Deutsche Firmen müssen sich breiter aufstellen und geostrategischer denken
Warnungen vor China gab es in der Bundespolitik immer wieder – aber der letzte große Alarm liegt schon ziemlich lange zurück. 1969 erregte Kanzler Kurt-Georg Kiesinger mit dem Satz „Ich sage nur China, China, China!“ Aufsehen. In Maos „Großer Kulturrevolution“ galten Menschen aus dem Westen als „weiße Teufel“. Kiesinger blickte misstrauisch auf die Macht im Osten und schloss diplomatische Beziehungen zur kommunistischen Volksrepublik aus.
Heute grassiert in Deutschland vor allem die Sorge, wirtschaftlich total von China abhängig zu sein. Jahrelang haben deutsche Unternehmen auf den lukrativen Absatzmarkt mit 1,4 Milliarden Einwohnern geschielt. Der deutschen Automobilindustrie würde ohne die kaufkräftigen Kunden in Fernost ein wichtiges Segment wegbrechen. Allein VW setzt rund 40 Prozent seiner Neuwagen in China ab. Viele Firmen in Deutschland sind auf billige Vorprodukte aus dem Reich der Mitte angewiesen.
Es rächt sich nun, dass die Betriebe zu lange nur auf niedrige Preise in der Volksrepublik geschaut haben. Zum Teil haben sie – zum Beispiel bei der Lieferung von Rohstoffen – eine Abhängigkeit von bis zu 100 Prozent in Kauf genommen. China wurde so zum größten Handelspartner der deutschen Wirtschaft.
Doch Peking denkt bei den Geschäftsbeziehungen nicht an „Win-Win“ – mit dem Ziel, dass beide Seiten profitieren. China arbeitet am machtpolitischen Ausbau der eigenen Wirtschaft. Deutsche Hochtechnologie soll nach Fernost abgesaugt werden. Mit der Langzeit-Perspektive, dass Hightech-Produkte dann künftig dort gefertigt werden. Diesem Zweck dienen auch strategische Zukäufe von Firmen beziehungsweise Beteiligungen wie gerade jetzt im Falle eines Containerterminals des Hamburger Hafens. Das Land will bis 2050 Weltmarktführer in Schlüsselindustrien wie Robotik, E-Mobilität, Luft- und Raumfahrt oder Pharmazie werden.
Peking fährt mit seiner Wirtschaftspolitik einen aggressiven Kurs. Das Mega-Projekt der Neuen Seidenstraße hat wenig mit Freihandel und viel mit ökonomischem Nationalismus zu tun. Seit 2013 baut die Volksrepublik Straßen, Bahnstrecken, Häfen und Pipelines zwischen Asien, Europa und Afrika. Chinesische Betriebe sollen sich so Aufträge sichern und neue Märkte erschließen. Dabei geht es aber auch um die Schaffung von Abhängigkeiten. Können Staaten Kredite nicht mehr zurückzahlen, müssen sie Objekte an Peking verkaufen oder zu niedrigen Preisen Rohstoffe liefern.
Jahrelang haben die Wirtschaftskapitäne in Deutschland diese Expansionsstrategie ignoriert. Hauptsache, die Bilanz stimmte. Das war kurzsichtig und naiv. Spätestens mit Russlands Überfall auf die Ukraine ist die „Zeitenwende“ auch im deutschen Außenhandel angekommen. Die Volksrepublik stellt sich hinter Moskau, weil es in dem Einmarsch eine mögliche Blaupause für eine Invasion im demokratischen Taiwan sieht. Pekings militärische Muskelspiele im Südchinesischen Meer spiegeln den robusten Machanspruch des Landes wider.
Die deutschen Unternehmen wären gut beraten, bereits heute ihre Abhängigkeiten von China herunterzufahren und ihre Geschäftsfelder breiter zu streuen. Sollte sich Peking eines Tages Taiwan nach dem Modell der Ukraine-Invasion einverleiben, wären Sanktionen des Westens unvermeidbar. Wer dann noch ausschließlich auf die Volksrepublik setzt, hat verloren.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) haben mit ihrer Ostasienreise die Notbremse gezogen. „Deutschlands wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist zu groß“, warnte Habeck. Es gelte, „Klumpenrisiken“ zu vermeiden. Eine späte, aber wichtige Erkenntnis.
Die Politik kann hier aber nur Leitplanken setzen. So ist es richtig, dass die Bundesregierung die staatliche Investitionsgarantie pro Firma auf drei Milliarden Euro pro Land deckelt. Es liegt allerdings in der Verantwortung der Betriebe, ihr China-Geschäft zu diversifizieren. Die Palette reicht von Japan, Südkorea, Vietnam bis Brasilien oder Chile.
Es geht nicht um eine Abkoppelung vom chinesischen Markt, sondern um Risiko-Minimierung. Die deutsche Wirtschaft muss künftig geostrategischen Realismus mit in ihr Portfolio nehmen – daran hat es bislang gefehlt. Das ist zunächst teurer. Doch wer frühzeitig und klug umsteuert, hat am Ende auch gute Zahlen.