Die Entlastungen für deutsche Bürger, die die Ampel auf den Weg brachte, bringen die EU in Rage: Dort pocht man auf gesamteuropäische Lösungen, doch diese dauern. Der Kanzler ist um Ausgleich vor allem mit Frankreich bemüht.
Ungewöhnlich scharf waren die Worte von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron gegenüber der deutschen Bundesregierung. Er warnte davor, dass sich Deutschland „isoliere" – und sagte sogar ein geplantes deutsch-französisches Ministertreffen. Bundeskanzler Olaf Scholz dagegen verteidigt seine Entlastungspakete, den „Doppelwumms", als „sehr solidarisch". Damit steht er zusehends alleine.
Was war geschehen? Das Argument von Scholz gegen die Kritik am Alleingang aus Frankreich oder Italien: Auch andere EU-Länder hätten „umgerechnet" genau dasselbe wie Deutschland gemacht. Allerdings sind die finanziellen Dimensionen zum Teil andere, vor allem, weil die meisten sich einen 200-Milliarden-Schutzschirm für die nationalen Unternehmen wie in Deutschland nicht leisten können. Frankreich etwa begrenzt ab 2023 den Strom- und Gaspreisanstieg auf 15 Prozent, die Preise sind seit Monaten gedeckelt. Die Niederlande investieren in einen Preisdeckel für private Haushalte und kleine Unternehmen in Höhe von bis zu 40 Milliarden Euro, der einen Teil der erhöhten Energiekosten finanzieren soll. Italien hat ein Hilfspaket in Höhe von 66 Milliarden geschnürt und subventioniert das Benzin an der Tankstelle, Slowenien zahlte bereits mehrfach Einmalhilfen, senkte die Mehrwertsteuer auf Energie und installierte eine Preisbremse. Polen und Dänemark froren die Preise auf dem Niveau der beiden Vorjahre ein, Litauen will einen Teil des Strompreises der Haushalte auf Staatskosten übernehmen und den Preisanstieg von Gas auf 40 Prozent begrenzen.
Auch andere EU-Staaten entlasten
Doch auch nach der Verständigung in Brüssel bleibt erst einmal unklar, was weiter passieren wird. Sicher ist: In der EU wird es für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für Unternehmen auf absehbare Zeit keine tiefgreifenden Markteingriffe zur Absenkung der hohen Energiepreise geben. Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel blockierte insbesondere Scholz Entscheidungen zu einem möglichen Preisdeckel für Gas, welches zur Stromerzeugung genutzt wird. Konkret gearbeitet werden soll zunächst lediglich an einem Preisdeckel zur Begrenzung extremer Ausschläge. Verbraucher und die Wirtschaft hätten in der aktuellen Situation allerdings nichts von einem solchen Instrument. Der vorgeschlagene Mechanismus soll nicht das derzeitige Preisniveau drücken, sondern lediglich dann zum Einsatz kommen, wenn etwa Manipulationen wie der russische Lieferstopp über Nord Stream 1 die Preise hochtreiben. Auch die Details eines solchen Modells – etwa was ein exzessiver Gaspreis ist – sind noch weitgehend unklar. Scholz, dem vor dem Gipfel nicht nur von Italien und Frankreich, sondern auch von Polen und anderen EU-Staaten Egoismus in der Energiekrise vorgeworfen worden war, sprach nach der ersten Gipfelnacht von einem „guten Zeichen der Solidarität". Ungarns Viktor Orban sah eine „faire Vereinbarung". Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki nannte das Ergebnis gut für Polen und Österreichs Kanzler Karl Nehammer verkündete „gute Nachrichten".
Ein EU-Gaspreisdeckel solle nach Argumentation des Bundeskanzlers deshalb vermieden werden, um Verkäufer nicht abzuschrecken, ihr Gas an Europa zu verkaufen. Zu diesem Zweck zeigte sich Scholz offen für gemeinsame europäische Gaskäufe, um die Marktmacht beim Einkauf auf dem Weltmarkt zu erhöhen. Bei den anstehenden Verhandlungen könnte Deutschland nun versuchen, das Instrument so zu konzipieren, dass es möglichst selten oder gar nicht angewendet wird. Der Gipfel-Beschluss legte als Hürde bereits unter anderem fest, dass die Versorgungssicherheit nicht gefährdet wird.
Weitreichende Ergebnisse gab es beim Gipfel auch deshalb nicht, weil Deutschland und Frankreich in anderen Schlüsselfragen über Kreuz liegen. Neben der Frage der Gaspreisbremse gibt es Debatten darüber, wie in der EU mögliche Unterstützungsmaßnahmen in der Energiekrise finanziert werden sollen. Macron bezog bereits vor dem Gipfel mit seiner Warnung vor einer Isolation Deutschlands Position. Das passt ins Bild der kurz vor dem Gipfel verschobenen gemeinsamen Kabinettssitzung beider Regierungen. Die Differenzen bei zentralen Themen wie Energie und Verteidigung sind groß. Immerhin wollen Scholz und Macron sich in Paris zu zweit treffen, um sich auszusprechen. „Wir arbeiten also weiter und vertreten nicht immer die gleichen Positionen, was normal ist", sagte Macron dazu. Es handele sich um einen Schlüsselmoment für Europa. Scholz dagegen setzt auf die Zusammenarbeit „auch zwischen dem Präsidenten und dem Bundeskanzler", die intensiv sei und Erfolg habe.
Gaspreis fällt deutlich
Derweil fordern die Länderchefs in Deutschland rasche Entscheidungen – für das 200-Milliarden-Paket und die noch zu auszugestaltende nationale Gaspreisbremse in Deutschland. Die Gaspreisbremse müsse nach Ansicht der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten schon zum 1. Januar kommen. Die Länderchefs fordern zudem, dass auch kommunale und soziale Einrichtungen von der Gaspreisbremse profitieren sollen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein nordrhein-westfälischer Kollege, Hendrik Wüst (CDU), forderten auch Entlastungen für Menschen, die mit Öl und Holzpellets heizen. Für eine Entlastung der mit Öl heizenden Bevölkerung setzt sich auch die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) ein – im Saarland wird vor allem mit Öl geheizt. „Es darf am Ende keine Spaltung geben im Land entlang der Energiequellen", sagte Wüst.
Dem Energiepreis bleibt das Spaltpotenzial erhalten, sowohl auf nationaler wie auch auf EU-Ebene. Derweil fällt der Gaspreis an den europäischen Börsen weiter, zu Redaktionsschluss lag er bei 100 Euro pro Megawattstunde und damit noch unter dem Niveau vom Oktober 2021 – nach einem zwischenzeitlichen Hoch von über 312 Euro pro Megawattstunde. Auf die aktuelle Gasrechnung hat diese gute Nachricht jedoch noch keine Wirkung.