Aus Protest gegen Sparmaßnahmen der Regierung haben in den vergangenen Wochen immer wieder Arztpraxen geschlossen. Auch Kinderärzte sind betroffen. Sie sind am Ende ihrer Kräfte, heißt es vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).

Nach mehreren Streiks des Klinikpersonals protestieren jetzt auch Ärzte in freier Praxis. Kaum eine Woche später folgten dann die Pädiater. Viele Kinderarzt-Praxen in Berlin hatten einfach geschlossen. Die Proteste richten sich gegen geplante Kürzungen in der ambulanten Versorgung seitens der Ampel-Koalition. Unter anderem will das Bundesgesundheitsministerium unter Führung von Karl Lauterbach die sogenannte Neupatientenregelung zum ersten Januar streichen. Sie bietet Ärzten seit 2019 besondere finanzielle Anreize, damit sie in ihrer Praxis neue Patienten aufnehmen und kurzfristig zusätzliche Termine anbieten.
Zum Streik der Pädiater hatte der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) aufgerufen. „Die ambulante Medizin wird nicht wertgeschätzt, dabei halten wir den Krankenhäusern den Rücken frei", sagt BVKJ-Sprecher Jakob Maske im Telefonat mit FORUM. Der Verbandssprecher ist selbst Kinderarzt mit eigener Praxis in Berlin-Schöneberg. „Jetzt schon ist die flächendeckende Versorgung von Kindern und Jugendlichen nicht mehr sichergestellt", erläutert der Mediziner. „Eltern suchen verzweifelt nach Terminen für ihre Kinder, so zum Beispiel für die Vorsorgeuntersuchung U3", schildert der Berliner Pädiater.
Ambulante Medizin kaum wertgeschätzt
Unmut gibt es indes auch bei anderen Praxisärzten: „Der derzeitige Kurs der Politik und Krankenkassen ist an Geringschätzung für die ambulante Versorgung nicht zu überbieten", sagten Frank Dastych und Dr. Eckhard Starke, beide Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung KV. „Nicht nur, dass den Niedergelassenen durch die geplante Streichung der Neupatientenregelung deutschlandweit rund 400 Millionen Euro weggenommen werden sollen, die Krankenkassen fordern darüber hinaus, den Praxen den gesetzlich zustehenden Inflationsausgleich in den kommenden Jahren zu verweigern."
Der BVKJ-Sprecher Jakob Maske beklagt, dass die Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen desaströs verlaufen seien. Nur 82 Prozent der Leistungen für Kinderärzte würden von den Krankenkassen übernommen, sagt der Sprecher. Damit würden fast ein Fünftel von ihnen umsonst erbracht. Natürlich seien diese Zahlen jedes Quartal unterschiedlich, jedoch mal unwesentlich besser und sonst eher schlechter. Und Hamburge habe zurzeit sogar eine garantierte Auszahlungsquote von nur 58 Prozent.
Der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) antwortete auf Nachfrage von FORUM, dass man speziell die Zahlen zu Hamburg nicht nachvollziehen könne. „Nach unseren Zahlen wurde im Jahr 2021 von dem der Budgetierung unterliegenden kinderärztlichen Leistungsvolumen bundesweit rund 97 Prozent übernommen." In der Hansestadt seien rund 87 Prozent übernommen worden. Dort sei allerdings auch die Versorgungsdichte insgesamt sehr hoch und es würden entsprechend viele Leistungen erbracht. Der BVKJ-Sprecher hingegen hält es für eine „Unverschämtheit", dass Kinderärzte nicht die vollen Kosten von den Kassen erhielten. „Sie können auch nicht zu einem Pizzabäcker gehen und sagen, dass Sie weniger für die Pizza zahlen." Auch gebe es bei der Inflation lediglich eine Erhöhung von zwei Prozent, doch die Rate liegt bei zehn Prozent. Und: „In den Arzthonoraren sind auch keine Kosten für Geräte und steigende Energiekosten abgebildet." Diese Situation würde dazu führen, dass viele Praxen ihre Mitarbeiter nicht mehr ausreichend bezahlen können. Ohne die professionelle Zusammenarbeit zwischen medizinischem Fachpersonal und Ärzten ist eine Praxis nicht zu führen und wird schließen müssen. „Wenn es dabei bleibt, ist es fraglich, ob noch genügend Ärzte in Praxen zur Verfügung stünden. Viele werden anderswo arbeiten", so der Berliner Kinderarzt.
Mehr Geburten, weniger Mediziner

Dass in Zukunft die Versorgung mit Kinderärzten alles andere als rosig ist, hat noch andere Gründe: Steigende Geburtenraten bei gleichzeitigem Medizinermangel. „Im Jahr 2011 hatten wir eine Geburtenrate von zirka 663.000, im vergangenen Jahr waren es etwa 795.500 Geburten", sagt Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). „Es gibt einfach mehr Kinder, die zu versorgen sind." Das Durchschnittsalter der jetzigen Kinderärzte liege zwischen 55 und 56 Jahren. Damit werde ein Großteil in den nächsten Jahren in Rente gehen, erläutert der Mediziner im Telefonat. Die Medizin werde weiblicher, mehr Frauen als Männer entschieden sich für ein Medizinstudium. Es sind etwa zwei Dittel, wie Rodeck sagt. In der Facharztweiterbildung Kinder- und Jugendmedizin seien es noch mehr, zirka 80 Prozent. „Kinderärztinnen haben anders als viele männliche Kollegen eine kürzere Lebensarbeitszeit im Beruf", sagt der DGKJ-Generalsekretär. Das ist dadurch bedingt, dass sie schwanger werden können, Kinder bekommen und eine Zeit lang beruflich ausfallen. „Zudem gibt es einen Wandel in der Gesamteinstellung zum Beruf." Das heißt: nachvollziehbar eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Damit dürfte die Versorgungslage aber generell noch schlechter werden. Es fehlten aktuell mindestens 5.000 zusätzliche Medizinstudienplätze, um das auszugleichen und ausreichend Nachwuchs auszubilden, so Rodeck. Das müsse dringend geändert werden.