Das hatten sich die Eisbären Berlin ganz anders vorgestellt: Statt mit den Topclubs der DEL um die beste Position für die Play-offs zu kämpfen, steckt der Titelverteidiger im Tabellenkeller fest. Nach der Länderspielpause soll die Trendwende gelingen.
In der aktuellen Verfassung klingt es ein bisschen wie Hohn: Noch bis zum 20. November können Sportfans online hinter den Eisbären Berlin ihr Kreuz machen und den Eishockeyclub damit zum „Champion 2022“ der Hauptstadt in der Kategorie „Mannschaft des Jahres“ küren.
Ein Triumph der Eisbären ist unwahrscheinlich – und das liegt nicht nur an der starken Konkurrenz von Fußball-Bundesligist Union oder Basketball-Serienmeister Alba. Der Titelverteidiger präsentiert sich aktuell in miserabler Form, den Start in die neue Saison der Deutschen Eishockey Liga (DEL) hat der Titelverteidiger völlig verpatzt. Tabellen-13., von 18 Spielen elf verloren, bereits 20 Punkte Rückstand auf Spitzenreiter EHC Red Bull München, aber nur sieben Zähler Vorsprung auf den Abstiegsplatz: Die Ligapause wegen des traditionellen Deutschland-Cups der Nationalmannschaft in Krefeld kam für die Eisbären wie gerufen. Das völlig verunsicherte Team braucht einen Neustart – aber wie? „Wichtig ist, dass wir die Ruhe bewahren“, sagte Thomas Bothstede dem „Berliner Kurier“. Der Geschäftsführer des DEL-Rekordchampions weiß zwar um die „beschissene Situation“, die jedoch auch durch „zahlreiche unglückliche Umstände“ zustande gekommen sei. Und so tut Bothstede das, wofür er (unter anderem) bezahlt wird: Er gibt in der Krise öffentlich den Optimisten: „Ich weiß um die Stimmung und bin deshalb fest überzeugt, dass unsere Situation im Februar ganz anders aussieht, als das im Moment mit Platz 13 der Fall ist.“
Aktuell in miserabler Form
Dafür müssen die Eisbären aber eine Aufholjagt starten, die am besten bereits mit den ersten Spielen nach der Pause beginnt. Das Heimspiel am Freitag (18. November) gegen die Iserlohn Roosters, die nur zwei Punkte mehr auf dem Konto haben als die Berliner, ist von enormer Bedeutung. Denn zwei Tage später wartet die schwere Auswärtshürde bei Adler Mannheim. „Wir haben uns fest vorgenommen und arbeiten hart daran, nach der Länderspielpause die Situation zum Positiven zu ändern“, versicherte Bothstede. Alle im Verein seien „auch festen Willens, uns aus dieser Situation wieder herauszuziehen“. Das trifft natürlich auch auf den Trainer zu. Serge Aubin, der Meistercoach der vergangenen beiden Spielzeiten, ist angesichts der oft enttäuschenden Auftritte seiner Mannschaft nicht mehr unumstritten. Der Kanadier probierte in der Niederlagenserie viel, mal stellte er sich vor das Team, mal kritisierte er es hart. Und manchmal klang Aubin fast ein bisschen resignierend. „Ich muss mich bei unseren Fans entschuldigen. Es gibt keine Ausreden für diesen Abend. Unsere Leistung ist nicht zu akzeptieren“, hatte er zum Beispiel nach dem peinlichen 2:4 gegen die damals als Tabellenletzter und mit großen Personalsorgen angereisten Bietigheim Steelers gesagt: „Wir haben weder gekämpft noch zu Ende gespielt, dafür aber zu kompliziert gespielt. Wir müssen aufwachen.“
Danach wurde es aber nur unwesentlich besser. Nicht wenige Fans stellen sich die Frage, ob der Coach seine Spieler noch erreicht. „Ja, natürlich!“, sagte Bothstede darauf angesprochen vehement, „Serge Aubin war und ist der absolut richtige Trainer für uns. Die Mannschaft schätzt Aubin sehr und vertraut ihm. So wie ich auch.“ Allerdings hat niemand vergessen, dass der frühere Profi am Ende der vergangenen Meistersaison mit einem Wechsel in die NHL als Assistent oder Coach eines Farmteams geliebäugelt hat. Die Club-Verantwortlichen konnten Aubin, der seit seinem Amtsantritt 2019 höchst erfolgreich gearbeitet hat, halten – und nun wollen sie ihm in der schweren Phase den Rücken stärken.
Eine richtige Entscheidung – findet Steffen Ziesche. Der frühere Profi und Co-Trainer der Eisbären hält Aubin nach wie vor für den richtigen Mann an der Bande: „Er hat die nötige Erfahrung, um das Team wieder nach vorn zu bringen. Ich bin sicher, dass die Eisbären die Playoffs schaffen.“ Dafür müsse nun jedoch ein Ruck durch die Mannschaft gehen. „Es ist Zeit, wieder in die Spur zu kommen“, sagte Ziesche, der vor allem von den Leistungsträgern deutlich mehr erwartet: „Die erfahrenen Spieler müssen vorangehen und den jüngeren Profis helfen.“
Dazu zählt auch Leonhard Pföderl. Der Nationalspieler will die aktuelle Situation nicht schönreden, er warnte aber auch vor Panikmache. „Wir durchlaufen gerade eine schwierige Zeit. So was gibt es im Sport“, sagte der 29-Jährige: „Wir müssen ruhig bleiben. Ich weiß, dass wir uns gemeinsam da herausarbeiten werden.“ Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Eisbären nach einer eher schwachen Hauptrunde in den Play-offs ein anderes Gesicht zeigen können. Doch zur Qualifikation für die K.-o.-Runde ist es noch ein weiter Weg. Erschwerend kommt hinzu, dass alle im Club angesichts der jüngsten Erfolge und des hohen Etats mit einer völlig anderen Erwartungshaltung in die Saison gestartet waren. „Wir wollen den dritten Titel in Folge“, hatte Bothstede selbstbewusst gesagt. Bei der Mannschaft war die hohe Zielsetzung gut angekommen. „Wir wollen immer um den Sieg spielen und gewinnen. Das ist unser Anspruch hier in Berlin“, sagte Kapitän Frank Hördler.
Konsequenter nach hinten arbeiten
Die Realität sieht aktuell anders aus. Das liegt zugegebenermaßen auch am Verletzungspech. Pföderl zum Beispiel plagte sich lange mit Leisten- und Schambeinbeschwerden und kam auch deswegen nur auf ein Saisontor in zehn Spielen. Da aber zumindest die Topstürmer Matthew White (22 Punkte), Marcel Noebels (19) und Zachary Boychuk (18) zuverlässig scoren, ist die Offensive nicht das größte Problem der Eisbären. 61 Gegentore nach 18 Spielen bedeuten die drittschlechteste Defensive der Liga. Es scheint als würde das Experiment, mit den jungen Torhütern Tobias Ancicka (14 Spiele) und Juhu Markkanen (4) auf die Karte „Jugend“ zu setzen, nicht aufzugehen. Beide Goalies gehören im ligaweiten Ranking weder beim Gegentorschnitt noch bei der Fangquote zu den Top 15.
Doch Ziesche warnte vor zu schnellen Schlussfolgerungen angesichts der negativen Statistiken: „Am 21-jährigen Ancicka liegt es nicht, dass die Bären auf Platz 13 stehen. Sicher macht er Fehler, aber die Mitspieler müssen konsequenter nach hinten arbeiten.“ Auch Bothstede warb um etwas mehr Geduld für das junge Duo: „Bei den vielen Verletzten, die wir hatten, standen doch auch unsere Torhüter noch nicht wirklich hinter der Stammformation. Das muss man auch mal bedenken. Sie verdienen unser Vertrauen.“
Verstärkungen bis zum Ende der Wechselfrist sind möglich, so ist zum Beispiel noch eine Ausländerlizenz frei. „Die werden wir mit Bedacht vergeben“, betonte Bothstede. Der Geschäftsführer argumentierte aber auch, dass er trotz der prekären Lage nicht in Panik verfalle und auf dem Markt jeden Preis zahlen werde: „Ich bleibe dabei: Wir schicken trotz der momentan schwierigen Situation eine starke Mannschaft aufs Eis.“
Die macht sich aber durch einfache Fehler, Undiszipliniertheiten und mangelnde Konzentration oft das Leben selbst schwer. Nach der Ligapause soll all das abgestellt werden – so lautet zumindest die Hoffnung. „Wir gehen einfach im Moment durch eine schwere Zeit, aber wir werden da gemeinsam herauskommen“, sagte Aubin.