Viele kleine und mittelständische Firmen bangen in der Energiekrise um ihr Überleben. Dabei bilden sie mit zwei Drittel aller Unternehmen das wirtschaftliche Fundament in Deutschland.
Die Stimmung bei vielen kleinen und mittelständischen Unternehmern ist gedrückt. Um nicht zu sagen: miserabel. Vor ein paar Wochen machte in einigen alternativen Medienportalen der Wutbrief einer Berliner Unternehmerin die Runde. „Sie haben es in kürzester Zeit geschafft, es dem kleinen Mittelstand schier unmöglich zu machen, Ihre katastrophalen Entscheidungen zu ‚überleben‘", schrieb Judith Flora Schneider an mehrere Bundesministerien. Und noch mehr: Die geschäftsführende Gesellschafterin der Zeus Teppichbodenland GmbH in Berlin-Weißensee warf der Regierung vor, „lebensfremde polit- und wirtschaftssuizidale Beschlüsse" gefasst zu haben. Sie sprach in ihrem Schreiben vom „großen Sterben" mittelständischer Unternehmen. Und davon, dass dies von der Politik „vorprogrammiert" sei.
Etwa fünf Kilometer weiter westlich von Schneiders Teppichhandel befindet sich in Berlin-Pankow der Friseursalon Melange. Dort betreibt die Friseurmeisterin Angelique Fiedler seit 17 Jahren ihren Laden und beschäftigt zwei Vollzeit- und zwei Teilzeitkräfte. Die Berlinerin verschickt keine Wutbriefe an Politiker. Existenzängste aber hat auch sie. Sie empfinde „Unmut", sagt sie im Gespräch mit FORUM. „Erst kam Corona, doch da haben wir Glück gehabt wegen der staatlichen Hilfen, aber jetzt kommt das Nächste. Man ist so müde", erzählt sie. Die Unternehmerin und dreifache Mutter kämpft an mehreren Fronten gleichzeitig. Einerseits steigen ihre Kosten. Andererseits muss sie sich gegen die zunehmende Konkurrenz der Barbershops behaupten, deren Preise für Herrenschnitte meist weit unter denen offizieller Friseurläden liegen. Angelique Fiedler beobachtet auch eine große Verunsicherung ihrer Kunden. „Sie halten ihr Geld zusammen, schieben ihre Termine weiter auseinander, sie gönnen sich halt weniger", erläutert die Unternehmerin. „Aus diesem Grund stellen wir vorerst keinen neuen Azubi ein, was garantiert auch viele andere Betriebe genauso handhaben."
Ihre ehemalige Auszubildende, die sie übernommen habe, könne sie erst einmal nur für 30 Stunden beschäftigen, obwohl sie liebend gerne deren Arbeitszeit aufstocken würde. „Doch die Menge der Kundschaft gibt das momentan nicht anders her." Verunsicherung spürt man auch bei ihr selbst. Denn das Damoklesschwert, das über ihrem Geschäft und vielen anderen energieintensiven Firmen schwebt, sind die explodierenden Gas- und Strompreise. „Ich würde gern wissen, was ich bezahlen muss", sagt sie. Eine „eindeutige Sicherheit bei der Energieversorgung" und „schnelle staatliche Unterstützungen" für die Friseurbetriebe fordert auch Manuela Härtelt-Dören, Präsidentin des Zentralverbandes des Deutschen Friseurhandwerks. So schlägt die Verbandschefin unter anderem eine zeitlich begrenzte Mehrwertsteuersenkung vor: Demnach sollten Friseurdienstleistungen nur noch mit sieben statt 19 Prozent besteuert werden.
Das Friseurhandwerk ist nicht die einzige Branche, die momentan ins Schleudern gerät. Seit Ende vergangenen Jahres schießen die Energiepreise in die Höhe. Hinzu kommt auch, dass viele Unternehmen durch die Folgen der Corona Pandemie sowieso schon gebeutelt sind. Dann noch weitere Dinge wie der Fachkräftemangel, Materialengpässe und gestiegene Materialpreise.
„Das ist jetzt eine schwierige Phase gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen", sagt Steffen Kawohl, Referent für Wirtschaft und Politik des Deutschen Mittelstands-Bundes (DMB), im Telefonat mit FORUM. „Die energieintensiven Unternehmen und das produzierende Gewerbe leiden besonders unter den hohen Energiepreisen, zum Beispiel Bäcker, Betriebe, die Ton herstellen, oder auch Automobilzulieferer." Die hohen Energiekosten belasteten auch die Lebensmittel- und die Logistikbranche. Die hohe Inflation und die hohen Energiepreise hätten immer einen Effekt auf die Nachfrageseite, weil natürlich dann auch die Verbraucher sparen müssen, um ihre steigenden Energiekosten bezahlen zu können. „Das wirkt sich natürlich auch wiederum auf die Nachfrage aus", erläutert der Wirtschaftsreferent aus Düsseldorf. Neben den hohen Energiepreisen hätten auch die hohen Rohstoffpreise insgesamt dazu beigetragen, dass es Insolvenzen gibt.

Nur jedes sechste Kleinunternehmen hat einen Notfallplan
Die Experten des DMB haben in den vergangenen Wochen eine Blitzumfrage unter ihren Mitgliedern durchgeführt. Das Resultat: Zehn Prozent der befragten Unternehmen sehen ihren Geschäftsausblick für die nächsten sechs Monate als existenzbedrohend an. Und 32 Prozent sprechen davon, dass der Geschäftsausblick aus ihrer Sicht schlecht ist. „Das ist schon ein alarmierendes Signal", sagt Steffen Kawohl.
Auch das Münchener Ifo-Institut verzeichnet seit Wochen eine deutlich getrübte Stimmung. Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist im September auf 84,3 Punkte gefallen, nach 88,6 Punkten im August. Dies ist der niedrigste Wert seit Mai 2020. Der Pessimismus zieht sich durch alle Wirtschaftsbereiche. „Die Erwartungen sinken, aber die Lage folgt auch", gibt Ifo-Präsident Clemens Fuest zu bedenken. „Es ist zu befürchten, dass das weitergeht und sich die Lage weiter verdüstert." Er rechne damit, dass die Wirtschaft im Winter schrumpfe und auch über das Gesamtjahr 2023 „etwas" schrumpfen werde.
Die geschwächte Wirtschaftskraft schlägt sich auch in der Anzahl von Insolvenzen nieder. Tendenz steigend. „Für September 2022 nennt das Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) eine Zahl von 762", sagt DMB-Referent Steffen Kawohl. „Das sind 34 Prozent mehr Insolvenzen als im gleichen Vorjahresmonat. Im August waren es 718 Fälle, was 26 Prozent mehr Insolvenzen als vor einem Jahr entsprach." Allerdings sei bei diesen Statistiken immer fraglich ist, wie viel sie tatsächlich über den Zustand der deutschen Wirtschaft aussagten, gibt Kawohl zu bedanken. Sie lieferten nur ein begrenztes Bild, weil darin nicht enthalten ist, wer zum Beispiel sein Geschäft aufgebe, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen. Auch werde in dieser Statistik nicht erfasst, wenn sich Firmen neu gründen oder ein Gewerbe beantragen.
„Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass Insolvenzen in einer funktionierenden Marktwirtschaft eine reinigende Wirkung haben und dass unprofitable Unternehmen, die Kapital und Arbeitskräfte binden, auch in Zeiten wirtschaftlicher Aufschwünge vom Markt gehen." Deswegen sei das Insolvenzgeschehen auch ein ganz normaler Teil der Marktwirtschaft, so der Experte.
Ein großer Unsicherheitsfaktor bleibt aber die Energiekrise. Nur knapp jedes dritte deutsche Unternehmen hat einen Notfallplan, um die Energiekrise zu bewältigen. Das geht aus der neuen Randstad-Ifo-Personalleiterbefragung unter 700 Personalverantwortlichen hervor. Auch hier sind wiederum vor allem kleine und mittelständische Firmen betroffen. „Je kleiner das Unternehmen, desto seltener wurden Maßnahmen auf den Weg gebracht. Bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden haben 60 Prozent entsprechende Vorkehrungen getroffen", sagt Ifo-Forscherin Johanna Granitz. Bei Firmen mit bis zu 50 Mitarbeitenden seien es nur noch 15 Prozent.
Die kleinen und mittleren Unternehmen seien das Rückgrat unserer Wirtschaft, sagt Steffen Kawohl. „Sie stellen rund 60 Prozent der Arbeitsplätze. Diese Unternehmen zahlen am Ende auch die Gehälter vieler Menschen." Deswegen sei das eine kritische Situation. „Maßnahmen, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen zu erhalten, müssen eine besondere politische Bedeutung haben." Die Friseurmeisterin Angelique Fiedler hofft indes auf das Weihnachtsgeschäft. Und darauf, dass sie das, was sie sich knapp zwei Jahrzehnte lang aufgebaut hat, nicht durch die Energie- und Wirtschaftskrise „gegen den Baum" fahren muss.