Bei den Füchsen Berlin passte einfach alles, doch eine schwierige Personalentscheidung bringt den Titelkandidaten aus dem Konzept. Torjäger Hans Lindberg muss zum Saisonende gehen, die Art und Weise der Entscheidung sorgt für Verstimmung.
Bob Hanning geriet regelrecht ins Schwärmen. „Mit Hans zu verlängern macht immer Spaß", sagte der Geschäftsführer der Füchse Berlin: „Hans ist für den Verein mehr als ein Spieler. Er ist für uns eine Identifikationsfigur geworden, der wie kaum ein anderer Sportler Werte lebt." Und Sportvorstand Stefan Kretzschmar verglich den Ü40-Handballer Hans Lindberg nach der Vertragsunterschrift mit einem „guten Wein", der „jedes Jahr noch besser" werde. Diese Aussagen sind gerade mal fünf Monate alt – und doch schon aus der Zeit gefallen. Schon früh in der aktuellen Saison entschieden Hanning und Kretzschmar, dass sich die gemeinsamen Wege im kommenden Sommer nach sieben Jahren trennen. Weil sie eben doch nicht glauben, dass Lindberg noch besser werden kann. Der reagierte empört, warf den Bossen sogar unredliches Verhalten vor.
Schlammschlacht soll vermieden werden
Der Club ist bemüht, eine unwürdige Schlammschlacht mit dem Publikumsliebling zu vermeiden. Doch das Thema bringt Unruhe in die Kabine und könnte die Titelambitionen gefährden. Die unerwartete 27:32-Niederlage beim bis dahin punktlosen Schlusslicht aus Minden sollte allen eine Warnung sein. Dass Lindberg in der 23. Minute wegen eines Fouls die erste Rote Karte seiner langen Bundesligageschichte kassierte, passte ins Bild.
„Ich war selbst ein wenig überrascht. Ich habe die Informationen von der dänischen Presse bekommen, dass ich ab nächsten Sommer hier nicht mehr spielen soll und dass jemand anderes geholt wird", sagte der Däne bei Sky und wetterte: „Das ist ärgerlich. Jeder Verein kann ja planen, wie er will. Aber ich hätte gerne die Information vom Verein selbst." Daraufhin habe er die Verantwortlichen gefragt, ob das stimme, berichtete der Welt- und Europameister, „und es war richtig". Sein Aus in Berlin hatte Lindberg kurz zuvor schon beim dänischen Sender TV2Sport öffentlich gemacht und seinem Frust freien Lauf gelassen. „Ich bin derjenige, der im Moment die meisten Minuten in der Mannschaft spielt. Und es ist erst zwei Monate her, dass wir über eine Verlängerung des Vertrages um ein Jahr gesprochen haben", sagte er: „Deshalb bin ich ein wenig überrascht, dass diese Ankündigung so plötzlich kommt."
Nach Lindbergs Angaben sei er von den Club-Bossen im Trainingslager vor der Saison gefragt worden, „ob ich mir vorstellen kann, noch ein Jahr weiterzuspielen", berichtete Lindberg, „da habe ich gesagt: Ja". Die Absprache sei daraufhin gewesen, sich etwas später noch mal auszutauschen. Der Rechtsaußen war damit einverstanden, er verlangte aber wegen seiner Familie Planungssicherheit bis Dezember. Die hat er nun deutlich früher erhalten – wenn auch nicht in seinem Sinne und ganz sicher nicht in der Art und Weise, wie er es sich vorgestellt hat.
Die Club-Verantwortlichen wurden von ihrem langjährigen Führungsspieler also indirekt des Wortbruchs angeklagt. Ein Vorwurf, den sie so nicht stehen lassen wollten. Laut Sportvorstand Kretzschmar habe Lindberg den Wunsch nach einer Vertragsverlängerung von sich aus geäußert, konkret gesprochen worden sei jedoch nicht. Diese Version wird – wenig überraschend – auch von Hanning geteilt. „Mir ist wichtig festzuhalten, dass es zu keiner Zeit ein Angebot für Hans Lindberg für die neue Saison gab", betonte der Geschäftsführer. Doch sowohl Hanning als auch Kretzschmar können Lindbergs Frust nachvollziehen, „weil er ja immer noch Spieltag für Spieltag abliefert", wie Kretzschmar feststellte. Nach zehn Ligaspielen ist der Torschützenkönig der Vorsaison mit 55 Treffern erneut teamintern die klare Nummer eins, auch seine Nervenstärke vom Sieben-Meter-Punkt brauchen die Füchse nach wie vor. „Er ist eine absolute Konstante, so gut wie nie verletzt und einer, der immer alles reinhaut", sagte Kretzschmar und gab zu: „Es gibt aktuell keine sportliche Begründung."
Dafür gibt es aber kaderplanerische Gründe. „So eine Entscheidung bedarf mehrerer Blickwinkel", deutete Trainer Jaron Siewert an, „auch wenn es jetzt sportlich gesehen nicht so nachvollziehbar ist". Im Team soll zum einen Lindbergs fast 20 Jahre jüngerer Backup Valter Chrintz, der kürzlich seinen Vertrag bis 2026 verlängerte, mehr Spielzeit erhalten. Doch das schwere Lindberg-Erbe wird nicht nur dem schwedischen Nationalspieler anvertraut: Nur wenige Tage nach dem Bekanntwerden des Abschieds gaben die Füchse die Verpflichtung von Hákun West av Teigum bekannt, der auf der Rechtsaußen-Position zu den Top-Talenten in Europa zählt. Der 20-Jährige kommt im nächsten Sommer vom dänischen Club Skanderborg-Aarhus, aktuell Gruppengegner der Füchse in der European League.
„Ein Signal für die Zukunft"
Die Verpflichtung sei „ein Signal für die Zukunft", meinte Kretzschmar, der seinen absoluten Wunschspieler schon „längere Zeit" beobachtet habe und „beeindruckt von seinen technischen Fähigkeiten als Rechtsaußen" sei. „Ich bin der festen Überzeugung", sagte der frühere Weltklasse-Linksaußen, „dass er uns im Duo mit Valter Chrintz in Zukunft viel Freude bereiten wird". Das erhofft sich auch Trainer Siewert, der sich auf „einen jungen und dynamischen Spieler" mit großem Entwicklungspotenzial freut: „Ich bin mir sicher, dass wir mit ihm einen hungrigen Spieler verpflichten, der den Konkurrenzkampf auf der Position annehmen wird." Wie gut der junge Mann von den Färöer Inseln schon jetzt ist, deutete er im direkten Europacup-Duell mit den Füchsen in dieser Saison bereits an.
Und Lindberg? Der ist sauer, versucht die Situation aber professionell anzugehen. „Da steht nichts zwischen ihm und mir oder ihm und der Mannschaft", sagte Trainer Siewert, der auch ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Führungsspieler geführt hat. Er versicherte: „Hans ist ein extrem wichtiger Baustein der Mannschaft." Auch für die drei anderen Dänen bei den Füchsen, für die der Abgang ihres Landsmannes und ihrer Vertrauensperson Nummer eins im Team ebenfalls ein Schock gewesen sein dürfte.
Hanning weiß, dass die Personalie Lindberg ein Politikum ist. Deswegen ist er um Diplomatie bemüht. „Seine Erfolge und die Leistungen, die er seit Jahren für die Füchse Berlin zeigt, sind für mich herausragend", meinte der Geschäftsführer. Aus diesem Grund habe man sich auch entschieden, Lindberg schon in dieser Saison in die „Hall of Fame" aufzunehmen und „sein Trikot unter die Hallendecke im Fuchsbau zu hängen". Aber ob sich damit die Wogen glätten lassen? Hanning hofft auf ein versöhnliches Ende einer Erfolgsgeschichte – für beide Seiten. „Die Füchse Berlin und Hans Lindberg haben über viele Jahre sehr wertschätzend voneinander profitiert, und ich bin mir sicher, dass dies auch in Zukunft sowie auch über die Vertragslaufzeit hinaus so bleiben wird", sagte er. Der Fokus müsse dafür aber weg von der Einzelperson Lindberg wieder hin zur „erfolgreichen Arbeit der Mannschaft" gelegt werden.
Auch Lindberg will allem Frust zum Trotz den Erfolg nicht gefährden. Er wolle sich mit einem Titel verabschieden, „deswegen kämpfe ich jeden Tag im Training". Nun vielleicht sogar noch härter, um den Verantwortlichen zu zeigen, dass sie eine falsche Entscheidung getroffen haben. Sein Plan sah eigentlich vor, noch zwei Jahre in Berlin weiterzuspielen, wo seine zwei Söhne zur Schule gehen. Nun muss er umdenken. „Das Einzige, was sicher ist, ist, dass es nicht Berlin ist." Er wolle seine Karriere gerne fortsetzen, „die Frage ist nur wo". Dänemark läge nahe, aber auch die Bundesliga wäre reizvoll. Hier jagt Lindberg (2814 Tore) den Allzeittorrekord des Koreaners Yoon Kyung-shin (2905).