Alte Textilien recyceln und daraus neue produzieren? Die Forschung steht hier noch am Anfang. Ein Projekt in Deutschland hat erste Ergebnisse veröffentlicht. Kai Nebel von der Hochschule Reutlingen ist zuversichtlich, doch von Marktreife kann noch nicht die Rede sein.
Herr Nebel, Sie leiten den Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit und Recycling der Hochschule Reutlingen und das Forschungsprojekt Ditex – worum handelt es sich dabei?
Das Projekt ist eine Kooperation von mehreren Instituten sowie Industrieunternehmen. Die Idee war, mit Industriepartnern an recyclingfähigen Textilien zu arbeiten. Wir wissen, dass die Textil-Leasingindustrie für Berufskleidung oder Hotelbettwäsche eine Benchmark für die Kreislaufwirtschaft sein könnte. Im Gegensatz zur Fast Fashion, in der es viele Kollektionen in kurzer Zeit gibt, ist das Leasinggeschäftsmodell auf lang anhaltender Nutzung eines Textils aufgebaut. Je länger es genutzt wird, desto besser das Geschäft. Es braucht also langlebige Textilien mit gleichen Materialien zum einen, zum anderen gibt es bereits gewisse Kreislaufstrukturen: Die Wäsche wird abgeholt, gewaschen, qualitätsgeprüft und wieder zurückgeliefert. Die Forschungsfrage aber drehte sich darum, was mit der Wäsche passiert, wenn sie abgetragen ist. Können wir sie recyceln, trotzdem es sich um gemischte Fasern handelt? Zudem untersuchten wir mit unseren Partnern die Ökobilanzen, um herauszufinden, ob wir nicht mehr Energie und Ressourcen ins Recycling statt in die neue Produktion von Textilien stecken.
Aus welchen Fasern bestehen diese Textilien?
Im Fast-Fashion-Bereich sind oft vier oder fünf Faserstoffe darin verarbeitet. Deshalb wollten wir die Stoffe möglichst einfach halten, sie müssen strapazierfähig, langlebig und qualitativ hochwertig sein. Daher kommen wir um Polyesterfasern leider nicht herum. Polyester lässt sich gut recyceln und hat den Vorteil, dass er außerdem sehr wenig Energie fürs Trocknen nach dem Waschen verbraucht.
Und wer hat die Wäsche in den Versuchen genutzt?
Wir haben einmal ein Polyester-Poloshirt für Rettungsleitstellen und die Feuerwehr entworfen, ein Polizeihemd aus Bio-Baumwolle und Polyester und Leasing-Bettwäsche aus Lyocell und Polyester.
Das heißt, das Forschungsprojekt hat ein Textil entworfen, angefertigt und dann in den üblichen Lebenszyklus übergeben?
Wegen Corona konnten wir zum Beispiel bei der Hotelbettwäsche keinen kompletten Lebenszyklus durchführen, weil die Hotels geschlossen waren, aber zumindest wurde sie dann 100-mal gewaschen, um eine Abnutzung zu simulieren. Parallel gab es die sogenannten Marktdialoge. Dort haben wir uns mit allen Beteiligten ausgetauscht, damit sie aus der täglichen Praxis berichten. So entstanden die Vorgaben für die Textilien, den Schnitt, das Tragegefühl. In Zusammenarbeit mit unseren Industriepartnern haben wir diese dann angefertigt. Natürlich war das Tragen von reinem Polyester, das wir ja häufig in Sportmode finden, den ganzen Tag bei teils körperlicher Arbeit nicht mit dem größten Komfort verbunden. Aber diese Fasern können weiter ausgerüstet werden, zum Beispiel, indem man den Naturfaseranteil etwa von Baumwolle, Zellulose oder Lyocell erhöht.
Wie waren die Ergebnisse? Sind die von Ihnen entwickelten Textilien nachhaltiger, langlebiger, energieärmer im Verbrauch?
Die Bettwäsche beispielsweise hatte die gleiche Haltbarkeit und Akzeptanz. Wir haben auch die Verschlüsse der Bettwäsche vereinfacht, damit das Bettbeziehen schneller geht. Die Wäsche sollte auch beim Mangeln gut trocknen, hier sollte man die Temperatur und die Geschwindigkeit etwas reduzieren. Wir stellten fest, man kann sowohl die Bettwäsche wie auch die Shirts viel öfter als 100-mal waschen. Unsere Qualitätsprüfung hat kaum Qualitätseinbußen festgestellt.
Wie wurden die Textilien danach recycelt?
Chemisch, denn mechanisch funktioniert es nicht. Mechanisch bedeutet, dass die Fasern zerrissen werden, ihre Länge, ihre Haltbarkeit leidet darunter – bei Polyester bedeutet es das Wiedereinschmelzen. Anders beim chemischen Verfahren: Hier werden die Textilien in einem chemischen Bad aufgelöst. Wenn Nähfaden und Knöpfe aus dem gleichen Material sind, kann man dann relativ einfach wieder einen Faden daraus recyceln. Klar ist, es gibt Materialverluste. Deshalb lohnt sich das Textilienrecycling nur in großen Mengen – aus zwei T-Shirts zwei neue T-Shirts recyceln, funktioniert nicht. Wir reden hier über mehrere tausend Tonnen Textilien. Weichmacher, Farbstoffe und so weiter führen zu Ressourcenverlusten. Aber es wird in dem Bereich sehr viel erforscht und publiziert. Technologisch ist chemisches Recycling aber möglich.
Wie genau sieht das chemische Recycling aus?
Chemisch kann ich Polyester in seine Bestandteile zerlegen, entweder in Monomere oder in ganze Moleküle. Ich kann Stör- und Farbstoffe herausfiltern und zurück bleiben Ethylenglykol und Therepthalsäure. Diese kann ich wieder zu einem Polyester chemisch zusammenbauen, in der gleichen Qualität, in der es zuvor vorlag. Baumwolle kann dabei abgetrennt und chemisch aufgelöst, der Zelluloseanteil kann in die Viskose oder Lyocellherstellung zu etwa 30 bis 40 Prozent zugegeben werden.
Polyester-Kleidung hat laut der Wissenschaft einen recht geringen CO2-Fußabdruck im Gegensatz zu Baumwolle, aber wie sieht es in Sachen Mikroplastik-Belastung aus?
Dieses Problem haben wir auf dem Schirm, aber im Projekt Ditex nicht betrachten können. Die generelle Mikroplastikbelastung von qualitativ hochwertigen Produkten ist eher gering. Bei der Herstellung und Veredelung von Polyester tritt Mikroplastik auf, das ist jedoch weitaus geringer als der Abrieb von Autoreifen und Schuhsohlen. Professionelle Wäschereien haben jedoch in der Regel Filter, die den Mikroplastikabrieb durch die mechanische Belastung der Textilie auffangen.
Bei Ditex spielte auch die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Warum?
Die Digitalisierung ist wichtig für die Verfolgbarkeit der Produkte. Kommerzielle Wäschereien müssen wissen, von wem die Textilie ist, wie sie gewaschen werden muss. Wir hatten zum Ziel, eine digitale Signatur zu entwickeln, die auch die Qualität des Produktes anzeigen kann. Dabei hat uns Circular Fashion unterstützt, die auch für Modelabels arbeiten und sie in Sachen textiler Kreislaufwirtschaft beraten.
Ist es also machbar, die Textilwirtschaft auf recyclingfähige Materialien umzustellen?
Ja. Technisch funktioniert es. Die Akzeptanz der Unternehmen für Leasing-Textilien ist hoch. Die Akzeptanz der Träger oder Nutzer ist ebenfalls vorhanden. Wenn wir aber nun auf die Energieeinsparung, auf die Kosteneinsparungen und den CO2-Fußabdruck schauen, lohnt sich Recycling von Kleidung derzeit für die Fast-Fashion-Industrie überhaupt nicht. Es wird häufig überschätzt und als Argument für Greenwashing benutzt, indem aus Plastikmüll Kleidung gemacht wird. Im Umkehrschluss bräuchte ja die Textilindustrie mehr Müll, um mehr Kleidung nachhaltig zu produzieren, das ist natürlich Quatsch. Auch das chemische Recycling trägt nicht zu einer besseren Umwelt bei, gerade weil ich viel Energie und Chemie einsetzen muss, um die Stoffe wieder zu recyceln. Recycling bleibt trotzdem ein wichtiger Faktor in der Textilwirtschaft. Aber eben nur in großen Mengen, die regional wiederverwertet werden, ohne lange Transportwege, und wenn Wäschereien und Recycler mit mehr regenerativen Energien arbeiten.
Ist es ein Argument für den Konsumenten?
Beim Konsumenten ist es noch ein weiter Weg. Häufig zählt hier die Bequemlichkeit, indem alte Kleider weggeworfen und neue gekauft werden. Erfreulicherweise sind immer mehr Kunden bereit, etwas mehr zu zahlen, um umweltschonendere Kleidung zu kaufen. Der öffentliche Dienst könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen und nicht immer das Billigste kaufen, sondern das nachhaltigste Produkt.