton. Außerdem entstehen hier bei höheren Gebäuden keine unschönen Risse. Die gesamten Elemente schlängeln sich um einen Stahlkörper. Auf Holz wurde komplett verzichtet. Während die Cubes vorab gefertigt und geliefert werden können, brauchen die Twist-Schalungen etwas mehr Aufmerksamkeit. Der erste Spatenstich erfolgte am 3. Februar dieses Jahres. Noch im Herbst soll das Gebäude fertiggestellt sein. Aktuell widmen sich die Designer der Inneneinrichtung und gestalten den Gartenbereich. Wohnen wird in dem Haus künftig niemand. Es dient Forschungszwecken und ist mit einem großen Konferenzraum für Tagungen und Schulungen ausgestattet.
Neben Carbonbeton und Polymerblocks gibt es weitere Lösungsansätze zur Verwendung von Wüstensand. Eine davon kommt aus München. Die Firma Multicon hat gleich drei unterschiedliche Betone entwickelt, die umweltgerechtere Alternativen zum Standardbeton bieten. Was drin steckt, erläutert der Geschäftsführer Dr. Leopold Halser in einem Interview mit „stylepark.com": Zunächst werden Zement und Wasser langsam miteinander verrührt. Dann kommen Kieskomponenten und mittels Spezialverfahren veränderter Wüstensand hinzu. Zum Schluss folgt Kalksteinmehl. Es ersetzt Teile vom Zement, spart das Brennen und erleichtert das Fließen des Betons. „Ich bekomme einen besseren Beton, spare Geld und schone die Umwelt", fasst Halser die Vorteile dieser neuartigen Formel zusammen. Das Ergebnis ist langlebig, fest, frostbeständig und leichter als üblicher Beton. Damit das funktioniert, wird der Wüstensand zunächst fein gemahlen und anschließend zu Pellets gepresst. Anders würde ihm die nötige Festigkeit fehlen.
Forschung schneller als Baugenehmigung
Dabei ist Sand auch in der Natur nicht überall gleich strukturiert. Es brauche umfangreiche Tests, um geeignete Wüstenbereiche mit Bausand von ungeeigneten zu unterscheiden und dadurch lange Lieferketten und Engpässe zu umgehen, erklärt Harald Elser: „Die Sahara besteht ja größtenteils nicht aus Sand, sondern es ist eine Stein- und Felswüste, und dort wird immer wieder bei der Verwitterung neues Sandmaterial geschaffen und dann verweht. Zum Beispiel haben sich die Sande in Libyen als sehr gut herausgestellt, fast nur aus Quarz bestehend, und da ist auch Grobsandmaterial drin." Grundsätzlich gilt Sand, insbesondere Quarz, als häufigstes Mineral in der Erdkruste. Es ist sehr vielseitig und härter als Stahl. Neben Wasser zählt Quarz zu den wichtigsten Rohstoffen überhaupt. Ohne Sand gäbe es nicht nur keine Gebäude, es existierten auch keine Solaranlagen, Computerchips und noch vieles mehr nicht.
Pascal Peduzzi vom United Nations Environment Programme erklärt in einem Interview die riesige Bedeutung für den Bausektor mit einer Rechnung: „Mit dem Jahresverbrauch des Bausektors allein ließe sich rund um den Äquator eine 27 Meter hohe und 27 Meter breite Mauer aufschütten." Und das, wo doch gerade einmal fünf Prozent des gesamten Sandvorkommens für diesen Bereich nutzbar sind. Kein Wunder, dass hier noch großer Handlungsbedarf besteht. Dabei gehen die Forschungen zu neuen Baustoffen und Verfahren deutlich schneller voran als die Genehmigungen zur Verwendung dieser neuen Baustoffe. Derweil rieselt der Sand durch die Uhr.