Felix Neureuther war einst auf der Skipiste in den Bergen einer der Besten. Er sorgt sich um den alpinen Skisport, der seinen Beitrag im Klimawandel leisten müsse. Neureuther selbst tut dies auch.
Felix Neureuther stand bereits im Alter von zwei Jahren auf Skiern – unter der liebevollen Aufsicht seiner Eltern, die zugleich zwei der größten deutschen Ski-Legenden sind: Rosi Mittermaier und Christian Neureuther. Es war also kein Wunder, dass der kleine Felix viel Talent für den Skisport zeigte und sich zu einem Topfahrer entwickelte. Trotz vieler Rückschläge und Dramen feierte er 2005 WM-Gold im Team, drei WM-Einzelmedaillen und insgesamt 13 Weltcupsiege. Felix Neureuther war überdies jahrelang das Gesicht im deutschen Alpinsport. Die Fans mochten ihn nicht nur wegen seiner sportlichen Erfolge, sondern auch wegen seiner Persönlichkeit. Offen, ehrlich, sympathisch, humorvoll, eloquent. Die Menschen haben Felix Neureuther immer gern zugehört – und genau das versucht er nun für eine Sache zu nutzen, die viel größer ist als jede Medaille oder jede verpasste Slalomstange: den Umwelt- und Klimaschutz.
Nachhaltigkeit braucht höhere Bedeutung
Neureuther war sein Leben lang in den Bergen unterwegs, er erkennt die Auswirkungen des Klimawandels mit Schrecken. „Nirgendwo wird einem die Dramatik der Erderwärmung klarer als am Rückgang der Gletscher", meinte er: „Ich habe zusehen können, wie mein bester Freund davonschmilzt." Die Alpen seien sein „zweites Zuhause", und ihm sei bewusst geworden, „wie wertvoll diese Landschaft ist". Doch genauso schmerzhaft müsse er feststellen, „dass wir sie aus dem Gleichgewicht gebracht haben". Zu diesem bitteren Fazit kam der einstige Skirennfahrer spätestens nach seiner Recherchereise durch die Alpen für eine TV-Doku und ein Bilderband in Zusammenarbeit mit „National Geographic". Als aktiver Sportler, das gibt der 38-Jährige zu, seien ihm die Folgen des Raubbaus an der Natur deutlich weniger bewusst gewesen, obwohl sie zu jener Zeit auch schon zu sehen gewesen seien. „Da hattest du nur den Blick für den Sport. Ich war jung, wollte Rennen gewinnen", sagte er im „FAZ"-Interview: „Du hast noch nicht den Weitblick, nimmst die Dinge anders wahr, blendest alles aus, was neben der Rennpiste passiert." Jetzt könne und wolle er nicht mehr wegschauen, sondern den Finger in die Wunde legen. „Die große Aufgabe des Skisports für die Zukunft ist, sich so aufzustellen, dass das Thema Nachhaltigkeit den gleichen Wert bekommt wie eine sichere Streckenführung", meinte er.
Auch der Skisport müsse seinen Teil zum Klimaschutz beitragen – das fordert Neureuther in zahlreichen Interviews immer wieder. Bei den Ski-Weltcups müssten zum Beispiel die Anforderungen an die aktuelle Gegebenheit angepasst und die Sinnhaftigkeit mancher Austragungen hinterfragt werden. „Muss man für einen einzigen Slalom an den Polarkreis fliegen?", fragte Neureuther rhetorisch: „Wenn wir nicht eine kritische Bestandsaufnahme schaffen und Bereitschaft für Änderungen erzeugen, dann sehe ich echte Probleme für diesen einzigartigen Sport."
Der Rennsport und Tourismus in den Bergen ist ohne Zweifel ein Energiefresser, auch wegen der individuellen Anreise. Mit Blick auf die nahende Klimakatastrophe ist das manchen Betreibern und Veranstaltern vielleicht noch nicht so bewusst, angesichts der aktuellen Energiekrise mit drastisch steigenden Preisen für jede Kilowattstunde aber schon. Daher stellte der Verband Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte (VDS) mögliche Maßnahmen vor, mit denen im kommenden Winter auch beim Skifahren Energie eingespart werden könne. Das reicht von Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit der Seilbahnen über die Einschränkung der Beleuchtung bis hin zu kaltem Wasser zum Händewaschen in Toiletten. Doch das geht Umweltschützern längst nicht weit genug, sie fordern zum Beispiel den Verzicht von Kunstschnee. Hintergrund: Eine künstliche Beschneiung braucht viel Wasser und Energie, geschätzt rund 20.000 Kilowattstunden Strom pro Hektar.
„Es müsste der Anspruch aller sein, den Strom klimaneutral zu produzieren", forderte Neureuther. Wohlwissend, dass dieser Umstieg viel Geld kostet, gerade in der aktuellen Energie-Krise. Doch eine Alternative gebe es nicht, der Klimawandel müsse auch aus höchstem Eigeninteresse gestoppt werden, so Neureuther: „Es geht ja um die Lebensgrundlage von Millionen Menschen und Familien in den Alpen." Deshalb müsse sich jedes Skigebiet, jede Touristendestination in den Bergen und jedes damit verbundene Wirtschaftsunternehmen „hinterfragen, wie man den großen Energieverbrauch klimaneutral erreichen" könne. Neureuther hofft dabei auch auf „staatliche Anreize", denn ohne das Zusammenspiel mit der Politik könne diese Mammut-aufgabe nicht bewältigt werden. Nur mit „einschneidenden, länderübergreifenden Maßnahmen" könne eine Trendwende eingeleitet werden, glaubt Neureuther: „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Kreativität der Menschheit dies auch schaffen kann."
Aus zahlreichen Gesprächen mit Experten im Natur-, Tier- und Umweltschutz wisse er, dass es durchaus Lösungsansätze für eine nachhaltigere Zukunft gebe. Ein Beispiel: Im Wallis fällt mittlerweile so wenig Niederschlag, dass Tannen und Kiefern aussterben. Mit der Douglasie wurde in dieser Region nun ein Ersatzbaum gefunden, der den natürlichen Lawinenschutz gewährleistet. Man müsse die kreativen Ideen gemeinsam umsetzen, forderte Neureuther, der auch seinen Beitrag leisten möchte. Mit seinem berühmten Namen bringt er das wichtige Thema in die Öffentlichkeit.
Neureuther hält allerdings nicht viel davon, nur den Sport und insbesondere den Skisport als Klimasünder zu benennen. „Auf die Skifahrer wird gerne geschimpft, und natürlich stehen wir in einer besonderen Verantwortung", sagte er. Allerdings sei der CO2-Abdruck bei einer Urlaubsreise mit dem Flieger nach Mallorca deutlich größer als beim Skifahren in den Alpen. Neureuther will das Skifahren in den Bergen auch überhaupt nicht verbieten – ganz im Gegenteil! Er will die Erlebnisse, die ihn so nachhaltig geprägt haben, auch für die nachfolgenden Generationen ermöglichen. „Der Schnee ist ein wunderbarer Spielplatz für Groß und Klein", sagte der Bayer. Nur leider wird der Naturschnee immer weniger, die Naturkatastrophen nehmen dagegen zu. „Man hat das Gefühl, die Natur holt sich das zurück, was wir Menschen ihr genommen haben", glaubt Neureuther: „Und das auf dramatische Art und Weise."
Er selbst könne zwar kein Kohlekraftwerk selbst abstellen, aber in seinem Privatleben möglichst konsequent auf Umwelt- und Klimaschutz achten. Der Familienvater hat zum Beispiel sein Haus komplett auf eine klimaneutrale Versorgung umgestellt, Strom und Warmwasser erzeugt er selbst. Und: „Wir bringen unseren Kindern von klein auf bei, dass man zum Beispiel Müll nicht in die Natur wirft, sondern in einen Mülleimer", sagte er: „Das sind zwar Kleinigkeiten, doch wenn jeder die macht, kann man etwas Großes bewirken."
Sein Engagement für den Umwelt- und Klimaschutz sei wichtiger als alle Erfolge, die er einst als Leistungssportler eingefahren hat, glaubt Neureuther. „Wenn man Kinder hat, geht es nicht mehr um die eigenen Skispuren", sagt er, „sondern darum, ob man mit ruhigem Gewissen auf Spuren zurückblicken kann, die den nächsten Generationen eine lebenswerte Welt hinterlassen."