In Sachsen-Anhalt erprobt ein wissenschaftliches Projekt den Anbau klimaresilienter Kulturpflanzen. Kichererbsen, Quinoa und Hanf sollen als Grundlage für innovative Lebensmittel dienen. Doch wie gelingt der Weg vom Feld auf den Teller?
Die kräftigen Hände fahren sanft durch die hellgelben Hanfsamen. Bio-Landwirt Jonas Schulze Niehoff lässt die Samen auf den mehrere Meter langen Haufen rieseln, der aufgeschüttet in einer dunklen Halle liegt. „Das ist unsere Hanf-Ernte von diesem Jahr", sagt er und geht zum benachbarten Haufen, „und das ist unser Quinoa". Er greift in die Samen der ursprünglich in den Anden beheimateten Pflanze. „Der muss noch gereinigt werden. Nur die hellen Körner sind Quinoa." Wirtschaftlich mache der Anbau von Quinoa momentan wenig Sinn. Er nimmt auch nur einen geringen Teil der gut 400 Hektar großen Anbaufläche des Landwirts ein. „Aber ich möchte die Kultur kennenlernen und verstehen, um dann vielleicht doch irgendwann mehr ernten zu können." Freiwillige Forscherarbeit nennt er das. Deutlich mehr Erfolg hatte der 41-jährige Landwirt mit der Kichererbse. Die Pflanze, die sonst vor allem Landwirte in Indien und der Türkei anbauen, wächst in der Magdeburger Börde erstaunlich gut.
Superfood aus der Magdeburger Börde
Ein Team der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg begleitet den Bio-Landwirt beim Anbau von Kichererbse, Quinoa und Hanf. Die Zusammenarbeit begann vor dreieinhalb Jahren. Damals fragte ihn die Agrar- und Umweltwissenschaftlerin Urte Grauwinkel, ob er bei dem Projekt „Zukunftsspeisen – Superfood aus Sachsen-Anhalt" mitmachen wolle. Das Projekt ist ein europäisches Innovationspartnerschaftsprojekt, das aus EU-Geldern finanziert wird. Die Vision: Gesundes, zukunftsfähiges Essen aus nachhaltiger und regionaler Landwirtschaft zu erzeugen. Das Projekt begleitet drei Landwirtschaftsbetriebe und zwei Gärtnereien, die klimafreundliche Agrarpraktiken erproben und umsetzen. Auf ihren Äckern wachsen innovative Kulturpflanzen, sogenannte Superfoods, die eine hohe Konzentration an gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen aufweisen. Einige der Pflanzen sind über die letzten Jahrzehnte in Vergessenheit geraten, andere waren bislang vor allem in den Trockenregionen dieser Welt beheimatet. In Zeiten des Klimawandels könnten sie nun hierzulande neue Ernährungsoptionen eröffnen.
Trockenstress für Pflanzen
Denn der weltweite Klimawandel verändert die Anbaubedingungen – auch in Deutschland. Lange Hitzeperioden, geringe Niederschläge und Extremwetterereignisse machen den Landwirten zu schaffen. Sachsen-Anhalt gilt in Deutschland als trauriger Spitzenreiter: In keinem anderen Bundesland gab es 2021 weniger Niederschläge. Das Problem ist nicht neu, aber es wächst und erschwert die Arbeit der Landwirte zusehends. „Im Jahr 2008 haben wir zum ersten Mal Hafer Ende März gesät und nicht erst im April, damit er überhaupt Wurzelwerk entwickeln kann, bevor das Wasser weg ist", sagt Jonas Schulze Niehoff, „mittlerweile säen wir ihn sogar Anfang März." Katastrophale Folgen brachten die Dürrejahre 2017 und 2018 mit sich. Sie haben die Wasservorräte der Böden noch weiter geschröpft. „Und im darauffolgenden Jahr war der Mai so heiß, dass viele Pflanzen trotz ausreichender Niederschläge vertrocknet sind", erinnert sich Schulze Niehoff. Die Folgen der fehlenden Wasservorräte im Boden sind weitreichend. Das fehlende Wasser wird immer mehr zum begrenzenden Faktor. „Die Zuckerrübe habe ich aufgrund des Wassermangels aufgegeben. Ihr Anbau lohnt sich einfach nicht mehr." Für Innovationen auf dem Feld ist Deutschland bislang nicht bekannt. Das könnte sich bald ändern. „Die Anbaubedingungen in Mitteleuropa würden sich verändern", sagt der Landwirt, „deswegen müssen wir offen für Neues sein."
Tofu aus Kichererbsen
Die Kichererbse ist für Jonas Schulze Niehoff so eine innovative Pflanze auf deutschen Äckern, die durchaus Zukunft hat. Er war in Deutschland der erste Bio-Landwirt, der sich an der Kichererbse probierte. Nur ein konventioneller Landwirt hatte bereits vor ihm mit dem Anbau begonnen. „Der Kauf des Saatgutes war am Anfang die größte Hürde", erinnert sich Jonas Schulze Niehoff. Nach langer Suche vermittelte ihm eine italienische Erzeugergemeinschaft das benötigte Saatgut. „Im ersten Jahr haben wir nicht mal einen Hektar angebaut. Danach haben wir uns von Jahr zu Jahr gesteigert." 2022 waren es über 50 Hektar. Neben zahlreichen Unverpackt-Läden in der Republik kauft auch das Berliner Unternehmen „Kofu" seine Kichererbsen. Es stellt Kichererbsen-Tofu her und vertreibt es in zahlreiche europäische Länder. Damit setzt der Landwirt schon eines der Ziele um, das sich das Projekt Zukunftsspeisen gesetzt hat: die angebauten Lebensmittel auf die Teller zu bringen.
Vom Feld auf den Teller
Gemeinsam mit zwei Kolleginnen sitzt Urte Grauwinkel an einem bunt gedeckten Tisch und schneidet sich ein Stück vom Kichererbsen-Omelett ab. „Wir wollen den Fokus nicht auf Landwirtschaft oder Ernährung legen, sondern auf das Interdisziplinäre – vom Feld bis auf den Teller", sagt die Projektleiterin. Ihr Ziel: Regionale Lebensmittel entwickeln, die auf dem Markt bestehen können. Dafür stellt das Projekt sogenannte Pilotlebensmittel her: Speisen der Zukunft. „Wir müssten eigentlich sofort in Großküchen auf pflanzliche Lebensmittel umstellen", sagt Urte Grauwinkel, „das müsste Pflicht sein". Doch die Wissenschaftlerin weiß, dass der Wandel nicht von heute auf morgen gelingen kann. Das Wort „vegan" vermeidet sie, zu groß seien die Vorurteile. Pflanzenbasiert klinge besser und schrecke die Menschen nicht ab. „Aber wir müssen ins Handeln kommen. Ich habe keine Torschlusspanik, aber ich habe schon so viel gemacht und merke, uns läuft die Zeit davon."
Mit am Tisch sitzen die Ernährungswissenschaftlerin Lene Frohnert und Ricarda Gold, die ihren Bachelor im Studiengang „Management natürlicher Ressourcen" absolviert hat. Gemeinsam bringen sie das Projekt voran, begleiten die Studenten und Studentinnen auf die Äcker, in die Labore oder Küchen.
Heute steht Lene Frohnert am Herd und backt Kichererbsen-Omeletts. Für die gelbliche Farbe sorgt Kurkuma, für die Konsistenz Backpulver und für die richtige Würze Oregano und Paprikapulver. „Der Trick ist jedoch das Schwefelsalz. Das Salz gibt den Eiergeschmack", sagt die Ernährungswissenschaftlerin und wendet gekonnt das Omelett, „und das Geniale an der Kichererbse ist, dass sie proteinreich ist." Und damit bestens geeignet für eine pflanzliche Ernährung. Neben den Kichererbsen-Omeletts stehen heute auch sogenannte „Kicherkekse" und drei verschiedene Hummussorten auf dem Tisch. Darunter ein Glas mit Schokohummus, das sich schnell leert.
Pilotprodukte bewerben
Urte Grauwinkel blickt auf ihre selbst gebackenen Kichererbsen-Macarons und beißt hinein: „Der Geschmack ist super, aber sie zerfallen leider zu schnell. Da muss ich noch mal ran." Was sie momentan in kleinen Küchen ausprobieren, soll schon bald in Großküchen gekocht werden. Für ihre Lebensmittel werben sie auf Märkten und in Ministerien, sprechen mit Köchen und Produktherstellern. Die drei Wissenschaftlerinnen suchen nach neuen Handelswegen und Vermarktungsstrategien. „Kichererbsen in die Küchen zu bringen, ist nicht schwer. Das Problem sind die hiesigen Kichererbsen", sagt Urte Grauwinkel. Oft sei es günstiger, sie aus der Türkei oder aus Italien zu importieren. „Wir wollen sie aber lokal anbauen und verarbeiten."
Pflanzenbasierte Zukunftsspeisen
Die Erfolge der Kichererbsen von Landwirt Jonas Schulze Niehoff aus der Magdeburger Börde beflügeln das Team. Doch noch ist das Ziel weit entfernt. Viele Küchen zeigten sich zwar interessiert und das Feedback bei Verkostungen sei oft positiv, doch der große Coup blieb bislang aus. „Für die Großküchen geht es um Zeit und Geld. Die Produkte, die wir anbieten, müssen daher schnell und einfach auf die Teller gebracht werden", sagt Urte Grauwinkel. An Ideen mangelt es den drei Frauen nicht. Auch die nötige Energie bringen sie mit. Nun müssen sie nur noch die Entscheidungsträger für ihre Produkte und Zubereitungsideen erwärmen.
Auch bei Jonas Schulze Niehoff hat es eine Weile gedauert, bis er mit den Kichererbsen richtig durchgestartet ist. Mit einem kräftigen Ruck öffnet er einen seiner weißen Kühlcontainer, die auf dem Hof stehen. Darin liegen mehrere Paletten voll mit weißen 25-Kilogramm-Säcken mit fertig aufbereiteten Bioland-Kichererbsen, auf denen das Konterfei des Landwirts prangt.
Am Anfang sei die Vermarktung schwierig gewesen, der Großhandel winkte ab. „Erst als ich dem Produkt eine eigene Marke gab, wollten sie es plötzlich alle haben", sagt er und lacht, „jetzt bekommen sie es aber nur noch mit meinem eigenen Kopf drauf."
Auch er hat bereits eine erste Idee für ein fertig verarbeitetes Kichererbsen-Produkt. Seine drei Kinder haben es getestet und für gut befunden. Wenn er einen Produzenten fände, der die Vermarktung ankurbelt, könne es ein Erfolg werden, davon ist der Familienvater überzeugt.
Klimaresilienz von Böden fördern
Doch auch in diesem Jahr gibt es auf seinen Äckern genug zu tun. Er muss sich um gut ein Dutzend verschiedene Kulturen kümmern. Dazu kommt der Mehraufwand durch die wissenschaftliche Begleitung. Parzellen wollen angelegt, Hanf, Quinoa und Kichererbsen gesät und klimafreundliche, bodenschonende Agrarpraktiken erprobt werden. „Ich weiß nicht, ob die Hitze nur ein vorübergehender Effekt ist oder nur die Trockenheit bleibt", sagt Jonas Schulze Niehoff, „aber wir brauchen langfristig Kulturen, die uns Proteine liefern, damit wir auch in Zukunft zuverlässig qualitativ hochwertige Lebensmittel produzieren können."