Mittlerweile kennen viele die Bilder von Müllbergen aus Kleidung in Chile und Bangladesch. Landet mehr Kleidung auf dem Müll als getragen wird, läuft etwas schief. Die Textilstrategie der EU steuert der viertgrößten Umweltbelastung entgegen.
Unsere Welt ist schnell – schnelle Autos, schnelles Essen, schnelle Mode. „Fast Fashion" bezeichnet Kleidung aus günstiger und schneller Produktion, die darauf ausgerichtet ist, dass Konsumentinnen und Konsumenten möglichst oft neue Kleidung kaufen. Neue Trends und Kollektionen gelangen immer schneller und in kürzeren Abständen auf den Markt. Zwischen 2000 und 2015 hat sich die Textilproduktion weltweit verdoppelt. Kleidung im Überfluss, in Zahlen: 60 Kleidungsstücke kauft sich im Schnitt jede Person in Deutschland pro Jahr, so die Umweltorganisation Greenpeace. Dies führt zu 5,8 Millionen Tonnen an entsorgten Textilien in Europa jährlich. 80 Prozent der global anfallenden Kleidung wird verbrannt oder landet auf Mülldeponien.
Die Textilindustrie ist so nicht nur die viertgrößte Ursache von Umweltbelastung und Klimawandel verantwortlich, sondern auch eine der drei größten Belastungen für Wasser- und Landressourcen sowie eine der fünf größten Belastungen im Bereich Treibhausgasemissionen und Rohstoffnutzung, sagt die EU: Der Anbau von einem Kilogramm Baumwolle benötigt circa 200 Badewannen voll Wasser. 14 Prozent des Insektizidmarktes und fünf Prozent des Pestizidmarktes entfallen auf den Textilbereich. Schätzungsweise 80 bis 400 Tonnen Mikroplastikpartikel gelangen jährlich über das Waschen von Kleidung in die Meere. Dazu kommen in vielen Ländern wie Bangladesch, Indien und China unmenschliche Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit. Die Textilindustrie hat viele Leichen im Keller – und das ist auch der Europäischen Kommission klar. Deshalb hat sie im Rahmen des Europäischen Green Deals die europäische Textilstrategie verabschiedet. Sie soll die Textilindustrie von Kopf bis Fuß umkrempeln: mehr Nachhaltigkeit, mehr Transparenz, bessere Qualität, langlebigere Nutzung, Reparierbarkeit, weniger Mikroplastik, Ressourcenschonung, Schutz vor „Grünfärberei". In der Europäischen Woche der Abfallvermeidung vom 19. bis zum 27. November liegt der Schwerpunkt deshalb auf Textilien und einem ressourcenschonenden Umgang damit.
Eine Konsumkultur an ihren Grenzen
Die Kleiderindustrie kann es sich nicht mehr leisten, Nachhaltigkeit nicht länger zu berücksichtigen. Denn das Bewusstsein der Kundinnen und Kunden hat sich verändert. Fast-Fashion-Marken wie H&M und Zara werben mittlerweile mit eigenen Nachhaltigkeitskollektionen. Doch ist dem zu trauen? Oder ist es Greenwashing, also das Freikaufen von Verantwortung? Daneben boomt der Slow-Fashion-Trend, der den Umgang mit Mode bewusst entschleunigen und Kleidung wieder mehr wertschätzen will, mit besseren Bedingungen für Mensch und Natur. Alt ist das neue Neu – Secondhand- und Vintage-Kleidung erleben eine Renaissance. Aber geht es dabei um die Umwelt oder darum, cool zu sein? Oder doch beides? Und was ist eigentlich mit Sozialkaufhäusern, die es schon viel länger gibt als moderne Vintage-Läden? Bei ihnen steht zwar nicht der Umweltschutz im Vordergrund, aber sie bedienen einen weiteren wichtigen Aspekt der Nachhaltigkeit: die soziale Komponente.
Wer Ressourcen schonen und Mode langlebiger machen will, kommt an Recycling nicht vorbei. Derzeit wird laut EU weltweit weniger als ein Prozent des zur Herstellung von Kleidung verwendeten Materials in neuer Kleidung recycelt. Nur rund 20 Prozent der Kleidung durchläuft den Prozess des Downcyclings und wird zu Putzlappen, Dämmstoffen oder Ähnlichem verarbeitet. Da geht noch mehr, denn Möglichkeiten gibt es. Doch wann genau gilt etwas als recycelt? Und was unterscheidet Upcycling von Downcycling?
Ein Berg von Problemen und Fragen und eine Strategie, die sich zum Ziel gesetzt hat, diesen Berg zu bewältigen und Fast Fashion bis 2030 abzuschaffen. Kleidung ist nicht nur Teil des Alltags, sie ist auch Teil von Kultur. Für manche hat sie einen praktischen Nutzen, für andere ist sie Ausdruck ihrer Identität. Die Mode geht bekanntlich mit der Zeit. So verwundert es nicht, dass auch die Textilindustrie von Inflation, Krieg und Klimakrise nicht unberührt bleibt. Mode ist Konsum und nach dem Dafürhalten der EU auch Verschwendung. Die Frage ist jedoch: Kann sie noch mehr? Schafft Kleidung einen neuen Zugang zu Umweltschutz?