Die Corona-Herbstwelle macht zunehmend Probleme. Im Gesundheitsbereich verschärft sich die Entwicklung. Noch reagiert die Politik mit immer drängenderen Appellen. Bleiben die ungehört, werden Einschränkungen unvermeidlich.
Krankmeldungen nehmen zu, und das, obwohl sich längst nicht alle krank melden. Nach einer Krankenkassenstudie geht fast jeder zehnte Corona-Infizierte zur Arbeit, ein beachtlicher Teil (17 Prozent) arbeitet trotz positivem Test zumindest im Homeoffice weiter. Das ist alles andere als vernünftig, warnen Ärzte. Denn nicht auskurierte Infektionskrankheiten können Organe angreifen. Das gilt grundsätzlich für alle Infektionen, damit natürlich auch für Corona.
Würden alle Infizierten, die mit leichten Symptomen versuchen, ihren Job zu machen, auch noch ausfallen, würde sich die ohnehin zugespitzte Lage weiter verschärfen. Die Absage von so mancher Veranstaltung mag noch verkraftbar, Ausfälle bei Bussen oder Bahnen ebenso ärgerlich wie geschlossene Ämter sein. Aber wenn sich Krankenhäuser aus der Notfallversorgung abmelden müssen wegen Personalmangels aufgrund von Erkrankungen, ist das ein Alarmsignal. Ebenso, wenn es zu Engpässen bei Krankentransporten kommt.
Genau das ist im Saarland der Fall, dem Bundesland, das derzeit im Ländervergleich einsamer Spitzenreiter bei der neuerlichen Herbstwelle ist. Die Zahl gemeldeter Fälle war zwar in den letzten Tagen kurzfristig leicht rückläufig, dennoch liegt die 7-Tage-Inzidenz mit 1.350 doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt (rund 680).
Hoffen, dass der Appell befolgt wird
Die hohe Zahl erklärt Landesgesundheitsminister Magnus Jung unter anderem damit, dass das Saarland zugleich die höchste Testquote habe. Gleichzeitig weist er zugleich immer wieder auf die hohe Dunkelziffer hin. Trotz der dramatischen Entwicklung hat es die Landesregierung zunächst noch bei eindringlichsten Appellen belassen, freiwillig die bekannten (und bewährten) Schutzmaßnahmen wie Maske tragen, Abstand halten und Kontakte zu reduzieren umzusetzen.
Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes rechnet vor, dass „eine schnelle Kontaktreduzierung um mindestens zwanzig Prozent notwendig" ist. Wenn das nicht gelinge, drohe eine Überlastung des Gesundheitswesens. Lehr hat als Modellierer die Entwicklung der Pandemie von Anfang begleitet. Bei einem R-Wert von zuletzt 1,3 bis 1,4, so seine Berechnungen, seien Inzidenzwerte von bis 4 000 zu erwarten, wenn die (bislang freiwilligen) Maßnahmen nicht unmittelbar und konsequent umgesetzt würden. Der R-Wert (Reproduktionswert) gibt an, wie viele weitere Personen von einer infizierten Person angesteckt werden. Liegt der Wert über 1, verbreitet sich entsprechend die Zahl der Infizierten. Im Saarland hatte sich die Zahl der gemeldeten Fälle innerhalb einer Woche verdoppelt. Dabei geht Minister Jung davon aus, dass absehbar ähnliche Entwicklungen in allen Bundesländern zu verzeichnen sein werden.
Christian Braun, Ärztlicher Direktor am Klinikum Saarbrücken, betonte: „Bei einem Anstieg der Corona-Patientenzahlen in den Kliniken – in Kombination mit Personalausfällen – drohen erneut Einschränkungen im Bereich planbarer Eingriffe beziehungsweise sind bereits Realität. Das Problem wird nicht die Bettenzahl sein, sondern die Zahl der Fachkräfte, die die Patienten versorgen können."
Krankenhäuser müssen bereits jetzt wie in früheren Pandemiewellen Maßnahmen ergreifen, verschiebbare OPs erst einmal absagen. Saar-Minister Jung fordert deshalb: „Für die Erlösausfälle muss der Bund wie in der Vergangenheit aufkommen".
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht sich dabei aber noch mit einem zusätzlichen akuten Problem der Krankenhäuser konfrontiert. Die fürchten nämlich gleichzeitig wegen der explodierenden Energiekosten um ihre Existenz. Energie sparen in Krankenhäusern ist nur äußerst begrenzt möglich.
In Sachen Corona hat Lauterbach dieser Tage die schon lange angekündigte Impfkampagne vorgestellt. Die setzt nicht so sehr auf Aufklärung durch Zahlen, Statistiken und Grafiken. Die sind im Laufe der Pandemie ausreichend kommuniziert worden. Sonderlich gewirkt haben sie kaum, Impfen ist für viele keine Sache von nur rationalen Entscheidungen.
Auf Plakaten werden 84 Menschen, stellvertretend für 84 Millionen Bundesbürger, gezeigt, die aus ihrer Erfahrung mit und aus Sorge vor Corona unter dem Slogan „Ich schütze mich" die Kampagne unterstützen. Die soll schließlich bewusst machen, „dass Pandemie nicht nur Statistik ist, sondern vielmehr eine Summe von Einzelschicksalen", ist Lauterbach überzeugt.
Was sich mit solchen Kampagnen bewirken lässt, ist immer diskussionswürdig, und eine Beurteilung wenige Tage nach dem Start sicher auch verfrüht. Die Zahlen des RKI-Impfdashboards sehen allerdings einigermaßen eindeutig aus. In Sachen Erstimpfung und Grundimmunisierung hat sich auch nach den massiven Anstiegen zur Herbstwelle so gut wie nichts bewegt. Daran haben auch die neuen angepassten Impfstoffe nichts geändert. Was aber offensichtlich Wirkung zeigt, ist die damit einhergehende Empfehlung zu Booster- Auffrischungs-Impfungen. Während sich bei der ersten Booster-Impfung wenig getan hat, ist die Zahl der zweiten Auffrischungsimpfung kontinuierlich gestiegen. Das kann daran liegen, dass viele im Sommer noch auf die angepassten Impfstoffe gewartet haben, kann aber auch sein, dass die Schutznotwendigkeit durch die massiv gestiegenen Zahlen offenkundig geworden ist. Bekanntlich schützen Impfungen nicht grundsätzlich davor, sich anzustecken, der Schutz gegen schwere Verläufe ist aber vielfältig und immer wieder neu nachgewiesen.
Booster-Impfungen zunehmend gefragt
In Deutschland tut sich ein beträchtlicher Teil der Menschen immer noch schwer mit Impfungen generell und gegen Corona im Besonderen. In anderen Ländern haben Menschen eine ganz andere Einstellung dazu. Ein Beispiel ist Spanien. Dort haben Menschen lange Zeit (vor allem während der Priosierung)einen konkreten Impfterminvorschlag automatisiert per sms auf ihr Handy bekommen. Straff und digital organisiert, es musste sich keiner um einen Impftermin bemühen. Hierzulande ziemlich unvorstellbar. Soziologen, die die Entwicklung wissenschaftlich begleiten, meinen, dass auch der hohe Stellenwert, den Familien in Spanien nach wie vor haben, einen Einfluss hat. „Für die meisten Menschen in Spanien ist klar, dass der Schutz ihrer Familie und der Freunde genauso wichtig ist wie der Schutz von sich selbst. Nur so kann die Gesellschaft funktionieren", analysiert beispielsweise der Madrider Präventivmediziner José Jonay Ojeda. Und der Soziologe Josep Lobera macht eine Art Gruppendynamik für die Offenheit gegenüber Impfen aus.
Über Impfmuffel in Deutschland gibt es zahlreiche Untersuchungen. Etliche beschreiben die Gruppen, die dem Impfen grundsätzlich skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Für Schwankende und Verunsicherte geben die Studien aber einen deutlichen Hinweis. Darunter sind – nach eigenen Angaben – viele, die keinen kennen, der Covid-19 hatte, oder keinen, der sich bereits (mehrfach) hat impfen lassen (auch wenn das inzwischen schwer sein dürfte). Auf die dürfte denn auch die Kampagne des Bundesgesundheitsministers abzielen.
Ansonsten hilft, was bekanntlich bei jedem Virus, also auch Grippe, hilft: Abstand, Maske, Kontakte möglichst reduzieren. „Wir haben es selbst in der Hand", mahnen in einer Gemeinschaftsanstrengung im Saarland Politik, Wissenschaftler, Gesundheitsberufe und Wirtschaft. Neben all den anderen Krisen ist die Covid-Pandemie eine Herausforderung, die mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen zu begrenzen ist.