Dr. Isabella Helmreich ist eine der Leiterinnen des Bereichs Resilienz und Gesellschaft am Leibniz-Institut für Resilienzforschung. Sie erklärt, was es mit dem Thema auf sich hat, was resiliente Menschen auszeichnet – und wie wichtig es ist, sich mal auszuklinken.
Frau Helmreich, was versteht man unter Resilienz?
In der psychologischen Resilienzforschung wird unter Resilienz weitgehend die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der psychischen Gesundheit von Menschen während oder nach widrigen Lebensumständen verstanden. Wichtig bei Resilienz ist, dass sich erst in der Bewältigung eines Stressors, also ein kritisches Ereignis, das Stress erzeugt, zeigt, ob ein Mensch die Fähigkeiten oder Ressourcen hat, um gut mit dem Stressor umzugehen. Dementsprechend kann man jene Individuen unterscheiden, die resilienter sind und es besser schaffen, mit den Widrigkeiten des Lebens umzugehen als andere, die diese Fähigkeiten beziehungsweise Ressourcen weniger besitzen. Die gute Nachricht ist: Resilienz ist erlern- und trainierbar. Personen, die psychische Dysfunktionen oder gar eine psychische Erkrankung aufgrund von Stressoren entwickeln, können ihre psychische Gesundheit durch die Stärkung von internen und externen Ressourcen und Resilienzfaktoren zurückgewinnen.
Eine Untersuchung über die Zeit, wie stabil die Resilienz bei Menschen ausgeprägt ist, wird wohl schwierig sein, da sich Personen schwer beobachten lassen.
Richtig. Resilienz ist ein dynamischer Prozess. In manchen Situationen können wir gut mit Stress umgehen, in anderen fehlen uns die richtigen Mittel. Umbruchphasen im Leben, wie zum Beispiel wenn ich heirate oder das Elternhaus verlasse, sind schwierige Phasen. Da brauche ich oft ganz neue Bewältigungsstrategien, die ich bisher vielleicht noch nicht eingeübt habe. Neben dem dynamischen Verlauf ist Resilienz auch etwas sehr Individuelles. Jeder Mensch ist von Natur aus anders ausgerüstet. Manche Resilienzeigenschaften – wie zum Beispiel Teile der physiologischen Stressreaktivität, also wie sensitiv ich auf Stress reagiere – sind vererbt, andere wiederum können über die Zeit erlernt werden. Man ist also nicht seinen Genen ausgeliefert, sondern kann auf die eigene Widerstandskraft Einfluss nehmen. Resilienz ist außerdem kontextspezifisch, das heißt, man kann auf der Arbeit gute Strategien entwickelt haben, mit dem dort aufkommenden Stress umzugehen, aber im Privaten nur schwer damit zurechtkommen. Das heißt, mit dem Chef oder der Chefin bekommt man es gut hin, während es mit dem Partner oder der Partnerin beim gleichen Problem eventuell nicht so gut gelingt, sich konstruktiv auseinanderzusetzen. Wie jeder weiß, spielen hier viele Faktoren und Lernerfahrungen eine Rolle und beeinflussen unser Verhalten.
Viele Menschen, die in Psychotherapie waren, kennen das Säulenmodell von Hilarion Petzold, in dem fünf Bereiche unseres Lebens, eben die Säulen, abgebildet werden, die uns im Wesentlichen tragen beziehungsweise stützen. Wie viele Pfeiler betrachtet die Resilienzforschung?
Das Modell wird gerne verwendet, um Patientinnen und Patienten auf einfache Art zu veranschaulichen, wie das Wegfallen einer Säule das Leben ins Schwanken bringen und ihren aktuellen Zustand mit hervorrufen kann. In der Resilienzforschung sind die Zusammenhänge natürlich etwas komplexer. Das aktuell gängigste Modell ist ein biopsychosoziales. Dabei schaut man einerseits auf die Biologie, also die Genetik und Epigenetik sowie die physiologischen Einflüsse wie zum Beispiel die Stressreaktivität oder die Darmflora. Zudem blickt man natürlich auch auf den psychologischen und den sozialen Kontext, also welche internen Ressourcen und Resilienzfaktoren, wie Optimismus, Problemlösefähigkeiten, besitze ich und wie bin ich sozial eingebunden, und schließlich natürlich auch auf die externen Einflüsse, wie zum Beispiel die Umwelt, in der ich lebe. Alle diese Faktoren interagieren und wirken gemeinsam. Sie entscheiden darüber, ob ich mich in Stresssituationen resilient verhalte oder nicht. Durch das aktive Stärken der Bereiche, in denen es hapert, kann man seine Resilienz verbessern. Fehlt es an externen Ressourcen, wie zum Beispiel einem guten sozialen Netzwerk, kann ich versuchen, hier anzusetzen und mich bemühen, mehr in sozialen Kontakt mit anderen zu treten und neue Freunde zu gewinnen. Oder ich kann bei den physiologischen Bedürfnissen ansetzen und mehr auf meinen Körper achten, indem ich mich besser ernähre, mehr Sport betreibe. Wie das Modell schon zeigt, gibt es viele Punkte, an denen man ansetzen kann, um widerstandsfähiger zu werden. Und natürlich kann auch die Gesellschaft dazu beitragen, Resilienz zu fördern, indem sie gute Lern-, Arbeits- und Lebensbedingungen schafft, die es mir erst ermöglichen, mein Potenzial zu entfalten.
Ist die subjektiv empfundene Schnelligkeit von Veränderungen der Lebensumstände Grund dafür, warum man in der öffentlichen Debatte über Resilienz öfter spricht als zu Zeiten, in denen die Umwelt relativ stabil erschien?
Neben dem von Ihnen genannten Grund der Geschwindigkeit von Veränderungen gibt es noch andere: Dass unsere Gesellschaft immer stärker fragmentiert, sich immer mehr Individualisierung herausbildet und wir unendlich viele Wahlmöglichkeiten haben, wie wir unser Leben führen können. Es zeigt sich in der Forschung, dass die Menschen dadurch gestresster sind, das Gefühl haben, nicht mehr so gut mit ihrem Leben zurecht zu kommen beziehungsweise durch die Wahlmöglichkeiten überfordert sind. Auch die Digitalisierung und die oftmals damit einhergehende Entgrenzung von Arbeit und Privatem ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite bringt sie eine neue Flexibilität und Freiheit in unser Leben, aber auf der anderen Seite haben wir noch nicht ausreichend gelernt, damit richtig und insbesondere gesundheitsförderlich umzugehen. Deshalb sind viele Menschen unter Strom, die nicht gelernt haben, regelmäßig abzuschalten, insbesondere auch von den digitalen Medien. Auch was die sozialen Medien betrifft, ist man in einem ständigen Aufnahmemodus, und es fällt vielen schwer, sich davon nicht vereinnahmen zu lassen.
Wie kann Resilienz hier helfen?
Das Konzept der Resilienz wird der salutogenetischen Perspektive zugerechnet, das heißt es sucht Bedingungen, wie Gesundheit gefördert und aufrechterhalten werden kann. Lange Zeit konzentrierte man sich in Deutschland auf die pathogenetische Perspektive, das heißt, man hat gewartet, bis jemand krank wurde und hat dann geschaut, wie man den Betroffenen wieder gesund macht.
Resilienz setzt am anderen Ende an und schaut darauf, wie man Gesundheit fördern kann, sodass es gar nicht zum Ausbruch einer Erkrankung kommt. Das Konzept der Prävention kommt in unserer Gesellschaft als Strategie langsam an und wird immer mehr auch durch die Krankenkassen aufgegriffen. Mittlerweile gibt es viele Angebote, die dabei helfen, die eigene Resilienz zu stärken. Früher nannte man solche Angebote oft Stress-Präventionstraining, heute hat man diese vielfach umbenannt in Resilienztraining. Wie wir aus unserer eigenen Forschung wissen, können solche Trainings, wenn sie wissenschaftlich fundiert sind und durch fachlich qualifizierte Personen durchgeführt werden, die Resilienz und psychische Gesundheit dauerhaft stärken.
Bedenkt man die Auseinandersetzung zwischen Verstand und Gefühl, muss man doch feststellen, dass uns das Gefühl oft in die Quere kommt, wenn es sich um die Bewältigung von Krisen und damit um Stressbekämpfung dreht. Wir wissen, dass wir uns einschränken müssten, um die Menschheitsfamilie vor einem krasseren Klimawandel zu bewahren, aber der Hedonismus verleitet uns zum unvernünftigen und exzessiven Konsum. Wie kann man im Sinne der Resilienz Bauch und Kopf in Einklang bringen?
Resilienz spielt hier eine wichtige Rolle. Resiliente Menschen besitzen eine Reihe von sogenannten Resilienzfaktoren, die ihnen dabei helfen. Wichtig ist beispielsweise das aktive Coping, also die Fähigkeit, Probleme aktiv anzugehen. Das kann einerseits bedeuten, etwas an den Umständen der Situation zu verändern, beispielsweise zu versuchen, selbst aktiv im Klimaschutz zu werden, oder aber auch die eigene Einstellung zu reflektieren und gegebenenfalls zu ändern, indem klimarelevanten Themen eine größere Bedeutung zugemessen wird. Menschen, die sich regelmäßig zeitweise von den Problemen der Zukunft abkoppeln und mehr im Moment leben können, schaffen es dadurch besser, nicht in Zukunftsängsten und Sorgen festzuhängen. Resilienz bedeutet nämlich, auch gut für sich zu sorgen, sich immer wieder Auszeiten zu nehmen und sich schöne Momente zu gönnen, auch wenn es anderen Menschen zwischenzeitlich nicht so gut geht. Nur wenn man immer wieder Kraft sammelt, kann man die belastenden Dinge aktiv angehen. Wir haben gerade während der Corona-Pandemie gemerkt, dass einer der wichtigsten Resilienzfaktoren die soziale Unterstützung im analogen Leben ist. Kinder, die länger unter der Isolation des Lockdowns gelitten haben, zeigen vielfach psychische Auffälligkeiten wie depressive Symptome. Regelmäßiger positiver sozialer Kontakt ist unabdingbar für Resilienz. Ein spannendes Experiment hat gezeigt, dass kleine Kinder, die einen Menschen von Angesicht zu Angesicht hatten, um eine Sprache zu lernen, es besser vermocht haben, als jene, die nur einen Computer zum Lehrer hatten. Die soziale Gemeinschaft und der Zusammenhalt dieser ist ein extrem wichtiger Faktor, um Krisen gut zu meistern. Das Schöne ist, dass, wenn es hart auf hart kommt, Menschen häufig zusammenrücken und sich auf diesen Wert besinnen, wie am Beispiel der letztjährigen Flutkatastrophe im Ahrtal zu sehen ist.