Trotz vieler Bemühungen dürfte Deutschland die eigenen Klimaziele bis 2030 nur schwerlich erreichen. Dabei sind die wichtigsten Stellschrauben eigentlich bekannt, sagt Prof. Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrates der Bundesregierung für Klimafragen.

Herr Prof. Henning, die vorgegebenen Klimaziele sind in den kommenden acht Jahren nicht mehr zu erreichen, woran liegt das?
Schuld daran ist die Verbrauchsentwicklung in allen Bereichen. Zwar gab es bis vor gut zehn Jahren ein Absinken der Verbräuche, aber dieser Trend stagniert seitdem. Die jährlich erzielte Minderungsmenge müsste sich im Vergleich zur historischen Entwicklung der letzten zehn Jahre mehr als verdoppeln. Das heißt, laut unserer Studie müsste im Industriesektor etwa die zehnfache, im Verkehr sogar die 14-fache Menge an Energie, wohlgemerkt, pro Jahr, eingespart werden, damit wir die Vorgaben für 2030 schaffen können. Doch das ist derzeit beinahe nicht mehr zu schaffen.
Aber es sind doch erhebliche Mengen an Emissionen in den letzten 20 Jahren eingespart worden?
Das ist richtig, zwischen dem Jahr 2000 und heute sind die Emissionen um gut 26 Prozent gefallen. 90 Prozent dieser Einsparungen der Klimagifte sind in vier Sektoren, der Energiewirtschaft, Industrie, Gebäudewirtschaft und Verkehr zu verzeichnen. Wobei hier die Energiewirtschaft zum größten Teil dieser Einsparungen beigetragen hat mit über 36 Prozent. Direkt dahinter kommt die Gebäudewirtschaft mit 35 Prozent. Dagegen schneiden bei diesen Einsparungen Industrie und Verkehr, wie die Zahlen deutlich zeigen, mit wesentlich weniger Einsparungen ab.
Wie kommt es, dass gerade das Wohnen bei der CO2-Reduktion gegenüber dem Verkehr so exorbitant gut abgeschnitten hat?
Mit den steigenden Energiekosten und den diversen Programmen der Bundesregierungen zur energetischen Sanierung von Wohngebäuden sind innerhalb von 20 Jahren die Energiekosten in diesem Segment um mehr als ein Viertel runtergegangen. Allerdings muss man hier einschränken: In der ersten Phase, also bis 2010, ging der Verbrauch pro Kopf runter, doch seitdem stagniert diese Entwicklung. Grund dafür ist, dass die Pro-Kopf-Wohnfläche zugenommen hat. Die Menschen wohnen vermehrt auf größeren Flächen. Ein Anreiz dazu sind Energieeinsparungen, durch die die Nebenkosten für Energie gesunken sind. Doch mehr Wohnfläche heißt im Umkehrschluss, dass der Energieverbrauch dann auch wieder steigt. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch den Umstand, dass von 2000 bis 2010 die Energiepreise stark gestiegen sind, doch dann, bis vor zwei Jahren, sind die Energiepreise exorbitant gesunken. Das hat diese anfangs positive Entwicklung aus Sicht des Klimas dann konterkariert.

Das heißt dann umgekehrt, die derzeit explodierten Energiepreise sind ein Booster für sinkende Energie-Verbräuche gerade im privaten Wohnbereich?
Tatsächlich haben wir in unserer Studie beobachtet, dass es bei stark steigenden Energiepreisen eine massive Reduktion der Verbräuche gegeben hat. Daraus schlussfolgern wir, dass es eine ähnliche Entwicklung auch in diesem Winter und danach geben wird. Doch wie stark diese sein wird, können wir als Expertenrat derzeit überhaupt nicht voraussagen, also ob wir in den kommenden Monaten einen erneuten Minderverbrauch wie in den Spitzenzeiten von über 30 Prozent an Energie haben werden. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat das Ziel von 20 Prozent bei den Privat-Verbräuchen ausgegeben. Ich halte das für möglich.
Aber das heißt doch im Umkehrschluss, dass die Preisbremsen für Gas, Strom oder Fernwärme diesen Klimazielen zuwiderlaufen?
Genau das ist ja die Aufgabe für die Regierung, Klimaziele erreichen, aber das muss dann sozial gestaltet werden. Ich bitte um Verständnis, es ist nicht unsere Aufgabe als Expertenrat, der Regierung hier Ratschläge zu erteilen. Wir können nur aus den vergangenen Entwicklungen Schlüsse ziehen und dann Empfehlungen abgeben. Aber sie haben nicht ganz Unrecht, dass eine solche Deckelung der Energiepreise den Effekt des Einsparens dämpfen könnte. Beide Themen laufen bezüglich des Klimaschutzes nicht ganz parallel und das ist jetzt die Aufgabe der Politik, diesen Widerspruch zu lösen. Ich will das jetzt hier nicht beurteilen, inwieweit das bisher der Bundesregierung gelungen ist, aber wir werden das selbstverständlich weiter beobachten.
Weiterer Punkt zur Emissionsreduktion ist der Verkehrssektor, den wir Bürger mitbestimmen können. Ist da die Elektromobilität das Allheilmittel?
Nein, sicherlich nicht, denn dafür muss ja auch sehr viel Energie aufgewendet werden, um diese überhaupt zu ermöglichen. Da müssen zum einen die Fahrzeuge erstmal gebaut werden, die dann auch wieder Strom verbrauchen, der erstmal hergestellt werden muss. Der Bau der Produktionsanlagen für erneuerbare Energie verbraucht auch wieder wertvolle Ressourcen, die irgendwo hergeholt werden müssen. Denn jedes Windrad, jede Fotovoltaik-Anlage bedeutet auch, hier wird erstmal viel Energie gebraucht, damit sie dann klimaneutrale Energie liefern können.

Also weniger ist in jedem Fall mehr, was dann auch auf den Flugverkehr zutreffen dürfte?
Selbstverständlich, aber die innerdeutschen Flugreisen machen einen ganz geringen Teil der klimaschädlichen Emissionen aus, der europäische Flugverkehr ist durch den Emissionshandel abgedeckt. Im internationalen Flugverkehr gibt es weiterhin keine einheitlichen Emissionserhebungen, das können wir aufgrund der Datenlage also auch gar nicht beurteilen.
Aber hier vor Ort, im Verkehr, ist für uns in Deutschland der Pkw-Sektor der, in dem wir tatsächlich handeln müssen und auch wirklich etwas erreichen können. Es bringt ja auch nichts, dass ein Pkw für fossile Brennstoffe in Deutschland produziert wird, hier nicht mehr verkauft werden darf, aber dann irgendwo in einem anderen Teil der Welt rumfährt. Das Weltklima ist ein geschlossenes System, da geht es nicht um nationale Statistiken, sondern den Klima-Effekt im Ganzen.
Neben Verkehr und Wohnen produzieren wir Menschen sehr viel Müll. Hilft Recycling da tatsächlich der Umwelt?
Ja, das hilft auf jeden Fall, wobei ich Ihnen jetzt nicht dezidiert sagen kann, wieviel CO2 das tatsächlich einspart, dazu gibt es tatsächlich keine verlässlichen Zahlen. Aber eines ist doch ganz klar: Alles, was nicht auf der Müllhalde oder in den Verbrennungsanlagen landet, ist ein Gewinn für die Umwelt. Weniger Mülldeponien bedeuten doch zum Beispiel weniger Methan-Ausstoß, ganz abgesehen von den Schwermetallen, die im Boden versickern. Alles Wiederverwertete spart dann auch Ressourcen und schont die Umwelt.