Risiko oder Chance für die Zukunft? Keine Investition ist risikofrei. Trotzdem seien der Transformationsfonds und der neue Haushalt ein Schritt in die richtige Richtung. Man müsse aber noch weiter denken. Das finden zumindest die Experten der saarländischen Arbeitskammer.
Stellen Sie sich vor, Ihre Eltern haben ein Haus. Nun stehen Sie vor der Wahl: Soll es renoviert werden? Immerhin weiß man nicht so genau, ob sich das zeitlich noch lohnt, und es kostet eine Menge. Geld, das Sie sonst später erben würden. Wofür entscheiden Sie sich? Für das Vermögen oder für ein frisch renoviertes Haus?
Auf den ersten Blick scheinen diese Fragen nichts mit dem Drei-Milliarden-Euro-Transformationsfonds der saarländischen Landesregierung zu tun zu haben. Allerdings lässt sich die grundlegende Diskussion darüber mit dem Haus-Beispiel ganz gut nachvollziehen. Warum es in der Debatte um die Finanzen des Saarlandes nicht nur auf die Infrastruktur, sondern vor allem auch auf die Menschen ankommt und ob die Investitionen das Risiko wert sind, haben wir in einem Gespräch mit der Arbeitskammer des Saarlandes erörtert. Unsere Fragen beantworteten Hauptgeschäftsführer Thomas Otto, Vorstandsvorsitzender Jörg Caspar und Dr. Patricia Bauer, Referentin für Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Schaut man sich die aktuellen Herausforderungen für die saarländische Industrie an, ist es die einzig logische Konsequenz, als Landesregierung Geld in die Hand zu nehmen und die Transformation zu begleiten, so sieht es zumindest Jörg Caspar. Die Begründung dieser Investitionen hat im Landtag für Diskussionen gesorgt. Geht es nach der Opposition, sind sie schon seit Jahren notwendig und die Erklärung der „außergewöhnlichen Notlage" wegen des Ukrainekrieges ist nur vorgeschoben. Dazu sagt Patricia Bauer, die Notlage sei vor allem eine Folge der steigenden Energiepreise, welche die Transformation entscheidend antreiben. Corona sowie der Ukrainekrieg haben die Digitalisierung beschleunigt und Gas als Energiequelle verteuert. Damit muss nun die Unabhängigkeit von fossilen Energien schneller vorangetrieben werden. Entwicklungen, die über Jahrzehnte hinweg geplant waren, müssen plötzlich innerhalb von wenigen Jahren passieren, erklärt Thomas Otto.
Die Probleme sind somit zwar altbekannt – die Arbeitskammer fordert schon seit Jahren mehr staatliche Investitionen –, die Dringlichkeit ist aber durch die aktuellen Krisen rasant gestiegen. Abgesehen davon erwarten die von den Umbrüchen betroffenen Bürger eine praktische Antwort von der Politik. Und in dieser Angelegenheit zählt im Endeffekt das Ergebnis, so Jörg Caspar. Entscheidend ist also weniger, warum genau, sondern vielmehr, dass das Haus saniert wird.
Die Frage, ob die drei Milliarden die grundlegenden Probleme des saarländischen Haushaltes – zum Beispiel den hohen Schuldenstand oder die niedrigen Steuereinnahmen – aus der Welt schaffen können, wird von den drei Experten klar verneint. Der Fonds sei zwar ein gutes Instrument, aber letztlich nur ein Teil der nötigen Investitionen. Gefordert hat die Arbeitskammer hier in den letzten Jahren zwischen fünf und sieben Milliarden, die das Land zusätzlich investieren soll.
Wichtig sind nicht nur Infrastruktur, sondern auch die Beschäftigten
Dass diese Zahl um einiges höher ist als die von der Regierung vorgeschlagene Summe, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen handelt es sich beim Transformationsfonds um reine Landesmittel, während die Berechnungen der Arbeitskammer auch den Gemeinden-Anteil und die Investitionslücke der Jahre der Haushaltssanierung einbeziehen. Zum anderen ist der Fonds auf Investitionen in die Infrastruktur, die „Hardware", wie Otto es nennt, eingeschränkt. Die Arbeitskammer fordert aber darüber hinaus Gelder für die „Software", also zum Beispiel eine aktivere Arbeitsmarkt- oder eine bessere Bildungspolitik. „Was hilft eine Ansiedlung, wenn keine Beschäftigten gefördert werden", begründet das der Hauptgeschäftsführer. Oder am Beispiel des Hauses: Der Transformationsfonds beschafft zwar ausreichend Ziegel für ein neues Dach, aber das hilft wenig, wenn niemand da und qualifiziert genug ist, um sie anzubringen.
Geht es um diese „Software", beginnt alles mit der Bildungsdebatte, da ist sich Otto sicher. „Wenn wir Menschen befähigen wollen, gerade junge Menschen, müssen sie eine gute Schulausbildung haben", betont er. Neben der Schul- geht es aber auch um Aus- und Weiterbildung: „Wir müssen den heute Benachteiligten einen Weg in qualifizierte Tätigkeit aufzeigen, aber auch die heute Qualifizierten befähigen, den Job von morgen ausüben zu können." Da brauche man alle Partner, aber auch Fördermittel. In diesem Punkt sind Thomas Otto zufolge im Landeshaushalt „einige Budgets schon auf einem guten Weg". Der Transformationsfonds ist auch hier verfassungsrechtlich auf die „Hardware" beschränkt. Das bedeutet, dass man nur investive Ausgaben, etwa in Schulgebäude oder andere Infrastruktur, tätigen darf. Deswegen muss das Geld für die „Software" – die Einstellung von Lehrkräften oder ähnliches – zumindest teilweise durch eine Ausweitung des Landeshaushaltes aufgetrieben werden. Zudem könnte man hierfür Mittel von Bund und EU erhalten. Aber geht es nach Jörg Caspar, ist die Beseitigung des Fachkräftemangels nicht allein Aufgabe der Landesregierung. Vielmehr sieht er auch Unternehmen in der Verantwortung, Ausbildungsplätze aufzustocken. „Alle brauchen Fachkräfte. Dann müssen sich auch alle an den Kosten der Ausbildung beteiligen", so der Vorstandsvorsitzende.
Aber kommen wir wieder zum Transformationsfonds zurück: Beleuchtet man die Frage nach Kosten und Nutzen, die am Anfang dieses Textes schon angedeutet wurde, findet man im Landtag eine heftige Debatte vor. Die Opposition sagt, man belaste zukünftige Generationen übermäßig, während die Regierung den Fonds vielmehr als Chance sieht. Die drei Vertreter der Arbeitskammer sind sich einig: Der Nutzen überwiegt klar. Schließlich verpuffen die Investitionen nicht einfach, sondern fließen in Güter. „Diese Investitionsgüter, diese Infrastrukturen, die stehen ja künftigen Generationen dann auch zur Verfügung", betont Patricia Bauer. Investitionen von heute sind demnach die Arbeitsplätze von morgen und eine gute Möglichkeit, Saarländer am Standort zu halten. Der Hauptgeschäftsführer kritisiert den „neoliberalen Ansatz", der davon ausgeht, dass man Geld für kommende Generationen sparen soll, statt heute zu investieren. Dabei geht es nicht nur um die Frage, ob man in einigen Jahren lieber Geld in der Hand oder ein funktionierendes Haus hat. Man muss auch beachten, dass sich der Zustand des Hauses bis dahin noch verschlechtert und die Renovierung dementsprechend immer teurer wird. Genauso wären die Aufbaukosten viel höher, ließe man die saarländische Wirtschaft erst einmal einbrechen, und die Bereitschaft des Bundes, hier finanziell zu helfen, würde eher kleiner. „Ich glaube, das Halten und das strategische Investieren ist sowohl betriebswirtschaftlich als auch volkswirtschaftlich die intelligentere Methode", so Otto. „Wer nicht auf die Zukunft wettet, der hat schon im Eingang verloren", fasst er zusammen.
Ist erst mal geklärt, dass die Investitionen in das Haus bzw. ins Saarland nötig sind, bleibt immer noch die Frage: Wohin genau soll das Geld denn fließen? Schließlich will man damit etwas Langfristiges, auch in Zukunft noch Sinnvolles schaffen. Kritisiert wird am Transformationsfonds, dass viel in Stahl- und Automobilindustrie investiert werden soll. Ist das mit Blick auf Nachhaltigkeitsgesichtspunkte denn überhaupt zukunftsorientiert und sinnvoll?
„Nicht deindustrialisieren, sondern grün industrialisieren"
Dazu hat Jörg Caspar eine ganz klare Position: „Ohne die Stahlindustrie, die sich in der Tat umstellen wird in Richtung grüner Stahl, kann es keine ökologische Erneuerung geben." Denn Stahl werde hier – etwa zum Bau von Windrädern – dringend gebraucht. Dabei muss man allerdings anmerken, dass Caspar als erster Bevollmächtigter der IG Metall Neunkirchen nicht ganz unvoreingenommen an das Thema herangehen dürfte. Doch auch Thomas Otto spricht sich klar für die Investitionen in die Stahlindustrie aus: „Die Frage ist nicht, ob wir Stahl herstellen, sondern die Frage ist, wo stellen wir ihn her, unter welchen Bedingungen". Dabei sei Deutschland derzeit grünster und für die Arbeitnehmer sicherster Standort für die Stahlproduktion. „Lassen wir die Chance ungenutzt, unsere Industrie grün aufzustellen, droht die schlichte Auslagerung von Problemen und damit auch die Produktion unter schlechteren Bedingungen", sagt Otto. „Der Umwelt würde damit ein Bärendienst erwiesen."
Die Automobilindustrie will er eher unter dem allgemeineren Begriff der Mobilitätswirtschaft verstanden wissen. Auch diese brauche man auf dem Weg zur Klimaneutralität, wenn es etwa um die Mobilitäts- und Transportkette vom Lastenrad über einen ausgebauten ÖPNV und den weiterhin notwendigen Individualverkehr bis hin zum Warentransport gehe. Insgesamt lautet die Devise also „nicht deindustrialisieren, sondern grün industrialisieren", sagt Otto.
Zuletzt bleibt die Frage, wie groß die Risiken sind, die der Transformationsfonds mit sich bringt. Sowohl Caspar als auch Otto betonen, dass natürlich keine Investition risikofrei ist. Trotzdem kann man sie danach anpassen, welches Risiko man bereit ist einzugehen. So erwartet man in der Arbeitskammer, dass die Landesregierung solide und wenig riskante Ansiedelungen anstrebt. Selbst wenn sich Entscheidungen im Nachhinein als falsch eingeschätzt herausstellen sollten, gebe es in vielen Fällen die Möglichkeit, noch einmal nachzusteuern. Der Weg zum Ziel sei keine gerade Linie, sondern von Kurven durchzogen, so Jörg Caspar.
In jedem Fall ist die Arbeitskammer in vielen Verhandlungen von Anfang an dabei. Besonderen Wert legen sie dort auf Mitbestimmungsmöglichkeiten und die Tarifbindung, aber auch auf Arbeits- und Gesundheitsschutz – kurz, es geht nicht ohne gute Arbeit.
Auch wenn Sonderausgaben für strukturschwache Regionen keine saarländische Neuerfindung sind, könnte der Transformationsfonds doch ein Vorreiter-Modell für andere Bundesländer in ähnlicher Lage werden. Ob der Fonds und der neue Haushalt ausreichen werden, um kommenden Generationen von Saarländern ein funktionierendes, modernes Haus zu hinterlassen, bleibt abzuwarten. Einen entscheidenden Vorteil sieht Jörg Caspar aber: „Wir haben eine Bevölkerung, die Strukturwandel kennt und gewöhnt ist."