Handballer Lukas Hüller hat die bisher schwersten Monate seines 26-jährigen Lebens hinter sich. Nach der Hodenkrebs-Diagnose stand er gut zwei Monate später wieder für die HG Saarlouis auf dem Spielfeld.
Den 11. August 2022 wird Lukas Hüller, Handballer von Drittligist HG Saarlouis, sein Leben lang wohl nicht mehr vergessen. An diesem Tag, einem Donnerstag, hatte der 26-Jährige eigentlich seinen „Return to Sport“-Testtermin. Also eine finale Untersuchung, die seine Belastbarkeit nach einem Knöchelbruch im Februar attestieren sollte. Doch der schon länger geplante Test musste kurzfristig ausfallen. Aus aktuellem Anlass musste Hüller zum Urologen, wo er eine Horror-Diagnose erhielt: Hodenkrebs. Im etwa gleichen Zeitraum wurden die Fälle von Hodentumor-Erkrankungen der Bundesliga-Fußballprofis Timo Baumgartl (1. FC Union Berlin), Marco Richter und Jean-Paul Boetius (beide Hertha BSC Berlin) sowie Sebastien Haller (Borussia Dortmund) öffentlich.
„Es fühlte sich so an, als würde eine Tablette im Hoden stecken. Das hat sich über drei, vier Wochen nicht geändert – es ist sogar eher ein bisschen größer geworden“, erinnert sich Lukas Hüller: „Weil kurz davor so viele Profifußballer ihre Erkrankung öffentlich gemacht hatten, bin ich dann mal zum Arzt.“ Dort war er einige Monate zuvor erstmals vorstellig geworden, nachdem ihm ein Knie seines Gegenspielers bei einem Spiel an dieser besonders schmerzempfindliche Körperregion getroffen hatte. Der Arzt veranlasste umgehend eine MRT-Untersuchung, die zusammen mit weiteren Tests bestätigte: Es handelte sich um einen bösartigen Tumor, Lukas Hüller hat Krebs. „Das war ein Riesenschock für mich. Für mich war das Thema immer in weiter Ferne, und ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas jetzt schon passiert“, sagt Hüller und ergänzt: „Der Arzt hatte mir aber auch relativ schnell klargemacht, dass ich sehr gute Heilungschancen habe.“
Das Thema war in weiter Ferne
Dennoch: Eile war geboten. Der betroffene Hoden wurde nur vier Tage nach der Diagnose, also am 15. August, mitsamt Tumor entfernt. Eine CT-Untersuchung bestätigte, dass der Krebs noch keine Metastasen gebildet und demnach nicht in andere Körperregionen gestreut hatte. Um auf Nummer sicher zu gehen, unterzog sich Hüller einer dreiwöchigen Chemotherapie. Die erste Woche verbrachte er im Krankenhaus, die Folgetermine fanden ambulant statt. „Am 17. Oktober war ich mit der Chemo durch, und dann ging es recht schnell“, berichtet Hüller, der nur eine Woche später beim 35:14-Heimsieg gegen DJK Waldbüttelbrunn erstmals in dieser Spielzeit zum Kader gehörte. Eine weitere Woche später erzielte er bei der 22:23-Niederlage beim TV Hochdorf seine ersten drei Saisontore. Eigentlich unfassbar. „Ich durfte während der ambulanten Phase der Chemo auch ein bisschen Sport treiben“, erklärt Hüller und klingt dabei selbst fast schon überrascht. Als Motivationshilfe hatte sich der Student der Sportwissenschaft das erhoffte Comeback-Datum als Bildschirmhintergrund eingestellt. „Der Sport war meine Stütze“, sagt er, „Sowohl das Ziel vor Augen, als auch die Unterstützung der Mannschaftskameraden haben mir sehr geholfen.“
Im Moment geht es Lukas Hüller sehr gut. Nach dem operativen Eingriff und der Chemotherapie muss er keine Einschränkungen fürchten. Auch nicht für die Familienplanung. Derzeit ist ein Kinderwunsch noch kein Thema – „dafür bräuchte es ja auch eine Partnerin“, merkt er mit einem Augenzwinkern an. Wenn es so weit ist, steht der Verwirklichung jedenfalls nichts entgegen. Trotzdem hatte er vor der Operation Sperma einfrieren lassen. Bei bösartigen Tumoren wird die Kryokonservierung von der Krankenkasse übernommen. „Bei so seiner OP kann natürlich auch etwas schiefgehen, und auch eine Chemo kann die Qualität der Spermien beeinträchtigen“, erklärt er sein Vorgehen und betont: „Von daher empfehle ich jedem Betroffenen, diese Kassenleistung in Anspruch zu nehmen.“
Apropos Kassenleistungen: Eine Früherkennungs-Untersuchung zum Ausschluss von Hodenkrebs gibt es nicht. Deshalb appelliert der Handballer an die Eigenverantwortung der Männer: „Es geht nicht darum, regelmäßig zum Arzt zu rennen und sich dort checken zu lassen. Es reicht, sich immer mal wieder selbst abzutasten und, sofern man etwas feststellt, direkt zu handeln“, betont Hüller, denn er weiß: „Wenn man das nicht tut, kann sich der Krebs ausbreiten. Wenn der Hoden so groß ist wie ein Tennisball, ist es meistens schon zu spät.“ Auch das Annehmen der Diagnose fiel ihm nicht leicht: „Jetzt muss ich das ja nicht mehr, aber am Anfang war es superschwierig, mir einzugestehen, dass ich Krebs habe.“ Glücklicherweise war die Krankheit überstanden, bevor er sich daran gewöhnen musste. Inzwischen gilt Lukas Hüller offiziell als geheilt.
Die Ursache bleibt ungeklärt
Fast wäre Hüller selbst einer derjenigen geworden, die das unangenehme Problem einfach verdrängen: „Ich weiß nicht, ob ich so schnell gehandelt hätte, wenn das Thema in dieser Zeit nicht durch die Fußballprofis öffentlich geworden wäre“, gibt er zu. Deshalb hat er auch seine Geschichte öffentlich gemacht. Über sein Instagram-Profil berichtete Hüller von Anfang an und ohne Hemmungen von seinem Schicksal. „Ich möchte, dass junge Männer sich nicht scheuen, zum Arzt zu gehen, wenn sie dort unten etwas feststellen“, stellt der im nordrhein-westfälischen Neuss geborene junge Mann klar. Übrigens gibt es zwischen dem zuvor erlittenen Kniestoß in die Weichteile keinen Zusammenhang mit der späteren Erkrankung. „Der Stoß traf den linken Hoden, erkrankt war aber der rechte“, sagt Hüller und ergänzt: „Mir wurde erklärt, dass man in der Regel nicht sagen kann, woher diese Tumore kommen. Es gebe auch keinen Zusammenhang beispielsweise zum Tragen des Handys in der Hosentasche.“
Nur die regelmäßigen Nachsorge-Termine beim Urologen und die neue Frisur erinnern Lukas Hüller noch an die bisher schwerste Phase seines Lebens. Den Chemo-bedingten Haarverlust hat er durch gezielten Einsatz eines Bartschneiders zur Vollendung geführt und trägt seither Glatze: „Bevor ich einen Flickenteppich auf dem Kopf habe, kommen lieber alle ab“, sagt der 26-Jährige lachend. Seinen Humor hat er – im Gegensatz zu seinem Tumor – nie verloren. Der auch mal scherzhafte Umgang mit dem sehr ernsten Thema hilft ihm dabei, das Geschehene zu verarbeiten. Wie auch der Sport. Hochmotiviert arbeitet der Spielmacher, der 2021 vom Nord West-Drittligisten SGSH Dragons nach Saarlouis kam, an sich und daran, mit seinen Teamkameraden die gesteckten Ziele zu erreichen: „Wir müssen jetzt zusehen, dass wir als Mannschaft geschlossen arbeiten“, fordert er. Nach den schweren, aber gemeinsam durchgestandenen vergangenen Monaten sollte Letzteres kein Problem sein. Die Erfahrung, füreinander da zu sein, wenn es darauf ankommt – auch neben dem Spielfeld, hat den Zusammenhalt beim Drittligisten weiter gestärkt.