In den Kommunen findet sich kaum noch Platz, zentrale Einrichtungen sind längst ausgeschöpft. Der Flüchtlingsgipfel verlief für sie ziemlich enttäuschend.
Die Lage ist angespannt und „immer schwieriger zu bewältigen". Darauf zumindest konnten sich die zuständigen Ministerinnen und Minister aus Bund und Ländern schnell einigen. Über fast alles andere gab es aber teilweise recht unterschiedliche Ansichten und Einschätzungen vor und auch während des Flüchtlingsgipfels im Oktober.
Die Herausforderungen werden vermutlich größer. Putin lässt kritische Infrastruktur in der Ukraine zerbomben und setzt offensichtlich auf Druck durch Flucht und Vertreibung. Steht Europa vor derselben Situation wie in den schwierigen Jahren 2015/16? Ja, sagen die einen, wie der Vizepräsident des Deutschen Städtetags und Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung, und rechnen dazu die aktuellen Zahlen vor: Fast 1,1 Millionen Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, dazu über 100 000 nicht-ukrainische Schutzsuchende (Stand Ende September).
Herausforderung wie 2015
Bislang sind Flüchtende aus der Ukraine zum überwiegenden Teil privat und in Kommunen untergekommen, nur ein kleinerer Teil in Sammelunterkünften. Ein wesentlicher Unterschied liegt aber darin, dass der überwiegende Teil der Ukrainerinnen und Ukrainer am liebsten wieder zurück in ihre Heimat will, sobald das irgendwie möglich ist.
Das ändert aber nichts daran, dass die Situation zunehmend schwieriger wird. Überall im Land werden Hallen angemietet, sind teilweise auch bereits schon belegt, andere Notunterkünfte für den Winter werden vorbereitet. „Das Wasser steht uns bis zum Hals", heißt es im Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Und nicht nur dort. Die Situation dürfte sich weiter entwickeln, vermutlich auch durch die Entwicklung in der Ukraine. Russland ist weiter dabei, das Land zu zerbomben, eine Eskalation, die vor allem die Zivilbevölkerung trifft, gezielt vor dem Winter. Putin wolle wohl eine Ukraine ohne Ukrainer, meinte Kiews Bürgermeister Klitschko.
Das spüren alle europäischen Länder, zuallererst die unmittelbaren Nachbarn. Insgesamt waren bis Anfang Oktober rund 4,2 Millionen Menschen aus der Ukraine in der EU aufgenommen worden (Angaben nach UNHCR und Mediendienst Integration). Die weitaus meisten hat demnach Polen aufgenommen (über 1,4 Millionen). Damit zeigt sich das Land in einer ganz anderen Weise als 2015/2016, wo sich Polen gegen einen europäischen Verteilschlüssel wehrte und nur zu einer sehr begrenzten Aufnahme bereit erklärte. Eine besondere Belastung trägt beispielsweise auch Tschechien mit fast 450 000 Geflüchteten bei einer Einwohnerzahl von rund 10 Millionen.
Die Besonderheit ukrainischer Flüchtlinge ergibt sich aus deren besonderem Schutzstatus, auf den sich die EU-Mitgliedsstaaten in seltener Einigkeit bei Flüchtlingsfragen kurz nach dem Überfall durch Russland verständigt hatten. Demnach müssen sie beispielsweise kein Asylverfahren durchlaufen und können sich ihren Aufenthaltsort frei wählen.
Die überwiegende Zahl der Menschen sucht Schutz in den unmittelbaren Anrainerstaaten, also in möglichst großer Nähe zur Heimat, vor allem in der Hoffnung, baldmöglichst wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Was auch bereits in beträchtlichem Umfang der Fall war, wo sich russische Besatzer aus Regionen zurückgezogen hatten. Das Ergebnis ist aber auch eine Ungleichverteilung in der EU.
Die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ist bislang in der EU mit großer Solidarität erfolgt. Verschärft hat sich die Entwicklung zuletzt durch einen Anstieg von Geflüchteten aus anderen Ländern. Das hatte sich bereits im Sommer abgezeichnet. Im September erklärten schließlich neun von 16 Bundesländern, dass sie keine Flüchtlinge mehr aus dem bundesweiten Verteilsystem aufnehmen könnten. Die Zahl stieg, die Kapazitätsgrenzen waren erreicht.
Flüchtlinge aus der Ukraine fanden zunächst relativ schnell Unterkunft in Kommunen, Damit sind aber inzwischen die kommunalen Möglichkeiten weitgehend ausgeschöpft. Verschärft wird die Lage dadurch, dass Haubesitzer, die zu Kriegsbeginn schnell Wohnraum zur vorübergehenden Aufnahme zur Verfügung stellten, inzwischen auch wieder Eigenbedarf geltend machen.
Kurzum: Der Platz ist knapp bis ausgeschöpft, die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen sind ausgereizt, und die Nerven sind auch aufgrund der vielfältigen anderen Krisensituationen angespannt.
Kapazitäten in den kommunen sind erschöpft
Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbände warnen schon länger davor, Flüchtlinge in eine Art Zwei-Klassen-Gesellschaft zu teilen: diejenigen aus der Ukraine und eben die aus anderen Ländern.
Vor und während des Flüchtlingsgipfels ist angesichts der Entwicklung die Diskussion um eine Begrenzung des Zuzugs wieder aufgeflammt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich nun dafür ausgesprochen, den Zugang für Menschen aus der Ukraine offen zu halten, den Zuzug über die so genannte Balkanroute und über das Mittelmeer aber zu begrenzen. Kritiker werfen ihr vor, damit von ihrer früher eher liberalen Haltung abgerückt zu sein. Die Jusos waren nach eigenem Bekunden „sprachlos", forderten dann die SPD-Ministerin zur Solidarität auf. Sie müsse sich für eine gerechte europäische Verteilung einsetzen, zudem brauche es einen Staat, „der Geflüchtete vor Übergriffen schützt". Damit spielten die Jusos offenkundig auf die Skandale um so genannte Pushbacks an den EU-Außengrenzen und im Mittelmeer an. Der grüne Koalitionspartner hält eine Verlängerung der Grenzkontrollen für „einen großen Fehler".
Am Ende hat sich damit nach dem Spitzentreffen die Diskussion alles andere als entschärft, die zentralen Forderungen der Kommunen wurden erst gar nicht entschieden, sondern auf November vertagt. Die Forderung lautet schlicht, dass „Bund und Länder die vollständige Übernahme aller mit dem Aufenthalt, der Unterbringung und Integration entstehenden Kosten" zusagen, betont der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg.
In vielen Punkten erinnert die Diskussion an Auseinandersetzungen in den kritischen Jahren 2015/2016, vor allem, wenn es um nicht-ukrainische Flüchtlinge geht. Es sind überwiegend Menschen aus anderen Kriegs- und Krisenregionen, die angesichts des Ukrainekrieges etwas aus dem Blick geraten sind, allen voran Syrien und Afghanistan. Bis September wurden rund 135 000 Asylanträge gestellt. 2015/2016 waren es rund 1,2 Millionen Asylbewerber, die Deutschland aufgenommen hat. Zum Teil gegen heftige Kritik.
Dafür ist übrigens dieser Tage Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel der renommierte Nansen-Preis des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) zuerkannt worden. „Angela Merkel hat großen moralischen und politischen Mut bewiesen, indem sie mehr als einer Million Flüchtlingen beim Überleben und Wiederaufbau geholfen hat", erklärte der Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi. Sie sei gegen diejenigen standhaft geblieben, die Angst verbreiten wollten. „Sie hat gezeigt, was erreicht werden kann, wenn Politiker richtig handeln und daran arbeiten, Lösungen für die Herausforderungen der Welt zu finden statt die Verantwortung einfach an andere weiterzureichen."
Die Voraussetzungen und Bedingungen zwischen damals und den aktuellen Entwicklungen sind nicht vergleichbar. Die Verleihung zum jetzigen Zeitpunkt ist aber kein Zufall, die Begründungen des Hochkommissars für Flüchtlinge dürfen auch für die aktuelle Situation als Signal gelesen werden.