Das neue saarländische Sondervermögen, der Transformationsfonds, ist in mancher Hinsicht ein Novum in der deutschen Geschichte. Der saarländische Finanzminister Jakob von Weizsäcker über die Hintergründe und warum die Maßnahme notwendig ist.
Herr Minister von Weizsäcker, warum muss der Landtag erst eine außerordentliche Notlage feststellen, damit Sie handlungsfähig sind?
Die Landesregierung ist jederzeit handlungsfähig. Aber den finanziellen Rahmen setzt der Landtag mit seinem Etatrecht, dem Königsrecht des Parlaments. Gemäß Schuldenbremse, die im Artikel 109 Grundgesetz verankert ist, müssen die Haushalte der Bundesländer in normalen Zeiten ausgeglichen sein. Nur in einer außergewöhnlichen Notsituation kann man davon abweichen. Diese Ausnahmeklausel ist auch sinnvoll. Denn einerseits ist Schuldenmacherei ein Problem, das eingedämmt werden muss. Andererseits kann es in Zeiten größter Herausforderung durchaus sinnvoll sein, Schulden aufzunehmen, um die Lage zu meistern. Dafür muss der Landtag aber zuerst die außergewöhnliche Notsituation feststellen.
Die Crux dabei ist die Begründung, die ja auch entscheidend dafür ist, dass ein solcher Beschluss einer möglichen Überprüfung standhält.
Die Begründung ist ökonomisch und verfassungsrechtlich ziemlich klar. Wir befinden uns sowieso in einer Situation des rasanten Strukturwandels. Bis zum Jahr 2045 müssen wir klimaneutral sein. Das in 23 Jahren zu schaffen ist für sich genommen eine gigantische Herausforderung. Jetzt sorgen der Krieg in der Ukraine und der damit einhergehende Energiepreisschock dafür, dass die Energiepreise sehr rasch gestiegen sind. Von den Preisspitzen kommen wir wieder herunter. Aber die Preise werden dennoch dauerhaft höher bleiben als vor dem Ukrainekrieg. Das wissen die Unternehmen und ziehen sehr viele Investitionsentscheidungen vor, die sie sonst auf dem Weg in die Klimaneutralität einigermaßen gleichförmig in den nächsten 23 Jahren getroffen hätten. Es geht um Entscheidungen, eine Produktionslinie mit massiven Investitionen energetisch zu ertüchtigen, oder um die Umstellung der Produktpalette – beispielsweise E-Mobilität – oder auch um Schließung. Der Ukrainekrieg und der damit einhergehende Energiepreisschock löst also eine enorme Beschleunigung und Verteuerung der Transformation aus. Das ist die außergewöhnliche Notsituation, um die es geht.
Die nächsten zehn Jahre entscheiden
Vor der veränderten Ausgangslage steht das Saarland aber nicht alleine. Sie schlagen aber als bislang einziges Bundesland einen neuen Weg ein. Warum?
Aufgrund der gewachsenen Branchenstrukturen ist die Transformationsherausforderung im Saarland besonders groß. In der Automobilindustrie und im Metallgewerbe – einschließlich Stahl – ist der Anteil der Beschäftigten bei uns höher als in jedem anderen Bundesland. Und gerade diese Branchen sind in der Transformation besonders gefordert. Dabei darf man übrigens bestehende Branchen und dynamisch wachsende Zukunftsbranchen nicht gegeneinander ausspielen. Das Saarland braucht massive Investitionen in beiden Bereichen für gute Arbeit und hohe Wertschöpfung. Um das zu stemmen, benötigen wir den Transformationsfonds mit drei Milliarden Euro für Investitionen in die 3 Is: Industrielle Transformation, Infrastruktur und Innovation. Zugegeben, drei Milliarden sind eine große Summe. Aber tatsächlich muss im Saarland in den kommenden Jahren ein Vielfaches investiert werden, um den Strukturwandel zu schaffen. Der Löwenanteil muss von der Privatwirtschaft kommen, ergänzt um substanzielle Unterstützung aus Brüssel und Berlin. Das durch den Ukrainekrieg beschleunigte Transformationstempo spiegelt sich übrigens auch im normalen Landeshaushalt nieder. Im Haushalt 2023 erhöhen wir die Investitionen um 50 Millionen Euro, und steigern damit die Investitionsquote von 8,8 auf 9,2 Prozent. Aber das reicht einfach nicht. Zusammen mit dem Transformationsfonds können wir in den kommenden 10 Jahren etwa 300 Millionen Euro pro Jahr mehr investieren, damit die Transformation gelingt.
Der Fonds ist mit zehn Jahren auf einen ziemlich langen Zeitraum angelegt. Das hat auch bereits zu Kritik geführt. Was antworten
Sie darauf?
In der Medizin unterscheidet man zwischen Fiebersenkungsmitteln und Heilmitteln. Wenn wir kurzfristig die Energiepreise subventionieren, wie es der Bund macht, dann ist das im Grunde ein Fiebersenkungsmittel. Das ist wichtig, weil es Linderung verschafft und Zeit kauft. Aber die beschleunigte Transformation ist damit nicht erledigt. Im Vergleich dazu hält der Transformationsfonds des Saarlands mit seinen Investitionen ein Heilmittel bereit. Ja, das dauert länger als die Fiebersenkung. Aber wenn die beschleunigte Transformation mit massiven Investitionen in die 3 Is über den Zehnjahreszeitraum gelingt, dann wäre das ein großer Erfolg und kein Anlass für Kritik.
Das Saarland vergrößert damit seine Verschuldung nicht unbeträchtlich. Das wiederum halten Kritiker für eine Belastung künftiger Generationen und viel zu riskant.
Riskant im Vergleich wozu? Nichts zu tun, wäre wesentlich riskanter. Wenn wir nicht handeln, droht eine Abwärtsspirale mit Jobverlusten, weniger Wertschöpfung, Wegzug der jungen Leute und schrumpfender Finanzkraft. Es liegt vielleicht in der menschlichen Natur, dass man das Handeln viel intensiver auf Risiken abklopft als das Nichthandeln. Das ist aber ein Fehler. Mit dem Transformationsfonds schaffen wir die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Strukturwandel im Saarland. Wenn wir das Geld gut investieren, schaffen wir gute Jobs und höhere Wertschöpfung auch für zukünftige Generationen. Das geht dann außerdem einher mit einer gesteigerten Finanzkraft zur Bedienung der Schulden. Selbstverständlich gibt es auch das Risiko, dass sich im Rückblick einzelne Investitionsentscheidungen als zweifelhaft herausstellen. Der Weg des Transformationsfonds ist also nicht risikofrei, aber erkennbar attraktiver als die Alternative.
Kritiker mit Argumenten überzeugen
Zur Begleitung des Transformationsfonds ist ein Beirat vorgesehen. Wie wird der aussehen?
Der Erfolg des Transformationsfonds hängt stark von der Qualität der Investitionsentscheidungen des Landes ab. Investitionen finden immer unter Unsicherheit statt. Eine Erfolgsgarantie gibt es im Einzelfall nicht. Aber mit dem Beirat sichern wir uns die erforderliche Expertise, damit insgesamt die Rendite stimmt: Rendite in Form von guter Arbeit und hoher Wertschöpfung und damit auch eine Rendite für die Finanzkraft des Landes und der Kommunen. Von diesem Anspruch werden wir uns bei der Zusammensetzung des Beirats leiten lassen.
Die Absicht zur Einrichtung des Transformationsfonds hat bundesweit Aufmerksamkeit geweckt. Welche Erfahrungen machen Sie mit Rückmeldungen von außen?
Selbstverständlich ist der Transformationsfonds für andere Bundesländer von Interesse. Deshalb haben die Ministerpräsidentin und ich von vorn herein unsere Pläne auch jenseits des Saarlands kommuniziert und besprochen. Dass das Saarland aufgrund seiner einzigartigen Beschäftigungskonzentration in der Automobil- und Metallindustrie besonders betroffen ist, verstehen, soweit ich erkennen kann, eigentlich alle. Einige Bundesländer überlegen tatsächlich, ob sie ein vergleichbares Vehikel einrichten. Andere möchten schlicht wissen, wie das Saarland sicherstellt, dass das Geld erfolgreich zur Stärkung der Wirtschafts- und Finanzkraft investiert wird. Für diese Unterhaltung gibt es den Stabilitätsrat, wo sich die Länder gegenseitig beobachten, damit seriös gewirtschaftet wird. Daran gibt es im solidarischen Finanzförderalismus ein wechselseitiges Interesse.
In der Diskussion sind Befürchtungen geäußert worden, die 400 Millionen Sanierungshilfen, die das Land derzeit erhält, könnten
in Gefahr geraten.
Die Kriterien für die außerordentliche Notsituation in der Schuldenbremse sind vergleichbar mit den Kriterien für eine Ausnahmeregelung für die Sanierungshilfen. Diese Feststellung in unserem Rechtsgutachten zeigt, dass hier erst einmal keine zusätzliche Komplikation entstehen dürfte. Richtig ist aber, dass Bund und Stabilitätsrat den saarländischen Transformationsfond im Vollzug genau beobachten werden. Ich sehe das als Finanzminister tendenziell positiv. Denn diese Beobachtung wird einen weiteren Beitrag dazu leisten, dass die Mittel des Transformationsfonds über die Jahre zielführend verausgabt werden.
Aktuell ist angesichts der Entwicklungen damit zu rechnen, dass die Steuereinnahmen zurückgehen. Was bedeutet das für die Gestaltung im Kernhaushalt?
Wir haben zwei gegenläufige Effekte. Wir haben Mindereinnahmen, weil die Konjunktur sich abkühlt. Das drückt die Steuereinnahmen nach unten. Gleichzeitig haben wir einen Inflationseffekt. Wenn unsere Kosten im Landeshaushalt nicht so schnell steigen wie die Inflation, kann die Inflation sogar kurzfristig die Finanzkraft steigern. Wie diese Effekte aktuell für das Saarland aussehen, werden die Experten mit der nächsten Steuerschätzung im November herausarbeiten.
Im Kernhaushalt sind die klassischen Aufgaben abgebildet: Bildung, innere Sicherheit, Kultur. Wir schlagen sich dort die Entwicklungen nieder?
Wenn man aufgrund der beschleunigten Transformation auch im Kernhaushalt mehr investieren muss, was wir tun, bedeutet das natürlich, dass es im konsumtiven Teil des Haushalts einen weniger großen Aufwuchs geben kann. Es gibt also eine gewisse Ressourcenkonkurrenz. Aber mit dem Haushaltsentwurf 2023 ist es gelungen, auch jenseits des Großthemas Strukturwandel mit zentralen Zielen der neuen Landesregierung kraftvoll in die Umsetzung zu gehen. Das gilt beispielsweise in der Bildungspolitik für G9 und die schrittweise Abschaffung der Kitabeiträge.
Die Dinge vernünftig austarieren
Schon zu Corona-Zeiten ist die Debatte über die Schuldenbremse neu entflammt. Sind Sondervermögen wie der Transformationsfonds eine Aufweichung der Schuldenbremse?
Nein. Eine Schuldenbremse ohne Ausnahmeklausel für Notfälle, die man dann auch anwendet, würde sich selbst ad absurdum führen. Wenn das Saarland wegen der Schuldenbremse keine Chance hätte, die durch den Ukrainekrieg beschleunigte Klimatransformation zu meistern, ja, dann wäre eine grundlegende Diskussion über die Schuldenbremse unausweichlich. Deshalb weicht die Nutzung der Ausnahmeregelung für Notfälle die Schuldenbremse nicht auf, sondern rettet sie.
Wir erleben jetzt immer wieder heftige Debatten, wer was bezahlen soll. Es gibt den regelmäßigen Ruf nach dem Bund, ebenso regelmäßig dessen Verweis auf die Länder, die Kommunen melden sich. Schleicht sich dort eine neue Debatte über das Finanzgeflecht zwischen Bund, Länder und Kommunen ein?
Wenn es krisenhafte Herausforderungen wie den Energiepreisschock gibt, der alle im Land betrifft, ist es richtig, dass der Bund sich darum kümmert. Nun führt das aktuelle Entlastungspaket auch zu erheblichen Kosten bei den Ländern. Deshalb gibt es jetzt die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Das ist aber im deutschen Finanzföderalismus völlig normal und auch erforderlich, damit die Maßnahmen zwischen Bund und Ländern vernünftig austariert werden. Als überzeugter Europäer möchte ich aber darauf hinweisen, dass ein Austarieren zwischen Bund, Ländern und Kommunen nicht genügt. Von der aktuellen Krise sind alle Länder in Europa betroffen. Deshalb muss eine überzeugende Antwort auf die Krise auch europäisch austariert sein. Zum Glück gelingt das auch zunehmend. In der Grenzregion sehen wir das ganz praktisch. Wir bekommen französisches Erdgas und liefern Strom, wenn es mit der französischen Atomkraft nicht so gut läuft. Diese schwere Krise kann Europa nur gemeinsam bewältigen.