Alt ist das neue Neu. Der Secondhand-Trend nimmt immer weiter zu. Dabei nehmen Vintage-Läden eine besondere Rolle ein. Und das hat auch etwas mit der Umwelt zu tun. Vintage ist nämlich nicht nur in – sondern auch nachhaltig.
Paris, London, Amsterdam – Ein neuer Trend breitet sich aus. Sein Motto: „Keep it Vintage". So auch der Name einer der Läden, die in den letzten zwei Jahren in der Saarbrücker Innenstadt aufgeploppt sind. Das große eiserne Namensschild zieht schon von Weitem die Aufmerksamkeit auf sich. Wer das Geschäft betritt, taucht ein in eine andere Welt: Sie ist bunt, sie ist alternativ, sie ist, im Vergleich zu schnelllebigen industriellen Modetrends heute, „slow". Und in Teilen sogar richtig alt.
„Vintage" haben die meisten als Stilrichtung in Mode oder Design schon einmal gehört. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Weinlese. Er heißt so viel wie „erlesen" oder „klassisch" und kann sich auf viele Dinge beziehen. Bei Möbeln meint er beispielsweise alles, was zwischen 1920 und 1980 hergestellt wurde. Vintage-Kleidung ist meistens 20 Jahre alt oder älter. Nicht zu verwechseln mit Retro-Designs, die zwar auf alt getrimmt werden, eigentlich aber neu sind, und schon gar nicht mit Secondhand-Ware neueren Datums. Genau genommen handelt es sich bei Vintage-Kleidern um Secondhand-Produkte der besonderen Art: Teile, die schon einmal im Trend waren und noch so gut erhalten sind, dass sie neu aufgewertet und verkauft werden. Vintage ist also immer auch Secondhand, aber nicht alle Secondhand-Ware gilt als „Vintage".
In den vergangenen Jahren sind „Vintage Kilo Sales" oder „Vino Kilo Events", bei denen Vintage-Mode in angemieteten Locations zu einem Kilopreis verkauft wird, durch die Decke geschossen. Überall in kleineren und größeren Städten ploppen jetzt auch Kleidergeschäfte der ganz anderen Art auf. Und sie scheinen beliebt zu sein. Eine Statista-Umfrage schätzte das globale Marktvolumen von Secondhand-Mode im Jahr 2020 auf 30 bis 40 Milliarden US-Dollar. In Deutschland gaben 2021 44 Prozent der Befragten an, im Vorjahr oder den vergangenen zwölf Monaten mindestens ein Secondhand-Produkt gekauft zu haben. Doch was steckt hinter dem Trend? Und ist es „nur" ein Trend?
Anselm Koch, Anton Makarov und David Bleyer hatten, als sie ihren Laden in der Mainzer Straße eröffneten, vor allem einen Gedanken: „Als wir angefangen haben, ging es uns nur um die Umwelt und nur darum, Gutes zu tun", erklärt Anselm Koch. „Ich hatte wirklich so ein kleines Erwachen, als ich diese Doku „The True Cost" gesehen habe, wo gezeigt wird, was diese Fast-Fashion-Industrie bedeutet und wie viel Kinderarbeit dahintersteckt", fährt er fort. „Es gibt viel mehr Berichterstattung über die Textilindustrie und das Bewusstsein gerade bei den jüngeren Kids verändert sich, beispielsweise auch durch Fridays For Future." Laut der Studie „Fashion 2030" des Wirtschaftsprüfungs-Netzwerks KPMG von 2021 konnten sich Dreiviertel der 500 Befragten in Deutschland vorstellen, nachhaltige Kleidung zu kaufen. 58 Prozent sprachen sogar von recycelter Kleidung.
Mix aus Lifestyle und Konsum
Zwei Ledersessel stehen einladend in einer Ecke, darüber ein gelbes Reklameschild mit dem Schriftzug „Magic": ankommen, chillen, die Magie des Raumes auf sich wirken lassen. Direkt am Eingang rechts findet sich eine kleine Bar-Theke. Im nächsten Sommer soll es dort Erfrischungen geben. In dem Laden gibt es mehr zu sehen als bloß Klamotten. Mit jedem Besuch zeigt sich ein neues Detail. Auf einem schwarzen E-Piano sind T-Shirts von der Band The Grateful Dead, Metallica oder einem Figurenprint von Keith Haring ausgebreitet – Sammlerstücke aus alten Zeiten. An den Wänden hängen selbst geschneiderte Unikate, kein Kleidungsstück gibt es in diesem Laden zweimal. Wer alles entdecken will, muss sich Zeit nehmen. Slow-Fashion eben.
Im Sommer rief „Keep it Vintage" über Instagram zu einem „Mario Kart"-Wettbewerb auf. Das wurde gut angenommen. „Es ist die Nostalgie. Wir haben früher selbst Nintendo 64 gespielt. Die Jugend feiert das auch. Und wir wollen generell ein bisschen mehr anbieten, auch ein Kulturprogramm", erzählt Anselm Koch. Das Konzept funktioniert durch einen Mix aus Lifestyle und Einkaufserlebnis. „Diesen Sommer hatten wir zum Beispiel einen speziellen Iced coffee angeboten. Dieser Kaffee wird über zwölf bis 13 Stunden aufgebrüht. Also Slow Fashion, Slow Coffee, alles, was mit Zeit gereift ist", fügt der Unternehmer hinzu. „Der Trend kam über diese Vintage-Nische. Es hat sich abgehoben von Secondhand, was ja immer so ein bisschen den Touch einer Kleiderkammer für arme Leute hatte", erzählt Anselm Koch weiter. Laut dem Unternehmer erlaubt Vintage-Kleidung eine neue Perspektive auf Secondhand. „Sie macht den Zugang leichter, ohne dass man in eine Ecke gedrängt wird, weil man gebrauchte Kleidung trägt." Mittlerweile käme auch „Otto-Normalverbraucher", wie sein Kollege Anton Makarov erklärt. Allerdings wirft Koch ein: „Bei manchen Leuten ist das Mindset noch nicht wirklich da, ein bisschen mehr für das gute Gewissen zu zahlen. Aber dafür ist es nachhaltig. Bei dem Mainstream-Secondhand-Shopper fehlt das manchmal."
Neue Perspektive auf Secondhand
Denn der Vintage-Trend hat unter Umständen auch seinen Preis. Wer clever kauft, bekommt bei einem Kilopreis mehr für sein Geld. 83 Prozent der Statista-Befragten gaben an, Secondhand- oder Vintage-Kleidung zu kaufen, weil sie günstiger ist. Ein Vintage-Teil von Versace oder Armani kann allerdings auch mal gebraucht 60 Euro kosten. Das ist auch online zu sehen, wo der Trend am stärksten boomt.
Ein ähnliches Konzept verfolgen Simon Richter und Tom Kulla von „Bando". Ihr Vintage-Laden hat seinen Platz im Herzen des Nauwieser Viertels. Im Sommer veranstaltete Bando einen Jahrmarkt mit Musik, Cocktails, Tattoos und natürlich Vintage-Mode. Im Laden finden sich einige Upcycling-Artikel: Aus verschiedenen, noch brauchbaren Textilien designen die jungen Männer neue Einzelteile und verkaufen sie unter ihrer Eigenmarke. Auch hier ist jedes Teil ein Unikat. Von dem Vintage-Konzept werden überwiegend 15- bis 25-Jährige angezogen, erklärt Tom Kulla. Grundsätzlich käme allerdings Kundschaft aller Altersklassen.
Der Laden bietet mehr als Strickpullover, Sweater und Jacken. In einer Ecke steht ein blauer Mini-Kühlschrank. An der Wand hängt eine Preisliste mit Getränken: Es gibt Orangina, Bier, Mate und was das Herz sonst noch begehrt. Die Kundinnen und Kunden sollen sich Zeit nehmen und genießen. Nach hinten geht es durch einen Zwischenraum an einer Musikbox und einer Umkleidenische mit bemalten Wänden vorbei. Dahinter Kleiderstangen voller Jeans, eine Vintage-Couch, ein Sessel und ein Spiegel. An der Decke funkelt ein Sternenhimmel aus Lichterketten, um die sich Efeuattrappen winden. Kleidung und Einrichtung konkurrieren um Aufmerksamkeit.
Kleidung bewusster konsumieren
Auch in diesem Shop ist offensichtlich: Da steckt mehr dahinter. Hier geht es nicht nur um die Klamotten, sondern um ein Lebensgefühl. Simon Richter sieht die Fridays-For-Future-Bewegung ebenfalls als einen Grund für den neuen Trend. „Das geht auch mit diesem Hype um Vintage-Kleidung einher, der gerade aus England kommt. Natürlich auch über das Internet. Das zieht die Aufmerksamkeit der Jugend auf sich. Und das wiederum macht dann erst aufmerksam auf dieses richtige Secondhand. Denn man muss das schon separiert sehen", fügt sein Kollege Tom Kulla hinzu. Dafür spricht auch, dass das Alter klassischer Secondhand-Fans 2021 eher zwischen 35 und 44 Jahren lag, wie Statista herausfand. „In den 80ern hat man schon total viel secondhand gekauft. Und dann wurde das einfach durch Fast Fashion verdrängt. Es gibt immer einen Hype und einen Gegen-Hype. Ich denke, dass in den 90ern und 2000ern einfach so viel Fast Fashion den Markt überschwemmt hat und dadurch Secondhand-Kleidung in Vergessenheit geraten ist", sagt Simon Richter.
Beide bewegt der Nachhaltigkeitsaspekt. „Mein Weg zu Vintage war so, dass ich mir dachte, ich versuche jetzt nachhaltiger zu leben und höre komplett auf, neue Kleidung zu kaufen", so einer der beiden Jung-Unternehmer. Und trotzdem steht der Aspekt für sie nicht im Vordergrund. Ihnen geht es vor allem um Mode und einen bewussteren Konsum. „Unser Verkaufsargument ist nicht, dass wir nachhaltige Sachen verkaufen, sondern dass wir gute Sachen verkaufen und dadurch eben auch ein nachhaltiges Produkt schaffen, was marktwirtschaftlich viel tragbarer ist", erklärt Simon Richter. Trotzdem war laut Statista-Umfrage der Schutz der Umwelt mit 87 Prozent der am häufigsten genannte Grund der Befragten.
Dank des Trends kann allerdings ein gebrauchter Vintage-Artikel heute dasselbe kosten wie ein neuer. Da stellt sich schon die Frage der marktwirtschaftlichen Tragbarkeit. Die beiden Männer sehen die Preisbildung im Vintage-Bereich kritisch. Der Markt sei „völlig kaputt", weil Preise vor allem durch Online-Auktionen mit wohlhabenden Bietenden zustande kämen, die weit über dem realistischen Wert einiger Teile lägen. Doch an dieser Stelle plädieren sie für die Nachhaltigkeit. „Wir verkaufen auch gern mal Sports-Vintage-Artikel oder ein seltenes teureres Stück, um dafür vielleicht jemanden, der sich eher in solchen Kategorien bewegt, auch von gebrauchten Sachen zu überzeugen", so Kulla. Unterm Strich kommt es laut Richter aber nur auf eine Sache an: „Secondhand hat so viele Vorteile, dass du auch einfach sagen kannst, du machst es, weil es nachhaltiger ist. Aber eigentlich machst du es, weil es günstiger ist, weil es cool ist. Aber das ist alles nicht verwerflich. Solange es den guten Zweck verfolgt, ist es total egal."
Nachhaltig, aber nicht CO2-neutral
Doch auch Vintage- und Secondhand-Mode ist bei Weitem nicht emissionsfrei. Woher sie kommt, ist nicht immer klar. So haben einige der begehrten Stücke einen weiten Weg hinter sich, bis sie schließlich in die Läden wandern. Viele Menschen werfen ihre aussortierten Klamotten in Kleidercontainer. Laut der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen werden aber nur fünf bis zehn Prozent der Kleider tatsächlich an Bedürftige weitergegeben. Circa 40 Prozent werden in osteuropäische und afrikanische Länder exportiert. Dort landet die ausrangierte Ware dann beispielsweise auf dem Grand Marché in Lomé (Togo), wo sie von Firmen oder Designern wie Amah Ayivi, die sich auf Vintage- und Secondhand-Mode spezialisiert haben, gekauft und wieder zurück nach Europa verschickt wird. Amah Ayivi verkauft die Ware dann in seiner Pariser Boutique, wie ein „Spiegel"-Beitrag aus dem Jahr 2019 berichtete. Was also zunächst noch als ausrangierte Ware galt, wird kurze Zeit später als modisches, hippes Secondhand-Piece gefeiert. Die Logik dahinter bleibt schleierhaft.
Die Transportwege sind für Konsumentinnen und Konsumenten nicht sichtbar. Doch natürlich mussten nicht alle Vintage-Artikel erst bis nach Togo reisen, um dann wieder zurück nach Europa zu kommen. Viele Vintage-Läden erhalten ihre Ware auch direkt von Textilanbietern in Deutschland oder Europa sowie von Privatpersonen, die ihre Kleidung direkt in den Laden bringen. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, einen guten Fang auf dem Flohmarkt zu machen. „Für uns ist die größte Challenge, die schönsten Sachen für günstige Preise zu bekommen und die richtigen Kontakte zu haben", so Tom Kulla.
Auch wenn die CO2-Emissionen von Vintage-Mode teilweise genauso fragwürdig sind wie die anderer Textilien, ist es immer noch nachhaltiger, Kleidung wiederzuverwenden als sie zu verbrennen – auch wenn sie dafür einmal um die halbe Welt reist. Weltweit wird jede Sekunde eine volle Lkw-Ladung Textilien zur Mülldeponie gebracht oder verbrannt. Vintage-Mode ist also immer noch besser für das schlechte Gewissen als Fast Fashion.
Anselm Koch ist überzeugt: „Einer der einfachsten Wege etwas für die Umwelt zu tun, ist Secondhand-Kleider zu kaufen. Das kann jeder machen. Die Kleidung ist einfach geil. Sie ist individueller, die Qualität von damals war besser." Er glaubt, dass sich der Trend mit der jungen Generation fortsetzen wird. Ob das jetzt an der Nachhaltigkeit oder der Klamotte an sich liegt, bleibt individuell. Hauptsache ist, es nützt dem guten Zweck.