Die Wilco Design GmbH hat sich einer ganz eigenen Form des Recyclings verschrieben: Das Team arbeitet ausgediente Flugzeugteile auf und designt sie zu einzigartigen Möbelstücken um.
Links eine Fünferreihe mit Aussichtsfenstern, durch die man jedoch nur eine Holzwand sieht und nicht auf Honolulu hinabblickt. Rechts die Tragfläche eines Flügels, der aber nicht für einen sicheren Transport durch die Luft sorgt, sondern auf den man Papiere auslegen oder seinen Longdrink stellen kann. Geradeaus steht eine Dreierbank mit edlen Sitzen aus Leder. Auf diesen sitzt man aber nicht auf dem Weg nach Canberra, sondern kann warten, bis sich die Mitarbeiter der Wilco Design GmbH um die individuellen Wünsche der Kunden kümmern.
Es sind Schmuckstücke und Kunstwerke zugleich, die den Empfangsraum des Unternehmens in Marpingen im Nordsaarland schmücken. Und sie stammen von echten Flugzeugen. Die Fünferreihe Aussichtsfenster beispielsweise, die nun zu einer Theke verarbeitet wurde, entstammt einer ATM 42, wie Julian Schneider erklärt. Er ist mit Marius Krämer einer der beiden Geschäftsführer der 2013 gegründeten Firma und weiß im Grunde bei fast jedem Teil, zu welcher Maschine es einst gehörte. Das Flugzeug ATM 42 war ein Turboprop-Regionalverkehrsflugzeug des französisch-italienischen Herstellerkonsortiums Avions de Transport Régional – nun wurde eine Holzplatte auf die Fensterreihe montiert, und diese steht als Theke in Diensten von Wilco Design.
Kritischer Blick bereits bei Auswahl
Das ist natürlich stark vereinfacht ausgedrückt, denn bevor die Stücke, die unter dem Label flugzeugmoebel.de veräußert werden, auf den Markt kommen, werden sie selbstverständlich richtig designt. Dabei ist dem Unternehmen etwas besonders wichtig, wie Julian Schneider erläutert: „Bei unseren Möbeln achten wir darauf, dass beim Einbetten in den neuen Kontext der ursprüngliche Charakter und die prägnante Form des Flugzeugteils erhalten bleiben.“ Zudem wird auch darauf geachtet, kein Teil einzusetzen, das noch für den Flug geeignet wäre und weiterhin in der Luftfahrt eingesetzt werden könnte. „Unserer Meinung nach sollte alles, was noch fliegen kann, so lange wie möglich in der Luft bleiben“, erklärt er.
Bereits bei der Auswahl der Teile werde mit kritischem Blick geprüft, welche Baugruppen sowohl den eigenen als auch den Qualitätsansprüchen der Kunden genügen. So werden aus unterschiedlichen Flugzeugteilen ungewöhnliche Designmöbelstücke – und zwar solche mit einer besonderen Geschichte und einem außergewöhnlichen Charme, die besondere Akzente in Wohnzimmern, Küchen oder Fluren setzen. Wer kann etwa schon sagen, ein Stück eines Airbus A324 in seiner Wohnung zu haben? Der Raumteiler im Büro von Wilco Design war sogar als Teil einer Douglas DC-3 in der Luftbrücke dabei, mit der nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Amerikaner die Bürger Berlins mit Nahrung versorgten. „Jeder verbindet unterschiedliche Emotionen mit den Teilen“, sagt er.
Wichtig ist Julian Schneider auch zu betonen, dass man niemals Material verarbeiten würde, das in Unfälle verwickelt war, insbesondere wenn Menschen verletzt wurden. „Das würde sich komisch anfühlen“, erklärt er. Außerdem wolle man auch keine Flugangst beflügeln. Es sei eine unglaubliche Freude, alten Flugzeugen ein „neues Leben“ zu ermöglichen. Um gute Teile zu finden, nehme man auch lange Distanzen in Kauf, um ausgewählte Flugzeuge selbst zu zerlegen. Das Ziel ist es, nur Teile stillgelegter Maschinen zu verwenden, die nicht mehr fliegen können. Er erläutert auch, dass es im Grunde kein „Recycling“ sei, was man bei Wilco Design mache, sondern eher „Upcycling“, also die ausgedienten Teile werden zu komplett neuwertigen Teilen aufgewertet.
Die Stücke sind oftmals Luxusartikel
Und so fertigte man bereits TV-Sideboards, in denen brandneue Standard Service Units der Atlas-Norm eingebaut wurden, also Trolleys. Die Tischuhr „Around the World“ hat als Rahmen die original Seitenscheibe eines Passagierflugzeuges und Ziffernpunkte, die aus Rundkopfnieten gefertigt wurden, wie sie im Flugzeugbau Verwendung finden. Der Schreib- oder Esstisch „Inverted“ wird aus einem Rumpfsegment mit vier Fenstern eines Passagierflugzeuges gefertigt und mit einer Glasplatte obendrauf versehen. Der Couchtisch „Luke“ wird von Wilco selbst als „designtechnisches Meisterwerk“ beschrieben und punktet mit seiner Wingtip, dem Endstück der Flügelspitze, was ihm ein futuristisches Aussehen einbringt. Dabei ist klar, dass ein großer Teil der Designstücke Luxusartikel sind, wie auch Julian Schneider selbst sagt. Schön sind die Sachen trotzdem. Und Halsketten mit einem Anhänger, der aus einem Stück Rumpfblech gefertigt die Form eines Airbus A380 hat, oder die Schlüsselhalter mit drei aufgesetzten Seatbelt Buckles in schwarzem Finish, sowie besagte Uhr sind auch für Normalbürger erschwinglich.
Dementsprechend ist der Kundenkreis eher im aeronautisch-affinen Spektrum zu finden und geht natürlich auch weit über das Saarland hinaus. Rest-Europa möchte man als Nächstes erobern. Den Kundenkreis habe man sich über Jahre aufgebaut, wie er erzählt. Begonnen hatte es 2013 mit einer Bewerbung bei der sozialen Plattform Facebook. Damals habe man mit Einzelstücken angefangen. 2016 hatte man bereits zehn Mitarbeiter, und er und Marius Krämer, der zum FORUM-Termin in Urlaub weilte, entschlossen sich dazu, ihr Hobby zum Hauptberuf zu machen. Heute zählen beispielsweise Hotelbetriebe in der Nähe von Flughäfen zum Kundenstamm.
Bei den Kunden jedenfalls werden auch Plaketten mit frechen Sprüchen für die Toilette, typische Airliner-Aufkleber mit „No Smoking“- oder „No Entry“-Aufdruck sowie „Life Vest“-Hinweisen gut ankommen. Im Onlineshop auf flzgmbl.de gibt es auch die Überraschungsbox „Blind Booking“ oder das Tag-Set „Black Box“, bei dem man ebenfalls nicht genau weiß, was darin enthalten ist. Check-In-Smartphonehüllen sind ebenso zu bekommen wie Schwimmwesten als Dekoration oder T-Shirts mit dem Aufdruck „Frequent Traveler“, also „häufig Reisender“.
Manche Stücke sind auch mietbar
Gekaufte Teile von Flugzeugen werden im Lagerbereich untergestellt, bis sie bearbeitet werden. So findet man dort ganze Sitzreihen, was teilweise wie in einem Kinosaal aussieht. Oder auch Turbinengehäuse eines Airbus A319, die zu einer Empfangstheke für Arztpraxen werden sollen. In der Werkstatt werden die Teile dann aufbereitet, also poliert, lackiert, eventuell mit neuer Farbe versehen und zurechtgeschnitten, falls das benötigt wird. Doch eins muss klar sein: „Wenn wir geschnitten haben, haben wir geschnitten.“ Dann gibt es kein Zurück mehr, sollte sich der Kundenwunsch verändert haben und man den Couchtisch vielleicht doch länger haben wollte.
Da die Stücke so einzigartig sind, sie sich vielleicht aber nicht jeder leisten kann oder möchte, kann man diverse Stücke auch tageweise mieten. Damit werden Messestände, Foyers oder Showrooms deutlich aufgewertet. So gibt es einen drehbaren Loungetisch aus einem Verdichter der Boeing 720, eine Bordküche inklusive Standfuß, eine Zweier-Sitzbank, die gut als Fotomotiv dient und ein komplettes Kabinensegment aus einer Passagiermaschine, die aus zwei Sitzreihen, vier Fenstern und zwei Overhead-Compartments besteht. Wenn Wilco Design selbst auf Messen unterwegs ist, haben sie das Cockpit einer Antonow als Stand dabei.
Alle Objekte erhalten übrigens ein Typenschild, das mit allen wichtigen Informationen zum verwendeten Bauteil informiert – etwa vergleichbar mit einer Seriennummer. Mitunter kommen eingekaufte Stücke aber doch nicht an den Mann oder die Frau. Eine olivgrüne Cockpithaube ist derzeit beispielsweise eine Art Ladenhüter. „Es stammt von einem russischen Kampfflugzeug“, sagt Julian Schneider trocken. Er selbst sowie Marius Krämer sind im Privatleben Hobbypiloten, wobei Schneider eher kleine Flugzeuge steuert. Vielleicht gerade, weil er beruflich mit ausgedienten Flugzeugteilen zu tun hat, sagt er: „Der Sicherheitsgedanke ist schon sehr hoch.“ Aber das ist er bei Piloten ohnehin von Grund auf bereits.