In der EU werden jährlich rund 5,8 Millionen Tonnen Textilien entsorgt – pro Kopf sind das 11,3 Kilogramm. Die europäische Textilstrategie will mehr Nachhaltigkeit in der Kleiderindustrie. EU-Abgeordnete Manuela Ripa (ÖDP) setzt sich ein.
Frau Ripa, achten Sie darauf nachhaltige und fair produzierte Kleidung zu kaufen?
Wenn ich Kleidung für mich und meine Familie kaufe, achte ich möglichst darauf, dass die Kleidung in der EU hergestellt wird. Denn da kann ich mir sicher sein, dass wir höhere Umwelt- und Sozialstandards haben als das zum Beispiel in Drittländern der Fall ist. Nur leider findet man nicht so viel Kleidung, die in der EU hergestellt wird. Ich achte auch auf hochwertige Materialien wie natürliche Fasern aus Baumwolle, am liebsten Bio-Baumwolle. Worauf ich komplett verzichte, sind künstliche Fasern wie Acryl oder Polyamid. Künstliche Fasern sind schlecht für unsere Haut, und natürliche Fasern können viel besser recycelt werden. Außerdem versuche ich, Kleidung möglichst lange zu nutzen und sie auch zu reparieren, anstatt sie immer direkt wegzuwerfen. Und bei meinen Kindern ist es sowieso so, dass die Kleidung weitergegeben wird.
Stichwort Greenwashing – Wie können Verbraucherinnen und Verbraucher sich vor „grünem Betrug" schützen?
Es ist in der Tat so, dass oftmals sehr vage Aussagen über die Umwelteigenschaften gemacht werden, Aussagen über die Lebensdauer von Waren fehlen oder Umweltaussagen nur auf einen Teil des Produktes zutreffen und nicht auf das Gesamtprodukt. Da muss dringend nachgebessert werden. Die Europäische Kommission beabsichtigt, dazu Ende November ein Gesetz vorzulegen, das diese unlauteren Praktiken verbietet, damit Konsumenten, die bewusste Kaufentscheidungen treffen wollen, nicht in die Irre geführt werden.
Die EU-Textilstrategie will Kleidung langlebiger, recycelbar und fairer entlang der gesamten Wertschöpfungskette machen. Wer soll das künftig kontrollieren?
Die Textilstrategie legt die Ziele fest, und ich meine, dass die Kontrollen dann im Lieferkettengesetz zu erfolgen haben. Dieses Gesetz wurde Anfang des Jahres von der Kommission vorgelegt und sieht strengere Kontrollen entlang der Lieferkette vor. Für Übernahme dieser Kontrollen sollen die Mitgliedstaaten nationale Behörden benennen. Also wird es beispielsweise in Deutschland eine Behörde geben, die die Unternehmen beaufsichtigt und die Sorgfaltspflicht sicherstellt sowie bei Nichteinhaltung Geldbußen verhängen kann. Bei der Textilstrategie wird das meines Erachtens im gleichen Rahmen stattfinden.
Über Kunstfasern wie Elastan, die für eine bessere Passform eingewebt werden, gelangt Mikroplastik ins Abwasser und auch die Langlebigkeit der Produkte leidet. Der Trend geht jetzt in Richtung recycelte Kunststofffasern als nachhaltige Alternative. Ist das der richtige Weg?
Die EU sieht in der Textilstrategie viele Maßnahmen vor, was die Anforderungen an und die Gestaltung von Textilien betrifft. Eine dieser Maßnahmen ist, dass Fasern besser recycelt werden sollen. Das Problem etwabei Elastan ist jedoch, dass es gar nicht gut recycelt werden kann. Insbesondere bei Textilien, in denen sehr viele Fasern drin sind, ist das also schwer. Die Kommission will dieses Problem im Rahmen der Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte angehen. Es soll verpflichtende Mindestwerte für die Verwendung von recycelten Fasern in Textilien geben, und Produkte sollen länger nutzbar und leichter reparierbar sein. Es soll außerdem verboten werden, nicht verkaufte Ware zu vernichten. Das ist auch ein ganz großes Problem, insbesondere, weil immer mehr Leute online bestellen und die Ware, die zurückgeht, einfach verbrannt wird. Das Problem der Freisetzung von Mikroplastik möchte die EU angehen, indem die Produkte entweder gar nicht erst so viele Mikrofasern enthalten sollen oder bereits in den Fabriken eine Vorwäsche stattfindet, damit nicht so viele Mikrofasern freigesetzt werden. Das Gute ist: Man hat erkannt, was schiefläuft. Das soll nun mit Designanforderungen für Textilien angegangen werden. So soll auch Grünfärberei bekämpft werden, ebenso wie Überproduktion. Bei all dem muss auch der Verbraucher mitgenommen werden.
Was hat es mit dem digitalen Produktpass auf sich?
Es muss für den Verbraucher klarer erkennbar sein, was er kauft, wie recyclefähig das Material ist und wie es hergestellt wurde. Das wird durch eine klare Kennzeichnung mit Etiketten oder mit dem digitalen Produktpass über Umweltangaben erfolgen.
Glauben Sie, dass die Mehrzahl der Europäerinnen und Europäer darüber nachdenkt, woher ihre Kleidung kommt und unter welchen Umständen sie produziert wurde?
Wenn wir aus dieser Krisenzeit etwas Positives gewinnen wollen, dann, dass uns Krisen aufhorchen lassen. Auch macht uns die Krisenzeit wieder einmal bewusster, dass wir etwas an unserem Verhalten ändern müssen. Gerade die Pandemie hat einen Wertewandel in unserer Gesellschaft ausgelöst, der dazu geführt hat, dass man achtsamer konsumiert. Dazu gibt es verschiedene Studien, zum Beispiel von Greenpeace zum Bewusstsein beim Modekauf. Die Studie zeigt auf, dass ein gegenläufiger Trend stattfindet: Die Leute kaufen weniger, benutzen bereits getragene Kleidung länger und achten auf Nachhaltigkeit. Aus der Studie ging hervor, dass den Menschen die Nachhaltigkeit wichtiger ist als der Preis. Ich setze auch große Hoffnungen auf die junge Generation. Sie geht auf die Straße, um das Klima zu schützen. Gerade Klima- und Umweltschutz ist auch ein ganz wichtiger Beweggrund, um nachhaltiger mit Mode umzugehen. Es gibt immer mehr Trends, die darauf hindeuten, dass man wegwill von der Wegwerfgesellschaft in der Textilbranche. Es gibt zum Beispiel junge Leute, die sich Mode mieten. Die mieten dann eine Jeans und wenn sie kaputt ist, schicken sie sie zurück und kriegen dafür eine neue. Der Trend geht weg vom Kauf hin zu Kleidertauschbörsen oder Secondhandläden. Und ich sehe diesen Trend mittlerweile auch bei großen Modeketten. Es wird immer mehr darauf hingewiesen, dass es sich um recycelte Ware handelt.
Langlebige und im besten Fall nachhaltige Mode ist oft deutlich teurer als die Konkurrenz. Wie kann der Wettbewerb hier – in Zeiten wie diesen, in denen alles teurer wird – zugunsten der Nachhaltigkeit verbessert werden?
Bezahlbare Mode ist ein ganz wichtiger Aspekt. Es stimmt, nachhaltig hergestellte Mode ist teurer. Aber der Trend geht auch dahin, dass wir länger haltbare Mode haben. Wenn wir uns einen nachhaltigen Pulli kaufen, der etwas teurer ist, ist dieser halt nicht schon nach einem Monat kaputt, wie es oftmals bei einem billigeren Produkt der Fall ist. Das Ziel ist doch, dass es gar nicht mehr erforderlich sein sollte, ständig neue Kleidung zu kaufen.
Fast Fashion und Social Media sind unmittelbar miteinander verknüpft. Was bringt eine Textilstrategie, wenn täglich Tausende Influencerinnen und Influencer in Europa Rabattcodes für ihre jungen Followerinnen und Follower bereitstellen und damit für Fast Fashion werben?
Die Kommission hat sich in der Textilstrategie dazu bekannt, dass sie Fast Fashion bis 2030 abschaffen möchte. Dabei setzt sie auf gute Information des Verbrauchers und auf Aufklärung. Sie will den Verbrauchern vermitteln, mehr auf Qualität und Nachhaltigkeit zu achten, als darauf, jeden Tag ein neues Kleidungsstück zu tragen. Ich denke, hier liegt der Schlüssel in der Information. Ich habe eben schon Fridays For Future angesprochen. Wenn die Leute besser darüber informiert werden, was sie da eigentlich kaufen und wie schlecht das ist, dann denke ich schon, dass sie das dazu animiert, mehr auf Qualität, Nachhaltigkeit und Herstellungsbedingungen zu achten. Gerade weil unsere Jugend heutzutage schon so gut informiert ist, sollte sie solchen Influencern, die auf Fast Fashion setzen, gar nicht mehr folgen. Es gibt ja auch immer mehr Influencer, die ehemalige Models sind und jetzt für Secondhand-Kleidung Werbung machen. Man sollte als Influencer natürlich lieber Rabattcodes für nachhaltige Modelabels aussprechen als für Fast Fashion. Aber ich finde, dafür wird gerade schon ein Bewusstseinswandel im Internet angestoßen.