Die Landtagswahl in Niedersachsen ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Die letzte Große Koalition wurde abgewählt, den Grünen winkt eine weitere Regierungsbeteiligung, die FDP ist wieder im Überlebenskampf.
Die Wahl in Niedersachsen hat klare Gewinner und klare Verlierer. Andere Botschaften erschließen sich erst auf den zweiten Blick.
Nach der letzten Landtagswahl in diesem Jahr steht es (für die, die Vergleiche aus dem Sport lieben) 2:2. Im Jahr nach der Bundestagswahl haben SPD und CDU je zwei Landtagswahlen gewonnen. Für den Oppositionsführer Friedrich Merz sieht das auf den ersten Blick nach anständigem Gleichstand aus, tatsächlich hat aber die SPD in diesem Jahr der CDU ein Bundesland gleich zu Beginn abgerungen (Saarland) und zum Schluss in Niedersachsen trotz Verlusten ein beachtlich gutes Ergebnis hingelegt, wenn man das bundespolitische Umfeld in Rechnung stellt. Merz mag als Oppositionsführer im Bundestag Aufmerksamkeit erregen, aber von einer Erholung der CDU nach verlorener Bundestagswahl ist kaum etwas in Sicht.
Die Grünen mögen sich in Niedersachsen mehr erhofft haben, immerhin dürfte es aber zu einer weiteren Regierungsbeteiligung kommen, und da zeigt der zweite Blick Aufschlussreiches. In einem Regierungsbeteiligungsranking sind die Grünen Spitze vor allen anderen. Sie sind dann an 12 Landesregierungen beteiligt (die SPD an elf, die Union an sieben). Ohne die Grünen geht es an vielen Stellen nicht mehr, auch wenn sie nur in einem Land den Regierungschef stellen. Spannend ist das insofern, als es in vielen Fragen auf die Zustimmung der Länderkammer (Bundesrat) ankommt.
In kniffligen Fragen wie zum Beispiel der anstehenden Abstimmung über das dritte Rettungspaket der Bundesregierung können die kleinen Regierungspartner die Großen blockieren. Also es wird nach dem Wahlsieg von Rot-Grün in Niedersachsen bei den Abstimmungen der Länder über Bundesgesetze der Ampelregierung nicht einfacher, sondern bleibt weiterhin kompliziert. Da wird in den kommenden Monaten viel Arbeit auf den Vermittlungsausschuss des Bundesrates zukommen.
Ohne die Grünen geht es oft nicht mehr
Doch der Rot-Grüne-Wahlsieg zwischen Ems und Weser in der norddeutschen Tiefebene macht auch die Arbeit der Bundesregierung nicht unbedingt einfacher. In der Berliner Ampel dürfte es in den kommenden Monaten noch rumpliger werden, als es ohnehin schon in ihrem ersten Dreiviertel-Regierungsjahr war. Die FDP ist am zweiten Oktobersonntag in Niedersachsen aus dem Landtag geflogen. Das ist ihnen in den vergangenen Jahrzehnten schon öfters passiert, doch diesmal liegt der Ball nicht im Feld der Landes-, sondern der Bundespartei. FDP-Chef Christian Lindner war (selbst für seine Verhältnisse) in diesem Landtagswahlkampf omnipräsent. Wo es nur ging, trat der amtierende Bundesfinanzminister auf – eventuell das eigentliche Problem für die Liberalen, spätestens nach dem 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm gegen explodierende Gaspreise. Die bürgerlichen Wähler sehen dies ganz offensichtlich als Tabubruch des Verfechters der Schuldenbremse. Da half es nichts, dass Lindner immer wieder die finanzpolitische Notwendigkeit betonte. Ob Sondervermögen oder Abwehrschirm, Schulden sind nun mal Schulden, egal wie man sie nennt. Für die anstehenden Bund-Länder-Verhandlungen zur Finanzierung des dritten Rettungspakets keine guten Voraussetzungen. Bereits am Wahlabend kündigte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai reichlich liberalen Wind an. „Es kann nicht sein, dass sich unsere beiden Koalitionspartner auf unsere Kosten ständig profilieren" polterte der 46-Jährige in allen sich bietenden Fernsehauftritten. Sein Parteichef klingt dagegen überraschend handzahm: „Es war für uns ein Wahlkampf, in dem wir aus Berlin, aus der Ampel keinen politischen Rückenwind organisieren konnten." Doch diese öffentliche Zurückhaltung ist dem Umstand geschuldet, dass Christian Lindner als Regierungsmitglied unter dem frischen Eindruck der Landtagswahlpleite nicht zu viel politisches Porzellan innerhalb der Bundesministerriege zerschlagen wollte. Sein Generalsekretär kündigte stattdessen unbeeindruckt eine Profilierung innerhalb der Ampel an. Schuldenbremse, jetzt erst Recht!
Keine guten Voraussetzungen für die Länder bei den anstehenden Verhandlungen zur Finanzierung des dritten Entlastungspakets. Für die geht es immerhin um 20 Milliarden Eigenantei an dem 65-Milliarden-Euro-Gesamtpaket. Eine Entscheidung sollte bereits bei der Jahres-Ministerpräsidentenkonferenz am 20. Oktober auf Schloss Herrenhausen in Hannover auf den Weg gebracht werden, doch dem hat der Bundesfinanzminister bereits vor der Landtagswahl in Niedersachsen eine Absage erteilt. Christian Lindner will erstmal die Steuerschätzung Ende Oktober abwarten. Ohne geordnete, absehbare Zahlen kann auf Bundesebene nicht entschieden werden. Nach der Niedersachsenklatsche für die FDP und der angekündigten Profilierung der Liberalen innerhalb der Ampel wird es für die Länder mehr als schwierig, da noch irgendetwas für sich rauszuholen.
FDP auf der Suche nach Profil und Legitimation
Die FDP kämpft wieder einmal ums politische Überleben im Bund und um Legitimation in den Ländern. Nach der Landtagswahl ist vor der Landtagswahl. Im kommenden Jahr stehen Berlin (Februar), Bremen (Mai), Bayern und Hessen im Herbst an. Während die FDP versucht, sich innerhalb der Ampel in den kommenden Monaten zu profilieren, hat es die CDU als Oppositionspartei im Bundestag da schon schwerer. Die Christdemokraten in Niedersachsen sind mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1955 abgestraft, obwohl sie im Bundestrend bei den Umfragen derzeit führend sind. Ganz offensichtlich konnte Parteichef Friedrich Merz als Oppositionsführer im Bundestag nicht so richtig in der niedersächsischen Fläche überzeugen. CDU-Generalsekretär Mario Czaja verweist bei der letzten Landtagswahl natürlich darauf, dass eine Landtagswahl eine Landtagswahl ist und nichts mit der bundespolitischen Führung der CDU zu tun hat. Doch bei der erfolgreichen Verteidigung der Staatskanzleien in Kiel und Düsseldorf war es laut Czaja und seinem Parteichef Merz auch der bundespolitische Rückenwind, der die Siege ermöglicht hat. Die CDU übt sich weiterhin im Klein-Klein der politischen Deutungshoheit.
Davon ist der dritte Wahlverlierer beim Urnengang in Niedersachsen auf bundespolitischer Ebene meilenweit entfernt. Die Linke bekommt derzeit keinen Fuß mehr auf den Boden der Wahlberechtigten, und das ausgerechnet in Zeiten, wo es um drohende Energie-Armut und soziale Gerechtigkeit geht. Es ist die vierte Landtagswahl in Folge in diesem Jahr, in der die Sozialisten brutal abgestraft werden. Für die Bundesvorsitzende Janine Wissler wird es langsam eng. Zusammen mit ihrem Co-Vorsitzenden Martin Schirdewan sollte sie mit der Wahl des Führungs-Duos im Juni auf dem Bundesparteitag in Erfurt den Aufbruch verkörpern, doch der ist spätestens mit dem Wahlsonntag im Oktober in Niedersachsen krachend gescheitert. Krachend deswegen, weil es nicht nur wenige Prozentpunkte hinter dem Komma waren, die einen Einzug in die Landtage verhindert hat. In Niedersachsen holte die Linke 2,7 Prozent, in NRW 2,1 Prozent, in Schleswig-Holstein 1,7 Prozent und im Saarland 2,6 Prozent. Dass die Linke überhaupt noch am Wahlabend gesondert in den Fernsehsendungen erwähnt und nicht unter „andere" gelistet wird, ist allein dem Umstand geschuldet, dass sie auch eine Bundestagspartei ist. Was sie allerdings nur den drei Direktmandaten aus Berlin und Leipzig zu verdanken hat. Ansonsten führt der Weg derzeit unter einer Drei-Prozent-Marke entlang.