Die Bundesregierung will die Windkraft massiv ausbauen. Doch wohin mit ausrangierten Anlagen? Die Branche steht vor einem massiven Müllproblem – aber auch vor möglichen Lösungen.
Eine Fabrikhalle in Bremen. Auf einem Haufen stapelt sich das, was einmal ein Windrad war. Ein Bagger fährt heran, um zersägte Rotorblätter in einen containergroßen Schredder zu hieven. Es rasselt und klackert, bevor die zerkleinerte Masse über ein Förderband läuft. Danach schlagen Eisenketten so lange auf die Plastikteile ein, bis nur noch Fetzen übrigbleiben. So sieht es aus, wenn ein Windrad-Leben zu Ende geht.
„Wir machen die Teile so klein, dass man sie später bei der Zementherstellung zusetzen kann", sagt Stefan Groß, Betriebsleiter der Bremer Entsorgungsfirma Neocomp, die sich auf die Verwertung ausgedienter Windräder spezialisiert hat. Obwohl die Anlagen deutlich länger laufen könnten, landen einige von ihnen schon nach 20 Betriebsjahren auf dem Schrott. Dann nämlich läuft der staatlich garantierte Stromabnahmepreis (EEG-Förderung) aus und eine große Inspektion steht an. Für Betreiber lohnt es sich mitunter mehr, die Windräder abzubauen und ihre Rohstoffe zu verkaufen.
Ein paar hundert Windräder landen so jedes Jahr auf dem Schrott – wie viele es genau sind, ist nicht bekannt, da keine Meldepflicht besteht. Wird eine Anlage nicht mehr gebraucht, rückt die Firma Neocomp mit schwerem Gerät an, reißt den Turm ab und sprengt den Betonsockel. Noch vor Ort werden die riesigen Flügel zersägt, bevor sie zum Schredder transportiert werden. „Danach säen wir neuen Rasen", sagt Groß. „Zwei Wochen später sieht niemand mehr, dass da mal ein Windrad stand."
Es ist kompliziert, aber möglich
Während sich die Beton- und Metall-Komponenten des Turms gut wiederverwerten lassen, haben es die bis zu 65 Meter langen Rotorblätter schwerer. Sie bestehen aus glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK), die miteinander verklebt sind. Dazwischen befinden sich meist Kunststoffschäume oder ein besonders leichtes Balsaholz, das auf Plantagen in Ecuador und Papua-Neuguinea wächst. Alle Komponenten wieder voneinander zu lösen, ist kompliziert und aufwendig. „Ich vergleiche das gerne mit einem Kuchen", sagt Betriebsleiter Groß: „Da sind Eier drin und Mehl und Zucker und Backpulver. Versuchen Sie mal, das nach dem Backen wieder zu trennen."
Die billigste, aber am wenigsten nachhaltige Lösung: gar nichts machen. In den USA landen ausrangierte Rotorblätter meist auf der Deponie. Mancherorts werden sie auch einfach vergraben oder auf Feldern liegen gelassen. Echtes Recycling – alte Flügel zu neuen machen –
findet im industriellen Maßstab bisher nirgendwo statt. So landen die Flügel früher oder später in der Zerkleinerungsmaschine in Bremen. Rund 12.500 Tonnen GFK-Material fallen dort jedes Jahr an – das Gros aller ausrangierten Windräder in Deutschland.
Hat die Wind-Industrie hier zu kurz gedacht und die Entsorgung schlicht vergessen? Dass ausgerechnet eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Branche vor einem massiven Müllproblem steht, macht nach außen jedenfalls keinen guten Eindruck. Dem Bundesverband Windenergie scheint die Sache ebenfalls unangenehm. „In Zukunft soll Recycling schon beim Design der Anlagen mitgedacht werden", beteuert Geschäftsführer Wolfram Axthelm.
Das Problem: So einfach lassen sich die bisher verwendeten GFK-Materialien nicht ersetzen. „Diese Rotorblätter sausen mit 200 Kilometern pro Stunde durch den Regen", sagt Peter Meinlschmidt, Diplomphysiker am Fraunhofer-Institut für Holzforschung WKI. „Sie sind ständig den Elementen ausgesetzt und müssen daher wirklich stabil sein." Deshalb konzentriert sich Meinlschmidt in seiner Forschung darauf, wie sich die derzeit verwendeten Baumaterialien möglichst gut trennen lassen. Und siehe da: Es geht.
Ende 2021 wagten Meinlschmidt und andere Forschende ein Experiment. Per Hochdruckstrahler schnitten sie aus einem abmontierten Flügel ein Stück heraus und jagten es durch einen sogenannten Zwei-Wellen-Schredder. Das containergroße Gerät funktioniert wie ein riesiger Aktenvernichter. Es zieht das zu zerkleinernde Material mit zwei gegenläufigen Messern in sich hinein. „Dabei haben sich die Materialien automatisch voneinander getrennt", sagt Meinlschmidt. „Ich hätte selbst nicht gedacht, dass es so einfach ist." Und warum macht es dann niemand? „Die Entsorgungsfirmen haben Millionen in ihre aktuelle Technik investiert", mutmaßt der Wissenschaftler. „Die stellen nicht einfach alles um."
Manche steigen sogar komplett aus dem Geschäft aus. So etwa der französische Veolia-Konzern, der auch in Deutschland aktiv ist. Auf Nachfrage räumt ein Sprecher ein, dass die Firma diesen Service gar nicht mehr anbietet: Es habe sich schlicht nicht gelohnt.
Komplett tot ist die Idee trotzdem nicht. In Aschersleben (Sachsen-Anhalt) stellt die Firma Novotech seit 2021 eine Terrassendiele her, die aus recyceltem glasfaserverstärkten Kunststoff besteht. „Mit unserer Technologie können wir das Material dauerhaft in den stofflichen Kreislauf zurückführen", schwärmt Inhaber Holger Sasse. Sollten die Terrassendielen einmal entsorgt werden, könne man sie nochmals recyceln. „Wir haben schon mehrere Hunderttausend Dielen verkauft", sagt Sasse.
Wie viel des verwendeten GFKs tatsächlich aus Rotorblättern stammt, verrät der Unternehmer nicht. Immerhin stecken die Verbundstoffe auch in anderen Produkten, zum Beispiel in Segelflugzeugen oder Motorbooten. „Wir bauen gerade eine Kapazität von 15.000 bis 20.000 Tonnen pro Jahr auf", sagt Sasse – das wäre mehr als alle Rotorblätter zusammen, die jährlich in Deutschland anfallen. Der Bundesverband Windenergie ist dementsprechend skeptisch: „Unter Laborbedingungen klappt das sicher. Aber eine solche Weiternutzung hat natürlich ihre Grenzen."
EEG-Förderungen laufen aus
Was zur nächsten großen Unbekannten führt: der tatsächlichen Anzahl von Windrädern, die in den kommenden Jahren auf dem Müll landet. Seit Jahren geht in der Branche die Befürchtung um, dass massenhaft Windräder verschwinden, sobald ihre EEG-Förderung ausläuft. Durch den staatlich garantierten Strom-Abnahmepreis wollte der Staat die Windbranche anschieben. Nach 20 Betriebsjahren läuft die Subvention aber aus: Die Betreiber müssen sich an den regulären Strompreisen orientieren, die in der Vergangenheit deutlich unter der EEG-Förderung lagen. Manche haben ihre Anlagen deshalb lieber nach Osteuropa verkauft oder komplett verschrottet.
Ein Windrad abzubauen und zu entsorgen, ist nicht billig. Kran, Personal, Transport: Bei Neocomp in Bremen kostet das Komplettpaket für ein 100-Meter-Windrad über 100.000 Euro. Aber: Die Windpark-Betreiber erhalten ebenfalls Geld, und zwar für die Rohstoffe. Das Metall eines 220-Tonnen-Turms bringe derzeit etwa 94.000 Euro an Einnahmen, rechnet Neocomp-Betriebsleiter Stefan Groß vor. Aus rein finanzieller Sicht kann eine Demontage also durchaus Vorteile haben. Denn ein aktives Windrad bringt zwar Stromeinnahmen, aber auch mögliche Verluste durch Wartung und Reparaturen. Ein Verkauf ins Ausland schafft hingegen zusätzliche Einnahmen.
Mit den zuletzt sprunghaft gestiegenen Strompreisen hat sich das (Rotor-)Blatt aber wieder gewendet: Plötzlich lohnt es sich wieder, alte Windparks weiterlaufen zu lassen. Zumal die Bundesregierung erneuerbare Energien stark ausbauen möchte. Was all das für die Windkraft bedeutet, lässt sich bislang nur erahnen: Entstehen nun schnell neue Anlagen? Lenken Bundesländer wie Bayern ein, in denen bisher rigorose Abstandsregeln gelten? Und was bedeutet dies für bestehende Windräder: Laufen sie erst mal weiter oder werden sie durch neue Modelle ersetzt, die dreimal so viel Leistung bringen („Repowering")?
So oder so wird in den nächsten Jahren viel Abfall anfallen. Ob die Mehrheit der Flügel im Zementwerk landet, als Terrassendielen weiterlebt oder eine ganz neue Lösung entsteht, weiß aktuell niemand. Peter Meinlschmidt, der Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut, wagt aber seine ganz persönliche Prognose: „Irgendwann", sagt er, „können wir 98 Prozent aller Rotorblätter recyceln."