Die Inzidenzzahlen erreichen täglich wieder neue Höchststände. Der nächste Pandemie-Herbst nimmt seinen Lauf. Gesundheitsminister Lauterbach sieht das Land gut gerüstet und wirbt intensiv dafür, die Impfbereitschaft zu erhöhen.
Die Vielzahl der Absagen von Veranstaltungen aus Krankheitsgründen seit Anfang Oktober ist auffällig. Die Inzidenzzahlen steigen bereits seit Ende September unaufhörlich, das Saarland hat als erstes Bundesland wieder einen vierstelligen Bereich und Rekordwerte erreicht (rund 1.250 am 10. Oktober). Landesgesundheitsminister Magnus Jung war schon zuvor davon ausgegangen, dass die wirklichen Infektionszahlen noch deutlich höher liegen. So sei etwa unbekannt, wie viele Menschen zwar privat einen Test machen und sich bei positivem Ergebnis auch in Quarantäne begeben würden, ohne aber einen PCR-Test machen zu lassen. Und nur PCR-Tests fließen in die veröffentlichte Statistik ein.
Den steigenden Inzidenzzahlen folgte die Entwicklung der Hospitalisierungsrate (Zahl der Corona-Patienten in Krankenhäusern pro 100.000 Einwohner sowie die der Patienten auf Intensivstationen), die mit über 25 fast dreimal so hoch wie der Bundesdurchschnitt lag (10. Oktober).
Anfang des Monats war die neue Corona-Verordnung des Landes in Kraft getreten, in der im Wesentlichen lediglich die im Bundesinfektionsschutzgesetz vorgesehenen Basis-Schutzmaßnahmen festgehalten sind, also Maskenpflicht in Bus und Bahnen sowie die entsprechenden Maßnahmen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Auch in anderen Ländern mit Zahlen deutlich über dem Bundesdurchschnitt wurde noch kein Gebrauch gemacht von den Möglichkeiten, die das erst vor Kurzem verabschiedete neue Infektionsschutzgesetz den Ländern an die Hand gibt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte die Länder in der Verantwortung gesehen. Die müssten nun den richtigen Zeitpunkt ausmachen, ab wann sie von den vorgesehenen Maßnahmen Gebrauch machen wollen. Im Saarland blieb es zunächst bei dringlichen Appellen zu freiwilligen Maßnahmen wie Maske tragen. Es zeichnete sich aber ab, dass die Landesregierung angesichts der Entwicklungen zu Maßnahmen aus dem Instrumentenkasten des Infektionsschutzgesetzes greifen würde.
Rekordwerte im Saarland
Trotz der bundesweit steigenden Zahlen hält Bundesgesundheitsminister Lauterbach die Entwicklung für beherrschbar. „Wir sind am Start einer Herbst- oder Winterwelle", so der Minister, allerdings sei das Land für diesen dritten Pandemiewinter besser aufgestellt als in den Jahren zuvor. „Corona steht momentan in der öffentlichen Debatte nicht so stark im Vordergrund, andere Krisen sind wichtiger. Es liegt an uns, dass das so bleibt", schreibt Lauterbach auf den Internetseiten seines Ministeriums.
Eine signifikant gestiegene Impfbereitschaft kann Lauterbach aber nicht gemeint haben. Zwar gibt es eine erkennbar gewachsene Nachfrage für eine vierte Impfung (zweite Booster-Impfung), seitdem die neuen, angepassten Impfstoffe zur Verfügung stehen; ansonsten hat sich aber in der jüngsten Zeit nicht allzu viel getan in Sachen Impfung, räumt der Minister ein. Momentan werden pro Tag rund 60.000 Menschen geimpft. „Das ist weit weniger als wir benötigen", lautet die nüchterne Feststellung des Ministers. Sorge macht ihm vor allem die große Impflücke bei den über 60-Jährigen. Die soll nun geschlossen werden und helfen soll dabei auch der an die BA.5-Variante angepasste Impfstoff. Dafür will das Ministerium in einer breit angelegten Kampagne werben.
Impfen soll der zentrale Eckpfeiler der Pandemiebekämpfung bleiben. Wofür es gute Gründe gibt. Bei älteren Menschen kann eine vierte Impfung die Sterblichkeit um 90 Prozent verringern.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte im September empfohlen, dass sich Menschen über 60, medizinisches Personal und Menschen mit Vorerkrankungen mit den angepassten Impfstoffen ein zweites Mal boostern lassen, also ihre dann vierte Impfung bekommen sollten. Gesundheitsminister Lauterbach war deutlich anzumerken, dass er sich eine weitergehende Empfehlung gewünscht hätte. Die Stiko-Empfehlung bedeutet nicht, dass sich Jüngere nicht ein viertes Mal impfen lassen dürften. Nach Beratung mit dem Hausarzt ist das durchaus möglich.
Etwas verwirrend waren zunächst die Meldungen über neue Impfstoffe, die an die besonders ansteckende Omikron-Variante sowie deren inzwischen dominanten Sub-Typ BA.5 angepasst sind. Biontech hat nämlich zwei angepasste Vakazine entwickelt, ebenso Moderna, sodass also vier neue Impfstoffe zur Verfügung stehen. In der Folge fragten sich viele, die bereits auf die angepassten Impfstoffe gewartet hatten, welcher denn für sie infrage komme. Zudem stand nach der intensiven Sommerwelle mit hohen Infektionszahlen die Frage im Raum, wie es mit Immunisierung durch eine Infektion aussieht, ob also eine überstandene Infektion eine Booster-Impfung praktisch ersetzen würde.
Nach aktuellem Forschungsstand fällt die Immunreaktion durch eine Impfung in der Regel stärker aus als die nach einer Infektion. Insbesondere kann die Bildung von Omikron-spezifischen Antikörpern besser vor schweren Verläufen schützen – auch und gerade bei der BA.5-Subvariante. Die Impfung bleibt somit empfehlenswert. Bei den weiterentwickelten Impfstoffen gibt es Hinweise darauf, dass beide angepassten Vakzine gleichermaßen vor schweren Verläufen (egal bei welcher Subvariante) schützen. Der speziell auf die BA.5-Variante abgestimmte Impfstoff scheint dabei auch besser vor einer Infektion zu schützen. Aber auch da bleibt die Tatsache: Einen vollständigen Schutz davor, sich anzustecken, gibt es nicht. Umso wichtiger, sich vor schweren Verläufen zu schützen.
Impfen gegen schwere Verläufe
Das alles sind im Grundsatz keine neuen Erkenntnisse. Die Entwicklung zeigt aber, dass beispielsweise auch die ziemlich heftige Sommerwelle die Impfbereitschaft kaum gesteigert hat. Wenn sich folglich weiterhin ein fast unverändert beträchtlicher Teil der Bevölkerung nicht für eine Impfung entscheiden konnte und wollte, bleiben folglich angesichts der Entwicklung vor allem die bekannten anderen Schutzmaßnahmen. Experten und Ärzte werden deshalb nicht müde, beispielsweise zum freiwilligen Tragen von Schutzmasken zu raten, auch wenn diese vielfach nicht vorgeschrieben sind. Dass die im Übrigen auch vor anderen Infektionen wie etwa Grippe schützen, haben die letzten beiden Jahre eindrucksvoll bestätigt. Solange weitgehende Impfpflicht in den früheren Corona-Wellen herrschte, blieben die sonst üblichen Grippewellen in der kalten Jahreszeit ziemlich im Rahmen.
Die Argumente für Impfungen sind hinlänglich bekannt. Es liegt weder an mangelnden Impfstoffen noch an grundsätzlicher Aufklärung. Es gibt zwar nach wie vor verbreitete irrige Ansichten zum Thema Impfen, aber denen war auch in der Vergangenheit nur schwer mit sachlicher Information und abgesicherten Studien zu begegnen. Trotzdem setzt Lauterbach auch jetzt auf eine intensive Kampagne in der Erwartung, den einen oder anderen, der noch unsicher ist, vom Sinn der Impfung zu überzeugen.
Die derzeit ziemlich heftig in die Höhe schnellenden Zahlen liefern zudem ein weiteres Argument: Auch wenn bislang die zuständigen Länderminister noch keinen Anlass gesehen haben, auf den Instrumentenkasten des neuen Infektionsschutzgesetzes zurückzugreifen, könnte sich das ziemlich schnell ändern. Ob es so weit kommt, liegt eben auch daran, wie sich Impfbereitschaft und freiwillige Vorsichtsmaßnahmen entwickeln.
Gesundheitsminister Lauterbach hat jedenfalls nach einem Spitzengespräch mit Pflegeverbänden sein Ziel formuliert: Angesichts der bekannten Krisen und Herausforderungen will er erreichen, „dass Corona nicht das bestimmende Thema wird".