Der Kanzler reist nach China – eine Visite im EU-Format wäre besser gewesen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in letzter Zeit einen gewissen Hang zu Alleingängen. Den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco bei einem Containerterminal des Hamburger Hafens hat Scholz gegen die Einwände von sechs Fachministerien durchgedrückt. Isoliert betrachtet ist der Deal mit einer Beteiligung von 24,9 Prozent zwar nicht dramatisch – die Chinesen haben keine entscheidenden Mitspracherechte. Doch wenn man die Investition im strategischen Kontext sieht, muss vor Naivität gewarnt werden.
Der Kanzler fliegt knapp zwei Wochen nach Ende des weichenstellenden Kongresses der Kommunistischen Partei Chinas nach Peking. Der Trip, bei dem etliche Dax-Vorstände mitreisen, ist eine Aufwertung von Staatspräsident Xi Jinping, der sich kürzlich mit quasi-diktatorischen Vollmachen ausstatten ließ. Die Führungsmannschaft um ihn herum besteht nur noch aus Jasagern, die seine Vision eines nationalistischen Chinas teilen.
Die wirtschaftspolitische Seite des chinesischen Nationalismus ist das Mega-Projekt der Neuen Seidenstraße. Seit 2013 baut die Volksrepublik Straßen, Bahnstrecken, Häfen und Pipelines zwischen Asien, Europa und Afrika. Chinesische Firmen sollen sich so Aufträge sichern und neue Märkte erschließen. Dabei geht es aber auch um die Schaffung von Abhängigkeiten. Können Staaten Kredite nicht mehr zurückzahlen, müssen sie Objekte an Peking verkaufen oder zu niedrigen Preisen Rohstoffe liefern.
Die Visite des Kanzlers ist das falsche Signal. Sie erfolgt zeitlich zu nah an der Inthronisierung Xis zum Hyper-Autokraten. Darüber hinaus wäre es besser gewesen, wenn Scholz in einem EU-Format – zumindest im Tandem mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – in Peking Flagge gezeigt hätte. Es wäre eine Botschaft an die aufstrebende Weltmacht China gewesen: Die wirtschaftlich starke Gemeinschaft der 27 tritt geschlossen auf. Mit der deutschen Solonummer tut der Kanzler den Chinesen einen Gefallen. Auf bilateraler Ebene können sie die Europäer gegeneinander ausspielen.
Scholz folgt damit dem alten deutschen Reflex des Merkantilismus: Die Wirtschaft wird auf Exporte getrimmt – mit dem Ziel einer positiven Außenhandelsbilanz. Geostrategische und machtpolitische Überlegungen werden ausgeblendet. Das ging lange Zeit gut. Deutsche Unternehmen machten glänzende Geschäfte in Fernost. China ist seit Jahren mit einem Gesamtvolumen von zuletzt 246 Milliarden Euro der größte Handelspartner Deutschlands. Von der weltweiten Arbeitsteilung im Zuge der Globalisierung hat auch die deutsche Wirtschaft in hohem Maße profitiert.
Doch der 24. Februar hat in mehrfacher Hinsicht für eine Zeitenwende gesorgt. Der russische Einmarsch in die Ukraine ist nicht nur ein Tabubruch der gewaltsamen Verschiebung von Grenzen. Er ist auch ein Weckruf, dass wirtschaftliche Abhängigkeit in politische Erpressbarkeit münden kann. Die deutsche Konjunktur war jahrelang süchtig nach billigem russischem Gas, bis Kremlchef Wladimir Putin die Energie-Keule einsetzte. Doch die viel größere Gefahr steckt in der ökonomischen Verflechtung zwischen Deutschland und der Volksrepublik. „Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel", warnte Thomas Haldenwang, Präsident des Verfassungsschutzes. Ein Sturm zieht vorbei, der Klimawandelt bleibt.
„Die große wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist spätestens nach den militärischen Drohgebärden Pekings gegenüber Taiwan als gravierendes Problem erkannt und soll möglichst bald reduziert werden", fordert Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Doch die Zahlen weisen genau in die andere Richtung: Die deutschen Direktinvestitionen nach China, die Importe aus Fernost und das deutsche Handelsdefizit erreichten im ersten Halbjahr 2022 ein Allzeithoch. „Sollte es nach einem möglichen Einmarsch Chinas in Taiwan zu umfangreichen Sanktionen des Westens gegenüber China kommen, drohen aufgrund der hohen Importabhängigkeit nicht nur massive Engpässe bei vielen Zulieferungen aus China", mahnt Matthes.
Die deutsche Wirtschaft muss sich nicht von China abkoppeln. Aber sie muss ihr Geschäft mehr diversifizieren – am besten im Gleichklang mit Europa. Das vermindert extreme Abhängigkeiten und macht weniger erpressbar.