Die grünen Minister können mit der Delegiertenkonferenz zufrieden sein und erhalten Rückendeckung für ihre Politik. Klima-Aktivisten gehen auf die Straße, um dagegen zu protestieren.
Der Platz verdient eigentlich nicht den Namen Park. Ein paar Bäume am Rand, ein paar Bänke, gereiht um eine monströse Beton-Skulptur, am Rande einer dicht befahrenen Verkehrsachse im Berliner Regierungsviertel. Zu den lebenden Bäumen am Platzrand wurde nun noch in der Mitte Brennholz aufgeschichtet. Demonstration gegen die „finanzielle Förderung der Holzverbrennung" durch das Bundeswirtschaftsministerium unter grüner Leitung. Unter anderem haben Robin Wood, die Deutsche Umwelthilfe und der Naturschutzbund Deutschland aufgerufen.
Im Kern geht es einmal mehr um den Stopp von Energiegewinnung durch fossile Brennstoffe. „Der Wald soll leben und nicht verbrannt werden", steht auf einem der Plakate. Der Protest richtet sich gegen einen Trend, der in Zeiten von Gasmangel und einem drohenden kalten Winter in den eigenen vier Wänden für behagliche Wärme sorgen soll. Deutschland hortet Brennholz, um es dann in den noch eilig erworbenen Kaminöfen zu verbrennen. Wieder eine Demonstration gegen die Energie- und Klimapolitik Habecks, ausgerechnet von Menschen, die jahrzehntelang als Sympathisantenkern und Förderer der Grünen galten. Doch das war einmal.
Spätestens nach den Beschlüssen der Bundesdelegiertenkonferenz in Bonn scheint das ideologische Tischtuch zwischen Grünen und Klima- oder Umweltaktivisten endgültig zerschnitten. Schwimmende LNG-Terminals vor der Nord- und Ostseeküste, um Fracking-Gas aus den USA einzuspeisen, das hatte der damalige Umweltminister in Schleswig-Holstein Robert Habeck jahrelang noch selbst verhindert. Im August hat er, nun Bundeswirtschaftsminister in einer veritablen Energiekrise, den Grundstein dafür gelegt. Die Deutsche Umwelthilfe klagt gegen die LNG-Terminals, sowohl gegen die an Land, als auch auf See. Dazu werden die Kohlekraftwerke wieder hochgefahren, die Laufzeit der beiden süddeutschen Atomkraftwerke wohl mindestens bis Mitte April kommenden Jahres gestreckt. Das alles auch mit Zustimmung des Grünen Parteitages. Ein bisschen viel des Fossilen für die Klimakämpfer.
Aktivisten werden radikaler
Auch in der Wissenschaft regt sich massiver Widerstand gegen die Grünen. Scientist Rebellion rechnete in dieser Demo-Woche im Oktober ebenfalls bei Aktionen auf die Kommastelle genau mit den Grünen ab. Demnach würde der Beschluss des Parteitags zum Streckbetrieb der beiden süddeutschen Kernkraftwerke bis Mitte April kommenden Jahres der Stromversorgungsstabilität überhaupt nichts bringen. Das Hauptargument für Scientist-Rebellion-Aktivistin, Nana Grüning: „Wir lassen in Deutschland zwei Atomkraftwerke weiterlaufen, um Frankreich mit Strom zu beliefern, den wir ohne die beiden AKW gar nicht hätten. Umgekehrt sagt die französische Regierung Deutschland zu, im Gegenzug dafür Fracking-Gas nach Deutschland zu liefern. Das macht doch keinen Sinn, schon gar nicht für die Umwelt". Die Gleichung der 28-jährigen Aktivistin: In der Produktion völlig unsicherer Atomstrom gegen klimatödliches Flüssiggas.
Ähnlich hoch auch die Frustration bei den Aktivisten der „Letzten Generation", besser bekannt als die Klima-Kleber von der Autobahn. Die meisten von ihnen haben vor knapp vier Jahren bei Fridays for Future angefangen, sind dann vorrübergehend bei Extinction Rebellion gelandet. Doch auch deren Aktionen gegen das Versagen der Regierenden beim Kampf gegen den Klimawandel waren etlichen dann doch etwas zu lahm, frei nach dem Motto: Demo ist prima, nur wenn sie keiner mitbekommt, macht sie auch keinen Sinn. Dabei hat sich die Letzte Generation seit dem Sommer vor einem Jahr zunehmend radikalisiert. Der Hungerstreik von sechs Mitstreitern im August letzten Jahres im Klimacamp zwischen Berliner Hauptbahnhof und Kanzleramt an der Spree geriet zu einem Fiasko, spätestens in dem Augenblick, wo den Essensverweigerern empfohlen wurde, den Vitamin-C-Mangel mit dem Trinken von Orangensaft auszugleichen. Restlos leerer Magen und Fruchtsäure, keine ganz glückliche Mischung. Mehrere Hungerstreikende landeten vorübergehend in der Charité. Doch gerade die Vertreter des zivilen Ungehorsams haben dazu gelernt und gelten derzeit als die Speerspitze unter den Klimaaktivisten. Die Letzte Generation hat unter den Umweltbewegten gegen die grüne Regierungspolitik in der Ampel längst Kultstatus. Ihre Klebe-Aktionen sind generalstabsmäßig vorbereitet.
Extinction Rebellion, Letzte Generation
Dienstag an einem überraschend kalten Morgen, Mitte Oktober um sieben Uhr: Vermutlich 300 Aktivisten haben sich an acht verschiedenen Stellen der A 100, in Gebüschen oder Seitenstraßen an der Magistrale der Mobilität für die Hauptstadt versammelt. Wieder einmal soll die Berliner Stadtautobahn dichtgemacht werden. Doch die Polizei ist vorgewarnt, auch dank der vorherigen Ankündigung der Letzten Generation. Zwei Aktionen können schließlich verhindert werden, dort hat die Polizei die Autobahnbrücke und eine Zufahrt bewacht, aber mehr Personal haben sie nun mal nicht. Der Angriff auf die kritische Infrastruktur, und das ist die Blockade des morgendlichen Berufsverkehrs einer Metropole, ist erfolgreich. Was auffällt etwa an der Ausfahrt Hohenzollerndamm in Berlin-Wilmersdorf: Alle, die sich auf der Straße mit einer Hand festkleben, erleben an diesem Morgen ihre Aktions-Premiere als Klebe-Debütanten. Es scheint wie ein Aufnahmeritual bei der Letzten Generation. Die Klebenden freuen sich an diesem Morgen, wenn sie dann doch von der Polizei, unter fürsorglichem Einsatz von Lösungs-Öl, ihre Hand wieder vom Asphalt gelöst bekommen. Jeder, der sich mal mit Sekundenkleber die Fingerkuppen versehentlich touchiert hat, weiß, wie unangenehm das ist. Doch gleich eine ganze Hand mit Sekundenkleber zugeschmiert und dann bei zwei Grad Außentemperatur die „Flosse" auf dem kalten Asphalt angeklebt, ist nicht schön. Die Polizisten lassen sich da auch gern mal etwas mehr Zeit. Vor dem „Lösen" kommt die Personenabfrage, die Nachfrage, ob sie mit der polizeilichen Maßnahme zum Ablösen einverstanden sind, und dann der Datenabgleich mit dem Einwohnermeldeamt. Das dauert. Klebe-Debütant Jörgen hat an diesem Morgen beim Briefing vor der Aktion etwas falsch verstanden und sich gleich mit beiden Händen auf die Fahrbahn festgeklebt. Ein Polizist bemerkt die triefende Nase und hilft Jörgen beim dringend nötigen Schnäuzen. Schließlich übernimmt eine erfahrene Aktivistin der Letzten Generation die Betreuung. Nach zwei Stunden (bei der Feststellung seiner Personalien gab es offenbar Übermittlungsfehler) konnte auch er von der Fahrbahn gelöst werden. Großes Herzen und Umarmen, wie nach dem ersten Walzer auf dem Hofball zu Wien, unter den Aktivisten und -innen nach der Straßenblockade. Aufnahmeprüfung bestanden.
Erinnerungen werden wach an die Straßen- und Gleisblockaden bei den Castortransporten nach Gorleben in Ost-Niedersachsen in den 1980er- und 90er-Jahren. Solidarisches Sich-selbst-Bestätigen nach der Devise: Wir sind die Guten. Diese Klima-Aktivisten dürften aber im Gegensatz zu damals als Grünen-Wähler ausfallen.